Umbruch in der Ukraine:Unvollendete Revolution

Kiew Maidan

Maidan-Aktivisten im Sommer 2014.

(Foto: dpa)

Der Maidan-Aufstand ist auf halbem Weg erstarrt, das Land schwankt zwischen Reform und Beharrung. Die Wahl wird zum Test - auch für den Westen.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Knapp zwei Jahre liegt der Beginn des Maidan-Aufstandes zurück. Und weil sich, dem Krieg im Osten zum Trotz, so etwas wie eine neue Normalität, ein fragiles Equilibrium zwischen der aufbegehrenden Zivilgesellschaft und den alten Pfründenbewahrern herausgebildet hat, wird die Revolte vom Winter 2013/14 schon jetzt aufgearbeitet wie ein historisches Ereignis.

Konsens besteht darüber, dass es sich nicht um eine von Parteien oder dem Ausland gesteuerte Bewegung gehandelt hat, dass es vielmehr, Pars pro Toto, eine ganze Gesellschaft war, die sich infrage gestellt und nicht für zukunftsfähig befunden hat. Konsens besteht auch darüber, dass die Bewegung, die in Kiew ihren Ausgang nahm, mindestens ebenso sehr ein letztes Aufbäumen gegen Sowjetherrschaft, Sowjetkultur und Sowjetideologie war wie ein vehementes Hinwenden zur europäischen Moderne. Spätestens bei der Frage aber, ob "der Maidan" erfolgreich war, hört der Konsens auf.

Das Land ringt um Reformkraft

Die höchst heterogene, junge Bewegung hat es in der chaotischen Zeit von Umbruch und Kriegsausbruch versäumt, mit neuen Aktivisten neue Parteien zu gründen. Sie wurde stattdessen von den oligarchischen Netzwerken aufgesogen. Nun werden alte Anteile in Politik und Wirtschaft neu verteilt.

Den neu-alten Kräften, repräsentiert durch Präsident und Premier, jede Reformbereitschaft abzusprechen wäre fatal. Es ist viel vorwärtsgegangen seit dem Fall des Regimes Janukowitsch. Das Land verändert sich, muss sich verändern, wenn es überleben will - ökonomisch, moralisch, als Nation. Es ist offener geworden, selbstkritischer. Nun müssen die Reformer das System herausfordern. Das wissen Regierung und Parteien. Und das fordern die zivilgesellschaftlichen Kräfte, die ihrem Land eine Chance geben. Sie ließen sich ins Parlament wählen und legten im Wochenrhythmus neue Gesetze nach westlichem Vorbild vor. Sie sagen: Wir sind viele, wir schaffen das.

Die Reformen gehen nicht tief genug, sagen die anderen, weil die Zivilgesellschaft die Verantwortung nicht vollständig übernommen habe. Solange Steuer- und Zollsystem, Justiz und Verwaltung nicht reformiert seien, werde sich nichts ändern. Die Regierung sei nur eine Hülle für die, die das Geld hätten. Das Projekt Ukraine 2.0 sei also gescheitert. Man müsse sich die Bezeichnung "Generation" eben auch verdienen, heißt es , "wenn wir den Wandel nicht schaffen, muss es die nächste Generation tun."

Kommt also bald Maidan III?

Die Wahl könnte das Land erneut destabilisieren

Von großer Bedeutung für die Antwort auf diese Frage ist die Regional- und Kommunalwahl, die am Sonntag ansteht. Die Wahl könnte, sollte das Lager des Präsidenten stark geschwächt werden, das Land erneut destabilisieren: Vor allem im Osten, auch außerhalb der besetzten Gebiete, stehen sich Nationalisten und (offen oder versteckt) prorussische Kräfte unversöhnlich gegenüber. Die Kiewer Koalition könnte je nach Wahlausgang zerfallen. Was dann folgt, will sich keiner ausmalen. Der Präsident mag kein rasender Reformer sein, aber als Mann des Kompromisses ist er fast unverzichtbar.

Von entscheidender Bedeutung ist dann auch die Haltung des Westens. Dass es die Ukrainer selbst sind, die ihr Land verändern und die Versprechen des Maidan umsetzen müssen, ist unter den Wählern unumstritten - auch wenn gern darauf verwiesen wird, dass der Westen eine Bringschuld habe, weil die Ukraine als östlicher Vorposten zu - und Opfer von Russland dem vielfältigen Druck des Kreml ausgesetzt sei. Auch dass dabei amerikanisches und europäisches Geld, Thinktanks und NGOs helfen, wie sie das zuvor in anderen postsowjetischen Gesellschaften im Wandel erfolgreich getan haben, wird in der Ukraine dankbar angenommen. Weil sich, allen Verschwörungstheorien zum Trotz, eben nicht nur geldgierige US-Investmentbanker das Land unterwerfen, sondern viele Freiwillige mit Drogen- und Aidsbekämpfung, administrativer Beratung, politischem Reformdruck und humanitärer Hilfe den Alltag erträglicher machen.

Der Kampf der Systeme nach einer unvollendeten Revolution ist von außen schwer zu verstehen. Daher gerät die Ukraine, für welche die EU-Europäer zuletzt eine große, sympathisierende Neugier entwickelt hatten, wieder aus dem Fokus. Andere, blutigere und schwierigere Krisen sind zu bewältigen. Das ist riskant. Das Ende des Waffenstillstands im Donbass ist immer nur eine Provokation, eine Eskalation entfernt. Eine realistische Friedenslösung, allen Beteuerungen der Diplomaten zum Trotz, liegt in weiter Ferne. Die Ukraine steckt mitten in einem gefährlichen Experiment. Ausgang ungewiss - diese Geschichte ist nicht zu Ende.

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