Drohnenschlag gegen LuftwaffenbasenUkraine greift russische Luftwaffe tief im Landesinneren an

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Screenshots des Drohnen-Videos, welches einen der angeblich getroffenen  Tu-95- Langstreckenbomber auf dem Flugfeld in der Region Irkutsk zeigt.
Screenshots des Drohnen-Videos, welches einen der angeblich getroffenen Tu-95-Langstreckenbomber auf dem Flugfeld in der Region Irkutsk zeigt. (Foto: Screenshot X)

Tausende Kilometer von der Frontlinie entfernt gehen mehr als 40 russische Flugzeuge in Flammen auf. Sie werden Opfer einer ukrainischen Drohnenattacke, gestartet womöglich von Lastwagen nahe den Zielen.

Von Florian Hassel, Belgrad

Einen Tag vor den für Montag angesetzten Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine haben sich beide Kriegsparteien mit Rekordangriffen ihrer Luftwaffen überzogen. Zuerst griffen die Russen in der Ukraine in der Nacht zum Sonntag Charkiw, Sumy, Schytomyr, Odessa, Donezk, Dnipropetrowsk und Saporischschja mit insgesamt 472 Kamikazedrohnen, drei ballistischen Raketen und vier Marschflugkörpern an, so die ukrainische Luftwaffe.

Zwar sei es gelungen, die meisten Drohnen abzuschießen oder elektronisch zu zerstören. Auch drei Marschflugkörper seien abgeschossen worden. Den Russen sei es indes gelungen, 18 Ziele in der gesamten Ukraine zu treffen. Darunter war auch der Truppenübungsplatz Nr. 239, zwölf Soldaten starben. Mychajlo Drapatyj, Kommandeur der ukrainischen Landstreitkräfte, reichte danach am Sonntag bei Präsident Wolodimir Selenskij seinen Rücktritt ein, gab er auf Facebook bekannt.

Doch auch die Ukrainer blieben nicht untätig: In der teils russisch besetzten Region Saporischschja sei ein auf die besetzte Krim fahrender Militärzug zerstört worden, erklärte der Militärgeheimdienst HUR. Die Untergrundgruppe Atesch reklamierte einen Angriff auf Eisenbahnstruktur in der besetzten Region Donezk für sich. Und in der Region Brjansk starben sieben Zugpassagiere bei einer offenbar durch Brückensprengungen herbeigeführten Entgleisung, hier ist der Urheber unklar.

Außerdem griff die Ukraine vier russische Militärflughäfen mit Kamikazedrohnen an; es war der aus ihrer Sicht erfolgreichste Angriff des bisherigen Krieges. Der ukrainische Geheimdienst SBU, der auch über militärische Spezialeinheiten verfügt, informierte ukrainische Medien, es seien die Militärflughäfen Djagilewo in der Region Rjasan, Olenja in der Region Murmansk, Belaja in der Region Irkutsk und Iwanowo in der Iwanow-Region angegriffen worden.

Auf diesen Militärflughäfen sind Langstreckenbomber etwa der Typen Tupolew-22, Tupolew-95 oder Tupolew-160 stationiert, die jeweils mindestens 16 Marschflugkörper tragen können, die moderne TU-160 gar 36 dieser Waffen. „SBU-Drohnen üben an Flugzeugen, die ukrainische Städte jede Nacht bombardieren“, kommentierte ein SBU-Offizier ein Video. „Gegenwärtig sind mehr als 40 Flugzeuge getroffen worden, einschließlich Tupolew-95, Tupolew-22 und A-50“, dem russischen Pendant zum Awacs-Radaraufklärungsflugzeug der Amerikaner. Allein dieses Flugzeug, von dem die Russen weniger als zehn Exemplare haben sollten, wird auf einen Wert von Hunderten Millionen Euro geschätzt.

Im Nachrichtenportal New Voice (NV)  und im Kyiv Independent veröffentlichte der SBU Fotos der „Spezialoperation Pautina“ und ein Video, das eine Reihe brennender Langstreckenbomber zeigt. „So toll sieht jetzt der Flughafen Belaja aus, die feindliche strategische Luftwaffe“, kommentierte eine Stimme, die NV als die des ukrainischen Geheimdienstchefs Generalleutnant Wassyl Maljuk identifizierte.

„Bei uns hat der Krieg begonnen“, berichtete der russische Telegram-Kanal Baza und beschrieb den Angriff auf den Militärflughafen Olenja in der Region Murmansk. „Die Drohnen fliegen eine nach der anderen, es kommt zu Explosionen, Maschinengewehre arbeiten.“ Russische Offizielle bestätigten mehrere Angriffe, ohne ins Detail zu gehen.

Andrej Tschibis, Gouverneur der russischen Nordmeerregion Murmansk, eröffnete den Tag mit Glückwünschen zum „Internationalen Tag des Kinderschutzes“ – und musste wenige Stunden später bestätigen, dass „auf dem Gebiet der Region Murmansk der Anflug feindlicher Drohnen stattfindet“, offenbar auf den Militärflughafen Olenja. In der sibirischen Region Irkutsk bestätigte Gouverneur Kobsew auf seinem Telegram-Kanal: „Es gab einen Drohnenangriff auf den militärischen Teil im Dorf Srednij – den ersten in Sibirien.“ Das Dorf liegt neben dem Militärflughafen Belaja, der mutmaßlich am stärksten getroffen wurde.

Der Gouverneur behauptete, die Drohnen seien aus der Nähe von einem Lastwagen abgefeuert worden; die Polizei behauptete im russischen Infodienst Baza, der flüchtige Fahrer sei festgenommen worden. Die Schilderung deckt sich mit Angaben zum Vorgang des Angriffs aus der Ukraine. Aus dem Umfeld des SBU hieß es, man habe mit Sprengstoff beladene Drohnen in Dächern von Holzschuppen versteckt, die an den Rand der Luftwaffenstützpunkte gebracht worden seien. Die Dachplatten der Schuppen sein ferngesteuert abgehoben worden, so dass die Drohnen herausfliegen und angreifen konnten. Das ungestörte Durchkommen eines mit sprengstoffbestückten Drohnen beladenen Lastwagens über russisches Territorium ist wohl ein beispielloses Versagen der russischen Sicherheitsdienste.

Selenskij schrieb zunächst auf Telegram nach den Angriffen auf Russlands Militärflughäfen, ohne sie zu erwähnen, die ukrainische Verhandlungsdelegation für die am Montag geplanten Gespräche mit den Russen in Istanbul würden von Verteidigungsminister Rustam Umjerow geführt. „Wir tun alles, um unsere Unabhängigkeit, unseren Staat und unser Volk zu schützen“, sagte Selenskij und fügte hinzu, „um einen verlässlichen, dauerhaften Frieden und Sicherheitsgarantien zu erreichen, müssen wir ein Treffen auf höchster Ebene vorbereiten. Nur die Führer können die Schlüsselprobleme lösen.“

Auf X feierte er schließlich den Überraschungsangriff als „absolut brillanten Erfolg“. Dies sei die weitestreichende Operation der Ukraine im bisherigen Kriegsverlauf. „Ein Jahr, sechs Monate und neun Tage vom Planungsbeginn bis zur effektiven Umsetzung“, so Selenskij.

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