Ukip nach dem Brexit:Farage drückt sich vor der Verantwortung

U.K. Independence Party Leader Nigel Farage Resigns Adding To Brexit Political Turmoil

Nigel Farage wird nach der Verkündung seines Rücktritts als Parteichef von Leibwächtern geschützt

(Foto: Bloomberg)

Glas zertrümmern, das können sie. Aber den Scherbenhaufen zusammenfegen, das sollen andere machen. Nigel Farage zeigt mit seinem Rücktritt, was von Populisten zu halten ist.

Kommentar von Thorsten Denkler

Es ist schwer, nicht in Klischees zu verfallen: Lachen oder weinen, nach mir die Sintflut, schlimmer geht immer, Politik wie im Kindergarten, eine Farce. Passt alles. Und beschreibt doch nicht hinreichend genug, wie die britische Politik sich in diesen Post-Brexit-Tagen präsentiert. An diesem Montag wieder: Nigel Farage, der wortgewandte Führer der UK Independence Party (Ukip), der britischen Unabhängigkeitspartei, tritt zurück. Und zwar, weil "ich mein Leben zurückhaben möchte", wie er am Vormittag sagt.

Endlich wieder fischen gehen, meint er wohl. Damit hatte er schon 2015 seinen ersten Rücktritt begründet, als er in der Wahl zum Unterhaus kein Direktmandat gewinnen konnte. Er hat dann recht schnell wieder den Rücktritt vom Rücktritt erklärt. Diesmal aber meint er es ernst, sagt er. Diesmal werde er seine Meinung nicht wieder ändern.

Nach David Cameron und Boris Johnson zieht sich jetzt also der dritte Verantwortliche für den Brexit-Irrsinn auf der Insel zurück.

Premierminister Cameron hatte das Referendum möglich gemacht, weil ihm sonst womöglich seine Partei um die Ohren geflogen wäre. Er hat sich komplett verzockt, das Land in seine tiefste Krise nach dem Zweiten Weltkrieg gestürzt. Und ob seine Partei dies alles überlebt, ist auch noch nicht sicher. Cameron schmeißt hin. Aufräumen müssen andere.

Sein Widersacher und früherer Londoner Bürgermeister Johnson hatte für den Brexit geworben, ist das Gesicht der Austritts-Kampagne geworden. Und das weniger aus tiefer Überzeugung als vielmehr, um sich in eine gute Position für die Nachfolge von David Cameron zu bringen. Auch er hat sich verzockt. Auf Kosten des Landes. Mit dem Brexit scheint er nicht wirklich gerechnet zu haben. Offenbar erschrocken über sich selbst will Johnson jetzt nicht einmal mehr versuchen, Premierminister zu werden.

Farage, seit zehn Jahren Chef der Ukip, glaubt jetzt alle seine politischen Ziele erreicht zu haben. Die Bürger Großbritanniens haben auch dank seiner Ammenmärchen über die rosige Zukunft des Landes nach einem Brexit mehrheitlich für den Ausstieg aus der EU gestimmt. Er war es auch, der auf dem Rücken von Migranten und Flüchtlingen den Brexit-Wahlkampf geführt und freudig die irrationalen Ängste unter den Briten bedient hat.

Und jetzt, da er sich als der Sieger fühlen darf, da er noch in der Wahlnacht den 23. Juni zu seinem persönlichen Unabhängigkeitstag erklärt hat, da geht er. Wie unfassbar feige das ist. Was für ein Hochstapler.

Das Referendum ist das eine. Die Umsetzung des Brexits aber etwas ganz anderes. Großbritannien muss jetzt mit so wenig Schäden wie irgend möglich durch die kommenden Jahre geführt werden. Die Verhandlungen mit der EU um die Bedingungen für einen Ausstieg werden beinhart.

Sie werden auch zeigen, dass viele Versprechen der Brexit-Freunde nicht zu halten sein werden. Will das Land im Binnenmarkt bleiben, muss es die Regeln der EU akzeptieren. Steigt es auch aus dem Binnenmarkt aus, wird das für die britische Wirtschaft unabsehbare Folgen haben.

Das Land braucht mehr Führung und Orientierung als je zuvor. Und in genau der Phase treten genau jene Politiker ab, die das Land in den Schlamassel geführt haben.

Hauptsache dagegen - Konsequenzen egal

Farages Rücktritt zeigt, wie verantwortungslos am Ende Populisten handeln. Sie sind - entgegen ihrer eigenen Erzählung über das elitäre Establishment - auch nicht besser als die von ihnen kritisierten Politiker. Sondern schlimmer. Das sollten sich alle jene vor Augen führen, die glauben, Populisten wie Farage hätten Lösungen. Sie mögen die schöneren Versprechen haben. Antworten haben sie keine.

Farage hätte ja nicht einmal etwas zu entscheiden gehabt in den kommenden Jahren. Seine Partei spielt im britischen Unterhaus keine Rolle. Im Europaparlament ist sie vor allem laut.

Als Parteichef hätte er sich jetzt aber konfrontieren lassen müssen mit den Härten, denen das Land ausgesetzt sein wird. Er hätte sich zur Rede stellen lassen müssen, wenn demnächst das Wachstum zurückgeht, die Arbeitslosigkeit steigt, wenn von Großbritannien nach einer möglichen Abspaltung Schottlands nur noch ein Klein-England übrigbleibt.

Aber dafür müsste Farage ein seriöser, ein verantwortungsbewusster, ein konstruktiver Politiker sein. Das ist er nicht. Farage steht vor allem gegen etwas, gegen die EU. Das muss reichen. Die Konsequenzen sind ihm egal. Es ist die gleiche Masche, mit der ein Alexander Gauland, eine Frauke Petry, eine Marine Le Pen versuchen, Wählerstimmen zu sammeln.

Es ist gut, dass Farage mit seinen Hetzparolen nicht mehr in der ersten Reihe der britischen Politik sitzt. Er wird schon noch genug Schaden als Sprecher seiner Ukip-Gruppe im Europäischen Parlament anrichten.

Diesen Posten und sein Abgeordnetenmandat will Farage übrigens behalten. Konsequent wäre, das Europäische Parlament zu verlassen. Stattdessen lässt er sich lieber weiter von den europäischen Steuerzahlern seine Angel-Trips finanzieren. Das ist wohl die Dialektik eines Populisten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: