Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Eine schmutzige Wahl

  • In der Ukraine wird heute ein neuer Präsident gewählt, in den Umfragen liegt der Komiker Wolodymyr Selensky vor der früheren Premierministerin Julia Timoschenko und Amtsinhaber Petro Poroschenko.
  • Beobachter befürchten Wahlmanipulationen, es gibt Berichte über Vorbereitungen zum massiven Stimmenkauf zugunsten des amtierenden Präsidenten.
  • Außerdem beschloss die Regierung Sonderzahlungen für Rentner und einen höheren Sold für Soldaten. Auch das könnte Wähler in ihrer Entscheidung beeinflussen.

Von Florian Hassel, Kiew

Noch vor kaum drei Monaten schien Julia Timoschenko das Amt der nächsten Präsidentin der Ukraine sicher. Der unpopuläre Amtsinhaber Petro Poroschenko lag in Umfragen bei teils nur sechs Prozent, die ehemalige Premierministerin Timoschenko dagegen bei 15 bis 20 Prozent. Und in einer Stichwahl würde Timoschenko den Präsidenten klar besiegen, sagten Umfragen voraus. Doch dann kam der Silvestertag 2018.

Da erklärte der Komiker Wolodymyr Selensky, der seit Jahren als "Diener des Volkes" im beliebten Fernsehsender 1+1 einen unbestechlichen Präsidenten spielt, er wolle nun auch im echten Leben Präsident werden. Und da etliche Ukrainer enttäuscht von ihren etablierten Politikern sind, setzte sich Selensky gerade wegen seiner fehlenden politischen Erfahrung an die Spitze aller Umfragen. Damit liegt er nun angeblich rund zehn Prozentpunkte vor Timoschenko und Poroschenko, der in den letzten Monaten als Vorkämpfer für Kirche, Armee und Patriotismus Boden gutmachte. Der Präsident liefert sich nun offenbar ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Timoschenko um Platz zwei, der den Einzug in die Stichwahl sichert und damit das politische Überleben.

Der kometenhafte Aufstieg Selenskys ist nicht Timoschenkos einziges Problem. Auf dem Stimmzettel steht direkt neben Julia Wladimirowna Timoschenko der Präsidentschaftskandidat Jurij Wladimirowitsch Timoschenko, dazu an anderer Stelle Julia Litwinenko - beide politisch unbeschriebene Blätter, die keinen Wahlkampf führen und Analysten zufolge nur einen Zweck haben: "Sie sollen die Wähler verwirren und etliche dazu bringen, ihr Kreuz nicht bei Julia Timoschenko zu machen", sagt Andreas Umland vom Kiewer Institut für euro-atlantische Zusammenarbeit (IEAC).

"Solche 'technischen Kandidaten' sind in postsowjetischen Ländern ein erprobtes Mittel dreckigen Wahlkampfes", sagt Umland. "Im Fall von Jurij Timoschenko und Julia Litwinenko ging ihre Registrierung als Präsidentschaftskandidaten, bei der sie selbst nicht einmal glaubwürdig die Herkunft der umgerechnet fast 82 000 Euro Antrittsgebühr erklären konnten, sicher nicht ohne Zustimmung von oben ab."

Timoschenko-Litwinenko sind nicht die einzigen "technischen Kandidaten" unter 39 Präsidentschaftskandidaten, die keinerlei Wahlkampf führen. Der Sinn ihrer Registrierung ist nicht nur die Verwirrung der Wähler, sondern auch die Entsendung von Mitarbeitern und Beobachtern in die Wahlkommissionen und rund 30 000 Wahllokale: dort, wo eventuelle Manipulationen mit Stimmzetteln oder der Erstellung von Wahlprotokollen stattfinden oder verhindert werden.

Indizien für Manipulationen gibt es bereits: Die zentrale Wahlkommission bestellte ursprünglich jeweils 30,2 Millionen Stimmzettel für die heutige Wahl und die Stichwahl am 21. April. Später forderte die Wahlkommission weitere 263 000 Stimmzettel, die zunächst für die Stichwahl vorgesehen waren, für den ersten Wahlgang an - und konnte nicht erklären, warum sie auf einmal mehr Stimmzettel für die erste Runde benötigte. Der Zwischenfall förderte Befürchtungen, Präsident Poroschenko wolle sich gegen seine Konkurrentin Timoschenko in die Stichwahl fälschen. Die zentrale Wahlkommission bestritt die Beschuldigungen.

Das angesehene Komitee ukrainischer Wähler informierte am Freitag zudem über ihm vorliegende schriftliche Anweisungen dreier verschiedener Wahlkampfstäbe, wie bei der Wahl verfahren und manipuliert werden solle. Das Komitee nannte allerdings keine Namen. Manipuliert werden solle etwa die Stimmabgabe oder Auswertung von rund 800 000 Rentnern, Behinderten oder Kranken, die zu Hause abstimmen und ihre Stimmzettel in mobile Wahlurnen werfen.

