Süddeutsche Zeitung

Reformen in der Ukraine:Der Oligarch zieht sich zurück

Lesezeit: 3 min

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Die "Agentur für die Modernisierung der Ukraine" (AMU) wird am Samstag ihre Arbeitsergebnisse präsentieren. 400 Seiten, 300 Maßnahmen, in 200 Tagen erstellt. Allerdings wird das Konvolut nicht in einem Wiener Palais unter großem Medienaufgebot vorgestellt - so, wie die Gründung der Agentur im März im Beisein internationaler Prominenz aus der Taufe gehoben worden war. Damals waren der deutsche Ex-Finanzminister Peer Steinbrück und Ex-EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen angereist, Frankreichs Ex-Außenminister Bernard Kouchner und Polens Ex-Premier Włodzimierz Cimoszewicz. Viel "Ex" also, angeführt von Österreichs Ex-Finanzminister Michael Spindelegger, der seit dem Rücktritt mit einer Unternehmensberatung Geld verdient.

Der Mann im Hintergrund, der Mann mit den vollen Taschen, der Mann mit der Idee für die Agentur, die ukrainische Reformer mit "Analysen, Empfehlungen, Leuchtturm-Projekten" begleiten will, war der Oligarch Dmytro Firtasch gewesen. Er saß wegen eines Ermittlungsverfahrens und eines Auslieferungsgesuchs aus den USA in Österreich fest, nachdem er für die Rekordsumme von 125 Millionen Euro auf freien Fuß gesetzt worden war. Ein österreichisches Gericht hat aber mittlerweile die Auslieferung untersagt.

Die AMU galt von Anfang an als Imageverbesserungsprojekt von Firtasch, der sein Vermögen mit russischem Gas gemacht hat und als einer der größten Profiteure der Ära von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch gilt. Der Kiewer Journalist und Parlamentsabgeordnete Sergej Leschtschenko, der gerade einen ganzen Bericht zur AMU, dem Oligarchen und den Hintergründen veröffentlicht hat, sagte schon im März: "Das ist der Versuch von Firtasch, seine Reputation wiederherzustellen und künstlich Grundlagen für eine Diskussion zu schaffen, dass er nicht dem FBI übergeben wird, sondern als wertvoller Bürger in die Ukraine zurückkehren kann."

Nur: Inzwischen machen Gerüchte die Runde, Firtasch habe vor, ganz in Österreich zu bleiben. Obwohl auch in der neuen Kiewer Regierung Oligarchen sitzen, ist das Klima für einen wie ihn rauer geworden. Zumal, seit Firtasch behauptete, er habe Petro Poroschenko überhaupt erst zum Präsidentenamt verholfen. Braucht er also seine Image-Maschine nicht mehr? Oder ist alles ganz anders?

Nach einem halben Jahr Vorarbeit will Spindelegger, Präsident der Agentur, jetzt deren Arbeitsergebnisse auf die Homepage stellen. Um zu zeigen, "was westliche Experten, aber auch Mitglieder der ukrainischen Zivilgesellschaft", unterstützt vom ukrainischem Arbeitgeberverband wie den Gewerkschaften, sich überlegt hätten, um das Land zu reformieren und wieder Investoren ins Land zu locken.

Online also. Es ist eher ein kleiner Auftritt, der da geplant ist. Spindelegger selbst erklärt das in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung damit, dass "wir unsere Arbeit gemacht haben. Jetzt liegt der Ball im Feld der anderen." Eine große Kampagne sei angesichts des anlaufenden Wahlkampfes in der Ukraine - am 25. Oktober finden dort Kommunalwahlen statt - nicht "die richtige Zeit".

Kiew ließ Österreichs Ex-Minister Spindelegger mehr als einen Monat warten

Kommunalwahlen in sechs Wochen? Vielleicht ist der wahre Grund für die neue Bescheidenheit ein anderer: Das Image der Agentur für die Erneuerung der Ukraine ist im Keller, Steinbrück und andere Experten haben längst ihre Mitarbeit aufgekündigt; sie wollten wohl nicht als nützliche Idioten eines Oligarchen gelten, der als "bad guy" das Land verließ und davon träumte, als "good guy" zurückzukehren.

Die Regierung in Kiew, bei der westliche Experten aus den USA, von der EU-Kommission, der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds ohnehin ein- und ausgehen, hat auch nicht gerade auf die Helfer gewartet, die nun ihre Arbeit auch in Brüssel vorlegen und dort um Unterstützung werben wollen. Der stellvertretende Leiter der Kiewer Präsidialkanzlei jedenfalls, bei dem Spindelegger um einen Termin gebeten hatte, ließ den Österreicher warten; "mehr als einen Monat, glaube ich". Fast kann einem der Mann leid tun. Alle lästern, völlig zu Recht, über Struktur und Vorgeschichte. Keiner schaut auf die Ergebnisse.

Das Projekt ist wohl vorerst beendet. Auch wenn Spindelegger das so nicht gelten lassen will. "Wir haben einen ersten Schritt gemacht. Bevor unsere Ideen implementiert werden, müssen aber in der Ukraine erst einmal die Voraussetzungen geschaffen werden. Kein Investor geht hin, wenn die Korruption weiter endemisch ist und das Rechtssystem nicht funktioniert."

Aber hatte Oligarch Firtasch nicht 300 Millionen Euro für die AMU versprochen und gesagt, er habe auch andere ukrainische Oligarchen ins Boot geholt, die sich finanziell an der Rettung des Vaterlandes beteiligen wollten? Der habe nur die ersten 200 Tage bezahlt, sagt der Ex-Finanzminister, nun müsse man sehen, wie es weitergehe. "Ich habe meine persönliche Planung nicht darauf ausgerichtet, meine Zukunft damit zu finanzieren." Diejenigen, die mitgearbeitet hätten, seien unabhängig, auch "ich bin nicht der Angestellte von Herrn Firtasch".

Er möchte über Inhalte reden, nicht über den Mann, über den alle reden. Außerdem: "Nicht alles, was ein Oligarch in die Hand nimmt, muss amoralisch sein." Daher auch die Idee für einen Oligarchenfonds, in den die Reichen einzahlen sollen, um Reformprojekte zu finanzieren. Die Voraussetzungen dafür müsste aber das Parlament schaffen - genauso wie für eine neue Parteienfinanzierung, Genossenschaftsbanken, private Gerichtsvollzieher. Alle Details sind ab Samstag unter http://reform-agenda.amukraine.org zu finden. Wo Spindelegger zu finden sein wird? Er ist ehrlich. "Wir fahren unsere Ressourcen stark zurück."

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SZ vom 18.09.2015
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