Ost-Ukraine:Die Schwierigkeiten der Demokratie im Donbass

Ost-Ukraine: Sieht so der Weg zum Frieden aus? Ukrainische Soldaten übertreten beim Gefangenenaustausch mit den prorussischen Separatisten am 29. Oktober 2015 eine Reihe von Panzerabwehrminen.

Sieht so der Weg zum Frieden aus? Ukrainische Soldaten übertreten beim Gefangenenaustausch mit den prorussischen Separatisten am 29. Oktober 2015 eine Reihe von Panzerabwehrminen.

(Foto: AFP)
  • Das Minsker Abkommen, das für Frieden in der Ostukraine sorgen soll, ist teilweise umgesetzt - nicht aber die Selbstverwaltung, die ein entscheidender Punkt ist.
  • Strittig ist unter anderem, ob der Sonderstatus vor oder nach den freien Wahlen in den Separatisten-Regionen in Kraft treten sollte.
  • Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung warnt davor, das Paket des Friedensabkommens aufzuschnüren.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Vor wenigen Tagen haben die ukrainische Armee und die prorussischen Separatisten Gefangene ausgetauscht. Neun Ukrainer seien freigelassen worden und elf Kämpfer aus dem Donbass, meldet dpa. Paragraf 6 des Minsker Abkommens vom Februar 2015 sieht allerdings den Austausch "aller Geiseln und unrechtmäßig festgehaltener Personen" vor, nach dem Prinzip "alle für alle". Neun gegen elf - das erfüllt diese Bedingung eindeutig nicht. Es ist ein Hoffnungsschimmer an einem grauen Horizont, vermittelt von der unermüdlichen Minsker Arbeitsgruppe, die regelmäßig tagt und kleinere und größere Erfolge auf ihrer langen Liste abhakt.

Parallel dazu aber wird ein Konflikt ausgefochten, der immer neue Opfer fordert - menschlich und ökonomisch. Man nehme allein die letzten Tage: In Russland wurde die Leiterin der ukrainischen Bibliothek, eine freundliche, 58-jährige Dame festgenommen, die einer feindlichen Agentin nicht unähnlicher sein könnte; sie habe antirussische Propaganda verbreitet, so der Vorwurf. Die Direktflüge zwischen der Ukraine und Russland wurden eingestellt. In Russland unterliegen ukrainische Bürger, so sie keine Flüchtlinge aus dem Donbass sind, seit dem 1. November einem komplizierten Aufenthaltsrecht. In den besetzten Gebieten haben die Separatisten Hilfsorganisationen die Arbeit untersagt. Und in einem solchen Klima sollen fruchtbare Gespräche über die Annäherung zwischen Donzeker und Luhansker Rebellen sowie der Regierung in Kiew stattfinden?

Der Waffenstillstand ist laut OSZE weitgehend umgesetzt, der Sonderstatus nicht

Dabei steht gerade jetzt der nächste große Brocken auf der Agenda: die Vorbereitung möglichst freier und demokratischer Wahlen in den "Volksrepubliken", deren Ergebnis Kiew anerkennen müsste. Danach: Verhandlungen mit demokratisch gewählten Regionalvertretern auf Augenhöhe. Auch Kiew hat Minsk II unterschrieben, aber bei der Vorstellung, dass der Luhansker "Regierungschef" zu Gesprächen in die Hauptstadt kommt, kriegen die meisten Ukrainer Schweißausbrüche.

Im Minsker Abkommen II war ein Waffenstillstand, der Rückzug der Truppen hinter eine "Kontaktlinie" und der Abzug leichter und schwerer Waffen vorgesehen gewesen; das alles ist nach Angaben der OSZE weitgehend umgesetzt.

Parallel sollte das Kiewer Parlament das "Gesetz für eine interimistische Selbstverwaltung in bestimmten Gegenden von Donezk und Luhansk", vulgo "Sonderstatus", in Kraft setzen und per Verfassungsänderung die Dezentralisierung in Angriff nehmen. In dieser Verfassungsreform ist der Sonderstatus des Donbass mit einem Satz erwähnt - und damit, theoretisch, anerkannt. Aber die Annahme des Gesetzes in zweiter Lesung ist wegen massiver politischer Widerstände unwahrscheinlich. Das Sonderstatusgesetz ist in Kraft, aber nicht wirksam. Das klingt alles schon sehr kompliziert?

Russland zeigt wenig Enthusiasmus für eine neurussische West-Provinz

Was nun ansteht, ist ein diplomatisches Ringen erster Güte - und noch komplizierter. An diesem Freitag nämlich wollen sich die Außenminister von Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine wieder treffen, um den nächsten Schritt zu bereden: wie man Voraussetzungen für die Lokalwahlen in den "autonomen Volksrepubliken" schafft, mit denen alle Seiten leben können. Die letzten Wahlen vor einem Jahr hatten die Separatisten flott in Eigenregie durchgeführt und sich selbst für unabhängig erklärt.

