Süddeutsche Zeitung

Afrika:Wenn Trinkwasser und Grundnahrungsmittel unbezahlbar werden

Viele afrikanische Länder leiden unter den steigenden Lebensmittelpreisen. Der Krieg in der Ukraine macht alles teurer - und bedroht die politische Stabilität.

Von Bernd Dörries, Nairobi

Luciana Kuboka sitzt in ihrem Restaurant in Kenias Hauptstadt Nairobi und frittiert kleine Teigballen in Pflanzenöl. Am Fenster stehen kleine Kinder in Schuluniform, halten ein paar Cent in Münzen hin und bekommen dann den gegarten Teigballen eingewickelt in Zeitungspapier. Es ist ihr einziges Mittagessen, sagt Kuboka. Das einzige, das sich die Eltern leisten können. "Mama J" hat sie ihr Restaurant vor ein paar Jahren genannt, eine recht geräumige Hütte aus Wellblech mit etwa 15 Sitzplätzen.

An der Wand hängt eine Karte mit fast 20 Gerichten, die meisten mit Ugali, einem Klumpen aus Maismehl, dazu gibt es Gemüse, Fisch und Fleisch. Jeden Morgen um sieben Uhr beginnen Luciana Kuboka und ihr Mann mit der Arbeit in Nairobis Slum Mathare, abends um 22 Uhr schließen sie den Laden, dazwischen schnippeln sie Gemüse und frittieren den Fisch, sie kochen das Maismehl und husten wegen des vielen Rauchs aus dem Kohlegrill.

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In der Küche ist es eigentlich nur wenige Minuten auszuhalten, dann tränen dem Besucher die Augen. Luciana Kuboka und ihr Mann halten es hier schon viele Jahre aus. Aber womöglich nicht mehr lange. "Wir halten uns nur noch gerade so über Wasser", sagt sie. "Ich verdiene nicht wirklich was. Ich mache nur weiter, um meine Kunden nicht zu verlieren." Das teuerste Gericht, der frittierte Fisch, kostet 130 kenianische Shilling, etwas mehr als einen Euro. Die Preise hat sie seit Jahren nicht erhöht, obwohl sie immer mehr bezahlen muss für ihre Waren.

Erst hat die Pandemie die Waren verteuert - dann kam Russlands Krieg

Durch Corona war bereits alles teurer geworden, dann kam auch noch der Angriff auf die Ukraine dazu. Anfang 2020 kosteten 20 Liter Speiseöl noch etwa 20 Euro, nun muss Luciana Kuboka mehr als das Doppelte zahlen, 45 Euro. An die Kunden kann sie die Preissteigerungen nicht weitergeben. "Viele haben ihre Jobs verloren und können sich kaum noch etwas zu essen leisten", sagt sie. Es sind bittere Zeiten in den Slums von Nairobi.

Während Europa noch darüber debattiert, wie hart der Winter wird, wie lange man noch warm duschen sollte, haben die Folgen des Ukraine-Krieges große Teile Afrikas bereits mit voller Wucht erreicht. Erst blieben die so wichtigen Getreide-Lieferungen für viele Staaten in Ostafrika aus, nun explodieren überall die Preise.

In Südafrika kostet das Benzin 56 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. In Ghana müssen die Bauern 50 Prozent mehr für ihren Dünger zahlen, dessen Grundstoffe aus Russland kommen. In Nigeria sind die Preise für Bohnen um ein Viertel gestiegen. In Somalia kostet trinkbares Wasser nach Angaben von Hilfsorganisationen vier Mal so viel wie noch vor Monaten. Allein hier sind 1,7 Millionen Kinder unterernährt. Auch für sie wird die Hilfe schwieriger, weil selbst die Notrationen für die Hilfsorganisationen drastisch teurer werden.

Internationale Hilfe kommt nur langsam

Der französische Hersteller des Nahrungsriegels Plumpy Nut, den die UN verteilt, hat im vergangenen Jahr die Preise um 23 Prozent erhöht. Plumpy Nut besteht zu großen Teilen aus Erdnüssen, Milchpulver, Pflanzenöl und Zucker, das alles teurer geworden ist. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef rechnet damit, dass die Kosten für den Riegel in den kommenden Monaten um weitere 16 Prozent steigen werden, was bedeuten würde, dass eine halbe Million Kinder weniger mit der Paste versorgt werden können.

Die internationale Hilfe für Afrika läuft bisher nur langsam an. Manche Regierungen versuchen, die Preise für verschiedene Grundnahrungsmittel per Dekret einzufrieren oder die Händler zu subventionieren. Oft aber fehlen dafür schlicht die Mittel. In Ghana hat die Notenbank den Zinssatz auf 22 Prozent erhöht, um der Inflation von 31,7 Prozent irgendetwas entgegenzusetzen. Kurzfristig mag das gelingen, langfristig kann es das Wirtschaftswachstum abwürgen.

Russlands Feldzug und die Corona-Pandemie sind nicht die einzigen Ursachen der steigenden Preise, sie potenzieren aber die Probleme vieler Volkswirtschaften - und bedrohen die politische Stabilität in einigen Ländern.

In Maputo, der Hauptstadt Mosambiks, errichteten Demonstranten Barrikaden auf den Straßen und setzten Reifen in Brand, die Polizei reagierte mit Tränengas. In Sierra Leone kamen vor wenigen Tagen 21 Zivilisten bei Demonstrationen gegen die steigenden Lebenshaltungskosten ums Leben, in dem westafrikanischen Land beträgt die Inflation nach offiziellen Angaben knapp dreißig Prozent.

Die Erträge könnten sinken, weil weniger gedüngt wird

Präsident Julius Maada Bio kündigte eine offizielle Untersuchung an, aber nicht, um den Menschen bei der Bewältigung ihres immer teurer werdenden Alltages zu helfen, er wolle die Anführer eines "Putschversuches der Terroristen" ausfindig machen. Auch in Malawi kam es zu heftigen Protesten, 76 Demonstranten wurden festgenommen. In Südafrika und Uganda riefen die Gewerkschaften zu Massenstreiks auf.

Mittlerweile sinken die Benzinpreise in manchen Regionen leicht, wie sich die Lage aber weiter entwickelt, ist offen. Die Getreideproduktion in Russland und der Ukraine wird in der kommenden Erntesaison geringer rausfallen, Experten gehen davon aus, dass bis zu 50 Prozent weniger Weizen geerntet werden könnte. Zwar konnten einige Schiffe die Häfen der Ukraine verlassen, viele von ihnen transportierten aber lediglich Tierfutter. Auch in Afrika selbst werden die Erträge der Landwirtschaft möglicherweise sinken. Während die meisten Landwirte in Ghana ihre Felder normalerweise bis August vollständig gedüngt haben, ergab eine vom afrikanischen Agrartechnikunternehmen Farmerline durchgeführte Umfrage, dass mehr als die Hälfte der 178 befragten Landwirte ihre Felder in diesem Jahr überhaupt nicht gedüngt haben.

Luciana Kuboka in Nairobi rechnet nicht damit, dass die Preise so schnell sinken werden. Lange wird sie nicht mehr durchhalten, befürchtet sie. Viele ihrer Kunden haben kein Geld mehr für Fisch oder Fleisch. Höchstens noch für eine dünne Suppe aus ausgekochtem Rinderkopf.

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