Ukraine:Atempause vor dem nächsten Angriff

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"In den vergangenen vier Tagen konnten wir 1200 unserer Gefangenen befreien", sagte Präsident Poroschenko in Mariupol. (Foto: AFP)

Der vereinbarte Zwölf-Punkte-Plan soll der Ukraine Frieden und den Rebellengebieten Autonomie bringen. Dass er realisiert wird, ist allerdings zweifelhaft. Denn die Gefechte gehen weiter.

Von Florian Hassel, Mariupol

Der Friedensplan zwischen den prorussischen Rebellen und der ukrainischen Regierung war noch keine zwei Tage alt, als Jurij Luzenko klarmachte, dass er nicht viel von diesem geplanten Frieden hält. Luzenko, Ratgeber des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Führer von dessen Partei Block Petro Poroschenkos, sieht den am Freitag in Minsk unterschriebenen Zwölf-Punkte-Plan lediglich als eine Atempause - auf dem Weg zu neuer militärischer Konfrontation.

In einem Beitrag für die Kiewer Online-Zeitung Ukrainska Prawda schrieb Luzenko, der am Freitag beschlossene Plan, der unter anderem Autonomie für die von den Rebellen kontrollierten Teile der Regionen Donezk und Luhansk und ein Wiederaufbauprogramm vorsieht, sei ein "Krebs im Körper der Ukraine, den wir nicht zulassen können". Doch seit Russland in den vergangenen Wochen immer direkter in den Krieg eingegriffen habe und selbst Elitetruppen in die Ukraine geschickt habe, seien ebenso viele ukrainische Soldaten gestorben wie in allen Monaten zuvor zusammengenommen.

Präzises Feuer der russischen Artillerie - Amnesty International hatte am Sonntag Satellitenaufnahmen von russischen Artilleriestellungen auf ukrainischem Gebiet veröffentlicht - habe zu hohen Verlusten der Ukrainer geführt. Einem Armeesprecher zufolge starben bisher 864 ukrainische Soldaten. Da nur die Einheiten des Verteidigungsministeriums erfasst sind, nicht aber die des Innenministeriums und von Einheiten des Inlandsgeheimdienstes, liegen die tatsächlichen Verluste deutlich über dieser Zahl.

Premier Jazenjuk kündigte an, das Kriegsrecht einzuführen, sollten die Kämpfe weitergehen

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Ein Zehntel der Soldaten habe seine Positionen ohne Befehl verlassen, sagte Luzenko. Angesichts der Stärke des russischen Militärs "brauchen wir jetzt erst einmal Zeit für die Restrukturierung der ineffektiven Führung und Modernisierung der ukrainischen Streitkräfte". Als Vorbild für die Ukraine könne Kroatien dienen. Nachdem dort die jugoslawische Armee 1991 Vukovar und die Krajina im Südosten Kroatiens erobert hatte, sei Kroatien gezwungen gewesen, die von den Serben ausgerufene Republik Krajina zu akzeptieren. In den folgenden drei Jahren aber habe Kroatien seine Wirtschaft und Armee modernisiert - und die Separatisten innerhalb von Stunden mit einem machtvollen Angriff "von seinem Territorium vertrieben", sagte Luzenko.

Keine Illusionen über die weiteren Pläne

Auch führende Separatisten pflegen keine Illusionen über die weiteren Pläne Kiews. "Das Ziel des Waffenstillstands ist für Kiew, sich neu zu gruppieren und uns dann anzugreifen", sagte der Verteidigungsminister der selbst ausgerufenen Volksrepublik Donezk, Wladimir Kononow. In einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte Präsident Poroschenko, nach der Unterzeichnung des Friedensplanes müssten jetzt alle zwölf Punkte auch umgesetzt werden. Vor allem müsse garantiert werden, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Einhaltung des Waffenstillstandes kontrollieren könne. Bisher fehlen der OSZE aber Sicherheitsgarantien, um sich auch auf dem von den Separatisten kontrollierten Gebiet bewegen zu können. In den vergangenen Monaten wurden OSZE-Beobachter mehrmals von den Rebellen entführt.

Der Zwölf-Punkte-Plan sieht vor, dass alle "illegalen bewaffneten Formationen, Militärtechnik sowie Rebellen und Söldner" die Ukraine verlassen sollen. Wie dies geschehen soll, ist allerdings noch völlig offen - die Herrschaft der Separatisten in der Südostukraine stützt sich auf eben diese Rebellen, Söldner und von Moskau gelieferte Panzer und Waffen. Sollten andere zentrale Punkte des Friedensplans umgesetzt werden, wie die Autonomie für die Rebellengebiete und vorgezogene Wahlen, würde die Separatistenherrschaft wohl erst einmal zementiert.

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Schon jetzt ist der Waffenstillstand brüchig

Dass der Minsker Friedensplan realisiert wird, ist bisher allerdings zweifelhaft. Schon jetzt ist der Waffenstillstand brüchig. Es gibt Belege dafür, dass die Rebellen Granaten auf Stellungen der Ukrainer abfeuern, um sie ihrerseits zu Gegenfeuer zu provozieren, so beobachteten es Reporter in der Nähe des Flughafens von Donezk. Auch am Montag wurde dort wieder gekämpft. Verteidigungsminister Kononow hingegen behauptete, ukrainische Streitkräfte würden weiterhin Positionen der Rebellen beschießen. Gehe dies weiter, sei er gezwungen, wieder auf breiter Front das Feuer zu eröffnen.

Ukraines Regierungschef, Premierminister Arsenij Jazenjuk, kündigte für den Fall weiterer Kämpfe an, das Kriegsrecht einzuführen. "Wenn der Friedensplan von der EU und den USA unterstützt wird und wenn Russland ihn erfüllt, brauchen wir natürlich kein Kriegsrecht. Aber wenn der Waffenstillstand so endet wie alle vorangegangenen, gibt es keine andere Variante", sagte er im ukrainischen Fernsehen.

Ein ausgebranntes Auto in der Nähe von Mariupol. (Foto: AFP)

Ukraines Präsident Petro Poroschenko gab am Montag bei einem Besuch in der hart umkämpften Stadt Mariupol bekannt, man habe Hunderte Landsleute aus der Gewalt prorussischer Separatisten befreit. "In den vergangenen vier Tagen konnten wir 1200 unserer Gefangenen befreien", sagte der Präsident laut der Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine. Unklar blieb allerdings, ob die Befreiung mit dem Gefangenenaustausch zusammenhängt, den Kiew mit den Separatisten in der Ostukraine vereinbart hatte. Laut unbestätigten Meldungen soll in Dörfern östlich von Mariupol noch in der Nacht zum Montag gekämpft worden sein.

© SZ vom 09.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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