Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Charité-Ärzte bezweifeln Heilungschancen Timoschenkos in Charkow

Überwachung rund um die Uhr und eine misstrauische Patientin: Die Behandlung der ehemaligen ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko gestaltet sich schwierig. Nach Angaben ihrer Ärzte hat sich ihr Zustand zwar verbessert, an einer vollständigen Heilung zweifeln sie aber. Die Patientin lebt in ständiger Angst.

Friederike Zoe Grasshoff, Berlin

Das Eisenbahnerkrankenhaus in der ukrainischen Stadt Charkow. Im neunten Stock liegt die wohl bekannteste Patientin der Welt, Julia Timoschenko. Ehemalige Oppositionsführerin und Regierungschefin, Gefangene, Dauerthema in den westlichen Medien. Die Fenster sind mit Folie abgeklebt, die Überwachungskameras werden nur während der Arztvisite verdeckt.

Nicht vieles dringt aus dem Krankenhaus im Osten der Ukraine. Nur so viel: Timoschenko, die an einem Bandscheibenvorfall leidet, geht es besser - zumindest aus medizinischer Sicht. Die selbsterklärte Feindin des amtierenden Präsidenten Viktor Janukowitsch fürchtet sich vor Verleumdung, politischer Diskreditierung - und einem tödlichen Anschlag.

Das berichtet am Dienstag der Vorstandsvorsitzende der Charité, Karl Max Einhäupl, auf einer Pressekonferenz in Berlin. Einhäupl war einer der ersten deutschen Ärzte, die Timoschenko vor rund einem Monat im Gefängnis in Charkow besuchten und sie davon überzeugten, ihren Hungerstreik zu beenden.

Ihm zufolge hat Timoschenko nun weniger Schmerzen und kann sich auch einige Stunden am Tag bewegen. Die Ärzte der Charité setzten 15 Minuten Sonnenlicht für die ukrainische Patientin durch - in einem Therapieraum. Die Fenster ihres Patientenzimmers sind abgeklebt. Und eine vollständige Heilung? Derzeit nicht abzusehen. Die Behandlung kann "noch Wochen oder Monate" dauern.

Erschwert wird die Heilung durch den ukrainischen Überwachungsstaat. Nach Angaben von Einhäupl wird Timoschenko Tag und Nacht von Wachleuten und Videokameras beobachtet. Während der Visite würden die Videokameras zwar abgeklebt, doch Timoschenko habe die Sorge, dass weitere Videokameras in ihrem Zwei-Bett-Zimmer installiert seien. "Wir sind nie mit ihr allein", sagt er und beklagt, dass es nicht möglich sei, ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patientin aufzubauen.

Hinzu komme das "grundlegende Misstrauen" der Patientin: Timoschenko verweigere eine Behandlung durch die ukrainischen Ärzte des Staatsdienstes. Außerdem sei sie nicht bereit, sich Blut abnehmen oder Injektionen verabreichen zu lassen - aus Angst vor Infizierung mit Krankheitserregern. Die verabreichten Medikamente würden aus Deutschland mitgebracht.

Das Misstrauen ist wohl begründet. Einhäupl berichtet von einem "Zwischenfall". Vertrauliche Patientenunterlagen seien - ohne ärztliche Zustimmung - im Fernsehen gezeigt worden, was auf Seiten Timoschenkos zu einem weiteren Vertrauensverlust geführt habe.

Timoschenko verbüßt seit August eine siebenjährige Haftstrafe wegen angeblichen Amtsmissbrauchs. Nachdem sie in einem Frauengefängnis in Charkow in den Hungerstreik getreten war und damit weltweit für Aufsehen sorgte, wird sie seit Anfang Mai durch ein Ärzteteam der Berliner Charité behandelt. Am 9. Mai 2012 wurde sie ins Eisenbahnerkrankenhaus verlegt.

Nach Angaben ihrer behandelnden deutschen Ärzte fordert Timoschenko, in ein Krankenhaus in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gebracht zu werden - oder in den Hausarrest. "Das würde sicher die Gesamtsituation verbessern und die Therapierbarkeit deutlich vereinfachen", sagte Einhäupl. Er jedenfalls werde sich für eine Verlegung seiner Patientin einsetzen.

Fest steht bisher nur eines: Das Drama um Timoschenko geht weiter, mal lauter, mal leiser. Und zwar in dem Land, das ab Freitag gemeinsam mit Polen die Fußball-Europameisterschaft ausrichten wird. Das Ärzte-Team der Charité will Timoschenko auch dann medizinisch betreuen, wenn die Medienhysterie um die ukrainische Patientin nach der EM abebbt. Einhäupl: "Wir sind froh, dass wir sie weiter behandeln."

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