Rettungsmission:Das Glück der wenigen

Rettungsmission: Endlich wieder zu Hause: Der 13-jährige Bohdan in den Armen seiner Mutter.

Endlich wieder zu Hause: Der 13-jährige Bohdan in den Armen seiner Mutter.

(Foto: Valentyn Origenko/Reuters)

Die Organisation "Save Ukraine" hat 31 entführte Kinder aus Russland zurückgeholt. Fast 20 000 befinden sich laut ukrainischer Regierung noch dort.

Von Florian Hassel, Belgrad

Mykola Kuleba gehört nicht erst seit Beginn des russischen Großüberfalls auf seine Heimat zu den meist ungerühmten Helden der Ukraine. Schließlich begann Russlands Krieg gegen die unabhängige Ukraine nicht erst 2022, sondern 2014 in der Ostukraine. Und so lange tun Kuleba, jahrelang auch Ombudsmann für Kinderrechte beim ukrainischen Präsidenten, und seine Kollegen der Bürgergruppe "Save Ukraine" alles, um Kinder und deren Familien aus dem Kriegsgebiet zu holen. Rund 89 000 Ukrainer haben die "Save Ukraine"-Leute allein seit Ende Februar 2022 in sichere Gebiete gebracht, oft unter Einsatz ihres Lebens. Am 6. April etwa geriet ein Konvoi der Helfer im Dorf Kosazke in der Nähe von Cherson unter Beschuss eines russischen Panzers, der von russisch besetztem Gebiet auf die Helfer feuerte.

Kuleba und seine Kollegen haben noch eine weitere Mission: von den Russen entführte ukrainische Kinder aufzuspüren und zu helfen, sie zurück zu ihren Eltern oder zu anderen Verwandten in die Ukraine zu bringen. Am Karsamstag konnte "Save Ukraine" glücklich die Rückkehr von 31 ukrainischen Kindern melden, die aus von Russen im vorigen Jahr besetzten Orten in den Regionen Charkiw und Cherson auf die besetzte Krim oder nach Russland verschleppt worden waren. Schon zuvor hatte "Save Ukraine" nach eigenen Angaben 95 Kinder zurückgebracht.

Doch dies ist nur eine Hilfe für wenige Glückliche. Niemand weiß genau, wie viele Kinder Russland mit der ausdrücklichen Förderung von Präsident Wladimir Putin verschleppt, um sie zu jungen Russen umzuerziehen. Die ukrainische Regierung führt eine Datenbank, derzufolge 19 384 Kinder verschleppt wurden. Doch die tatsächlichen Zahlen werden auf sechsstellig geschätzt, und das mit gutem Grund. Russlands staatliche Nachrichtenagentur Tass meldete am 20. Februar 2023, seit Beginn des russischen Überfalls seien 738 000 Kinder als "Flüchtlinge" nach Russland gekommen.

Den Kindern wird eingeredet, ihre Eltern hätten kein Interesse mehr an ihnen

Die Deportationen sind mutmaßlich Kriegsverbrechen oder gar Völkermord, weshalb der Internationale Strafgerichtshof am 17. März Haftbefehl gegen Putin und dessen Kinderrechtsbeauftragte Maria Lwowa-Belowa erlassen hat. Den deportierten Kindern wird in Russland weisgemacht, ihre Eltern hätten sie aufgegeben, niemand wolle sie in der Ukraine zurück, gab die Kinderrechtsombudsfrau der Ukraine, Daria Herasimtschuk, Schilderungen der 31 zurückgekehrten Kinder wieder. Diese hätten unter anderem berichtet, in Umerziehungslagern geschlagen worden zu sein, wenn sie sich etwa geweigert hätten, die russische Hymne zu singen. Dem 16 alten Artjom Schornyk sei mit der Einweisung in eine psychiatrische Anstalt gedroht worden, schilderten "Save Ukraine" und seine Mutter Natalja nach ihrer glücklichen Rückkehr in die Ukraine am Samstag.

Die Kinderhelfer müssen verschleppte Kinder mithilfe eines über Jahre aufgebauten Informantennetzwerks in Russland nicht nur finden, sondern auch angesichts der geschlossenen Grenze aufwendige Reisen über Polen und Belarus organisieren, um Kinder mit ihren Verwandten wiederzuvereinigen. Putin hat indes schon kurz nach Beginn des Großangriffes auf die Ukraine per Erlass die Verleihung russischer Staatsbürgerschaft und die Adoption ukrainischer Kinder erleichtert.

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Gegen Maria Lwowa-Belowa, die russische Beauftragte für Kinderrechte, gibt es wie für Wladimir Putin einen Haftbefehl aus Den Haag: Sie soll für die Verschleppung ukrainischer Kinder verantwortlich sein. Das streitet sie nicht einmal ab.

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