Der Internetinfodienst Strana berichtete über angeblich bereits seit Januar laufende Vorbereitungen zum massiven Stimmenkauf zugunsten Poroschenkos, die angeblichen Mitglieder des Poroschenko-Wahlkampfstabes zufolge "sieben bis zehn Prozent" zusätzlicher Stimmen bringen könnten - mutmaßlich genug für den Einzug in die Stichwahl.

Der Bericht schlug hohe Wellen, vor allem, nachdem Ukraines Innenminister Arsen Awakow große Teile der Meldung und entsprechende Polizeiermittlungen bestätigte und den Vize-Chef der Poroschenko-Fraktion im Parlament als angeblichen Organisator des Stimmenkaufs benannte. Awakow zufolge versuche der Präsident, bis zu sechs Millionen Wähler zu bestechen.

Awakow gehört nicht zum Präsidentenlager, sondern soll eine Allianz mit Poroschenkos Konkurrentin Julia Timoschenko pflegen. Er bestreitet dies und bestätigte zudem, auch gegen das Timoschenko-Lager werde wegen geplantem Stimmenkauf ermittelt. Der von Präsident Poroschenko kontrollierte Geheimdienst SBU behauptete, die Kampagne von Julia Timoschenko wolle bis zu umgerechnet 82 Millionen Dollar für den Kauf von 680 000 Stimmen ausgeben - Timoschenkos Sprecher nannten dies eine Schmutzkampagne.

Die Möglichkeiten eines amtierenden Präsidenten gehen indes weiter - schon beim indirekten Stimmenkauf. Im März begann die Regierung, an vier Millionen Haushalte pro Kopf knapp 49 Euro als Entschädigung für erhöhte Gas- oder Strompreise auszuzahlen. Ende Februar kündigte die Regierung zudem Sonderzahlungen für zehn Millionen Rentner an. 1,9 Millionen Rentner bekommen schon im März und April zwei Sonderzahlungen von je umgerechnet 79 Euro - eine stattliche Summe in der armen Ukraine. Und ukrainische Soldaten bekommen ab April mehr Sold.

Damit nicht genug: Wahlkämpfer des Präsidenten sollen zudem Ukrainern als angeblichen Agitatoren jeweils umgerechnet gut 32 Euro zahlen. "Es überprüft allerdings niemand, ob sie irgendeinen Beitrag leisten - faktisch handelt es sich um Stimmenkauf", sagt der Parlamentarier Serhij Leschtschenko."In gewisser Weise ist diese Wahl gestohlen worden, bevor sie überhaupt stattgefunden hat." Der Wahlbeobachtergruppe Opora zufolge schicken bestochene Wähler oft ein Foto ihres ausgefüllten Stimmzettels per Mobiltelefon weiter, um zu belegen, dass sie wie vereinbart abgestimmt haben.

Drei Tage vor der Wahl enthüllten ukrainische Medien einen weiteren Skandal, der Präsident Poroschenko Wählerstimmen kosten kann. Der ukrainische Dienst von Radio Liberty berichtete in einer vielgesehenen Investigativsendung im ukrainischen Fernsehen, Ihor Kononenko - Poroschenkos enger Freund, Geschäftspartner und Vize-Vorsitzender seiner Parlamentsfraktion - habe mit weiteren Beteiligten korrupte Geschäfte im ukrainischen Energiebereich getätigt.

In Poroschenkos Wahlkampfstab kündigte der Londoner Anwalt Graham Atkins in Kononenkos Namen eine Klage gegen Radio Liberty wegen angeblich falscher Informationen an, ließ aber offen, worin diese bestanden haben sollen. Präsident Poroschenko selbst reagierte zunächst nicht. Der potenziell explosive Bericht folgt nur wenige Wochen nach Enthüllungen über massive Korruption im Verteidigungssektor, an der angeblich ein weiterer enger Freund Poroschenkos, der mittlerweile gefeuerte Vize-Chef des Nationalen Sicherheitsrates, beteiligt gewesen sein soll.

Und auch der in den Umfragen führende Komiker Selensky musste die Folgen einer potenziell unbequemen Nachricht bekämpfen: Der Investigativdienst Slidstvo fand heraus, dass Selensky und seine Frau in ihrer Vermögenserklärung eine Luxusvilla in Italien nicht angegeben hatten. Rein juristisch war Selensky dazu auch nicht verpflichtet: Er ist ein reicher Fernsehproduzent, die Villa im Schätzwert von 3,5 Millionen Euro ist im Besitz einer Firma, die Selensky und seiner Frau gehört. Ukrainischem Gesetz folgend müssen nur Amtsträger, nicht Kandidaten, auch indirekten Besitz offenlegen. Allerdings könnten Wähler die strengeren Maßstäbe auch an Kandidat Selensky anlegen, der im Wahlkampf "maximale Transparenz" versprach.

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