Aber mit der Souveränität ist es nicht weit her, Mütterchen Russland zeigt wenig Enthusiasmus für eine neurussische West-Provinz, die Wirtschaftslage ist desaströs, die Zukunft düster. Die Separatisten, die eigentlich in diesen Wochen erneut ihre eigenen Regionalwahlen abhalten wollten, haben diese - offenbar auf Druck aus Moskau - auf das kommende Frühjahr verschoben, um mehr Zeit zu lassen für die Verhandlungen, wie das denn alles überhaupt gehen soll.

Nach dem Minsker Abkommen sollen die nächsten Wahlen nämlich durch das Sonderstatusgesetz legitimiert sein sowie nach ukrainischem Recht und unter Kontrolle der OSZE-Wahlbeobachter stattfinden. Aber streitig ist alles: Soll es den Sonderstatus erst nach Wahlen geben, falls diese demokratischen Standards entsprechen? So sieht man es in Kiew. Oder erst neue Rechte per Sonderstatus, und dann Wahlen? So will man es in Donezk.

Freie Wahlen kann es nicht mit russischen Panzern nicht geben

Bei Wahlen nach ukrainischem Recht müssten sich die Separatisten Kiewer Jurisdiktion unterwerfen, was sie derzeit nicht tun. Sie müssten auch ukrainische Parteien und ukrainische Medien zulassen, was allseits bezweifelt wird. Und die russischen Panzer, die nach Aussagen Moskaus gar nicht da sind, müssten abziehen; freie Wahlen könnten ja wohl kaum mit Kreml-Truppen stattfinden, sagt man in Kiew.

Tatsächlich sieht auch Minsk II den "Abzug aller ausländischen bewaffneten Einheiten und Söldner" aus dem Kampfgebiet vor. Nur wann: vor den Wahlen oder danach? Und: Minsk fordert eine allgemeine Amnestie für die Separatisten. Kiew sagt: Das kann nicht für Kriegsverbrecher gelten.

Stürzt Präsident Poroschenko, wenn er die Verfassungsänderung und dann den Sonderstatus erzwingt, den einige seiner Koalitionspartner als Kotau vor Moskau verstehen? Und muss Kiew demnächst mit Russland-Freunden darüber verhandeln, wie viel Geld, das es nicht hat, es in den Aufbau einer zerstörten Region steckt, die nach der Verfassungsänderung eine Art regulären Autonomie-Status hätte?

Will Poroschenko überhaupt, dass das Abkommen funktioniert?

Gesprächspartner in Kiew sind sich der Brisanz der Lage durchaus bewusst. Und viele sind sauer auf ihren Präsidenten und auf Deutschland. Poroschenko könne nicht wollen, dass Minsk II klappt. "Denn dann hätte er eine Revolution der Moskaugegner daheim und Donezker und Luhansker Sendboten als Feind im Bett", sagt ein hochrangiger Sicherheitsexperte. "Aber er verspricht alles, was Europa will." Deutschland und Frankreich wollten den Konflikt mit Russland beenden, weil sie Geschäfte mit Moskau machen wollten. Wer den Preis dafür zahle, sei ihnen egal.

Angela Merkel denke, sagt ein hoher Beamter, der nicht namentlich zitiert werden möchte, sie könne den Konflikt im Namen der Ukraine und auf deren Rücken lösen, aber genau das könne die Ukraine zerstören. Denn die meisten Parlamentarier würden den Weg von Autonomie, Amnestie und Alimentierung der besetzten Gebiete nicht mitgehen. Was die Alternative zu diesem Modell ist? Schweigen, Schulterzucken. Am liebsten wäre es vielen Ukrainern, sie könnten den Donbass vergessen.

Das Paket des Minsker Abkommens aufzuschnüren wäre gefährlich

Damit die Vereinbarung nicht platzt, haben sich die Verhandler aus Frankreich und Deutschland offenbar eine Kompromisslösung ausgedacht, mit der die Abhaltung der Wahlen in den Separatistengebieten durchführbar wären, ohne gegen Minsk II oder die Kiewer Vorbehalte zu verstoßen: der Sonderstatus könnte "vorläufig" in Kraft treten. Und falls die OSZE den Wahlen im Donbass ihren Sanktus gäben, würde es auf Dauer gelten.

Ende vergangener Woche war Gernot Erler, der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, in Kiew. "Es ist wichtig, dass wir genau zuhören, welche Probleme die Umsetzung von Minsk für unsere ukrainischen Kollegen und Freunde bedeutet", sagte Erler. Er glaube aber, es sei gefährlich, das Minsk-Paket aufschnüren zu wollen. Die Ukraine dürfe nicht als das Land dastehen, dass die Vereinbarung platzen lässt. Das spiele Russland in die Hände. Und: Auch das Vertrauen der europäischen Partner leide.

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