Süddeutsche Zeitung

Pandemie:Scharfe Kritik an Uefa wegen zu vielen Fans und zu wenig Schutz

Angesichts der Ausbreitung der Delta-Variante wächst der Ärger über die hohen Zuschauerzahlen bei der Fußball-EM. Vizekanzler Scholz fordert die Verantwortlichen auf, ihr Konzept dringend zu überdenken.

Von Björn Finke, Cerstin Gammelin, Carsten Scheele und Angelika Slavik

In Hinblick auf die sich ausbreitende Delta-Variante nimmt die Kritik an den Verantwortlichen für die Fußball-Europameisterschaft wegen zu vielen Zuschauern und mangelnden Corona-Schutzmaßnahmen in den Stadien zu. Für das Achtelfinale zwischen Deutschland und England sind bis zu 45 000 Fans im Londoner Wembley-Stadion zugelassen, die Halbfinalpartien und das Endspiel sollen an gleicher Stelle sogar für 60 000 Zuschauer geöffnet werden. Weil die Corona-Zahlen durch die Delta-Variante zuletzt in Großbritannien wieder steigen, ist dieser Schritt umstritten.

Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz mahnte die Europäische Fußball-Union (Uefa) eindringlich zu Vorsicht: "Bei aller Freude über die spektakulären Spiele dieser EM halte ich es für bedenklich, wie viele Zuschauer inzwischen in einige Stadien gelassen werden", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Mühsam und unter großen Anstrengungen haben wir die Pandemie in Europa in den Griff bekommen, das sollten wir jetzt nicht aufs Spiel setzen." 60 000 Zuschauer in Wembley seien zu viele. Die Uefa solle ihr Konzept dringend überdenken.

Söder: Entscheidung der Uefa nicht akzeptabel

Dass die Partien überhaupt dort ausgetragen werden sollen, bezeichnete der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) als "eigentlich nicht zu verantworten". Dies ginge "nur mit harter Einhaltung der Regeln und der Abstände", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Plan, jetzt noch mehr Leute in die Stadien zu lassen, wie in Wembley, sei unverfroren. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nannte die Uefa-Entscheidungen zu den Zuschauerzahlen "nicht akzeptabel".

Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) übte am Dienstag Kritik an der Uefa: "Ich finde, diese Bilder voller Stadien fühlen sich falsch an, und die sind in dieser Zeit auch falsch." Es sei schwer, für das Einhalten von Regeln zu werben, "wenn über den Bildschirm jeden Abend das Gegenteil flimmert". Es sei richtig, die Stadien in reduziertem Umfang und mit klaren Regeln zu öffnen, wie es zuletzt auch in München getan worden sei.

Scharfe Kritik kommt auch aus dem Europaparlament: "Ich finde das Verhalten der Uefa unerträglich", sagt Peter Liese, der gesundheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion, also der Christdemokraten. Der Verband müsse "mindestens den größten Schaden verringern und die Zuschauerzahlen deutlich reduzieren sowie dafür sorgen, dass Maskenpflicht und andere Maßnahmen strenger kontrolliert werden", fordert der CDU-Europaabgeordnete. Würden sich alle so verhalten wie die Uefa-Verantwortlichen, "werden wir nach den Sommerferien in ganz Europa wieder hohe Infektionszahlen haben, und speziell Schulkinder werden darunter leiden".

Beim Europäischen Fußballverband sieht man indes keinen Handlungsbedarf. Auf SZ-Anfrage erklärte die Uefa am Dienstag, es seien "keine Änderungen vorgesehen" am bisherigen Zuschauerkonzept. Wie viele Fans in London oder im zweiten Corona-Hotspot der EM, Sankt Petersburg, in die Stadien gelassen werden, läge ohnehin nicht in der Hand des Verbands: "Die endgültige Entscheidung über die Anzahl der Zuschauer wird immer von den jeweiligen lokalen Behörden getroffen." Dabei hatte die Uefa vor Turnierbeginn noch darauf gedrängt, dass in alle Stadien Zuschauer eingelassen werden, um Geisterspiele zu verhindern.

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