Überwachungsaffäre:NSA-Ausschuss endet im Streit

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Ausspähen von Freunden ist gang und gäbe, auch beim BND. Das zeigt der NSA-Untersuchungsausschuss. Doch Regierung und Opposition ziehen daraus gegensätzliche Konsequenzen.

Von Reiko Pinkert, Antonius Kempmann und Ronen Steinke, München

Wer den Spielfilm "Snowden" des Regisseurs Oliver Stone gesehen hat, der bekam darin nachdrücklich eingeschärft, welchem Ziel der weltweite Lauschapparat der USA diene. Jagt die National Security Agency Terroristen, Waffenschmuggler, Geldwäscher? Ja. Auch. Daneben aber belausche die NSA Zivilisten, Bürokraten, Wirtschaftsleute. Nicht bloß um Anschläge zu verhindern. Sondern, in den Worten Oliver Stones, um die "weltweite Dominanz" der USA in Politik und Wirtschaft mittels Informationsvorsprüngen zu stärken.

Wer indes den 1. Untersuchungsausschuss des 18. Deutschen Bundestages verfolgt hat, der an diesem Mittwoch seinen Abschlussbericht vorlegt, der ist vielfach daran erinnert worden, dass dies so außergewöhnlich nicht ist.

Geballt auf den 1822 Seiten des Berichts ist noch einmal zu lesen, welche Ziele auch deutsche Geheimdienstler ausgeforscht haben. Die Innenministerien der USA, Polens, Österreichs, Dänemarks, Kroatiens, US-Vertretungen bei der EU in Brüssel und den Vereinten Nationen in New York, das US-Außenministerium, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf, Frankreichs langjährigen Außenminister Laurent Fabius, das Amt des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und so gut wie jede europäische Regierung hat der Bundesnachrichtendienst (BND) demnach mithilfe eigener Suchbegriffe, sogenannter Selektoren, ausgespäht. Manchmal bis hinunter zum Agrarministerium.

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Kommentar von Heribert Prantl

Es ist ähnlich wie bei den großen Partnern in Amerika: Auch der BND ist nicht nur eine Sicherheitsbehörde. Sondern ein Recherchedienst für Regierungspolitiker, die mehr wissen wollen, als in der Zeitung steht. Das hat nur zum kleineren Teil mit Terror und Krieg zu tun. Zum größeren Teil mit anderen Politikfeldern. Das konnte man auch vorher wissen.

Aber wenn von dem Untersuchungsausschuss ein zentrales Verdienst bleibt, dann: dies mit beachtlicher Gründlichkeit und Hartnäckigkeit anhand von ein paar Beispielen plastisch gemacht zu haben. BND-Lauschaktionen im Ausland sind nur selten dadurch gerechtfertigt, dass Leben gerettet werden. Oft steht auf der Habenseite bloß ein Vorteil bei internationalen Verhandlungen.

BND spähte auch Ziele in Washington aus

Als Teil dessen hat der BND offenbar zwischen 1998 und 2006 auch eine ganze Reihe von Zielen in Washington ausspioniert, wie zuerst der Spiegel unter Berufung auf interne Dokumente berichtet hat. Knapp 4000 Suchbegriffe, die der BND in diesem Zeitraum verwendete, wiesen in die USA: Darunter Anschlussdaten von mehr als Hundert Botschaften in Washington, Universitäten, Anschlüsse des Finanzministeriums und des Weißen Hauses.

Das heißt nicht, dass es dem BND gelungen ist, dort mitzuhören. Das sogenannte Einsteuern von Selektoren ist eine schwache Überwachungsmethode: Man füttert Telefonnummern in einen Computer; man hofft, dass mal jemand aus Versehen unverschlüsselt Brisantes über diese Anschlüsse sendet.

Anders als beim Handy der Kanzlerin, das von einer Spezialeinheit von CIA und NSA, dem Special Collection Service, gezielt ins Visier genommen wurde, dürfte die Erfolgsquote niedrig sein. Dennoch ist es jetzt noch befremdlicher, wie die Kanzlerin sich 2013 zunächst über die USA empört zeigte. "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht", lautete ihr Satz.

Nachdem schon länger deutlich wird, wie wenig Grund zu moralischer Überlegenheit auf deutscher Seite bestand, bleiben zwei Möglichkeiten. Entweder: die anfängliche Empörung über die USA zurückzunehmen. Diesen Weg hat die Koalition aus Union und SPD gewählt. Als die Kanzlerin im Februar vor dem Ausschuss als Zeugin aussagte, zeigte sie sich in Richtung der USA versöhnlich, wie schon alle ihre Beamten zuvor. Wenn verbündete Staaten sich gegenseitig ausspionierten, dann sei dies "eine Vergeudung von Kraft und Energie", sagte Merkel; mehr nicht.

Auch die SPD ist leise geworden. Eine Frage an Christian Flisek, den Berichterstatter der Sozialdemokraten im Untersuchungsausschuss: Was unterscheidet die weltweite Spionage der Deutschen von jener der Amerikaner?

Opposition kritisiert deutsche Abhörpraxis

"Die Amerikaner legen dauerhaft gigantische Heuhaufen an", sagt der Jurist, "mit allen Kommunikationsinhalten, die sie in die Hände bekommen können, und sie suchen dann später mit allerlei Big-data-Programmen nach den sprichwörtlichen Nadeln darin. Die Deutschen haben gar nicht die Mittel, um solche Heuhaufen dauerhaft anzulegen. Sie suchen vielmehr auf der Grundlage gezielter Suchbegriffe und speichern nur die tatsächlichen Treffer." Das ist einleuchtend und vielfach belegt, aber man könnte vielleicht auch sagen: Der Unterschied ist eher technisch als politisch.

Und die zweite Möglichkeit? Das ist, den BND nun mit einer ähnlichen Empörung zu überziehen wie seinerzeit die NSA. Diese Konsequenz hat die Opposition aus Grünen und Linkspartei gezogen. Ihre Schlussfolgerungen aus dem Untersuchungsausschuss stehen auf 309 Seiten in einem Sondervotum, Zwischenüberschriften lauten: "Abhören unter Freunden geht wunderbar" oder "Die Feigheit der SPD".

Sie beklagen etwa, dass die Sozialdemokraten zwar Snowdens Mitstreiterin Sarah Harrison mit dem Willy-Brandt-Preis geehrt, sich aber gleichzeitig an allen Versuchen der Union beteiligt hätten, eine Aussage Snowdens als Zeuge vor dem Ausschuss - etwa per Videoleitung - hinauszuzögern und zu verschleppen.

Oppositions-Berichterstatter abberufen

Der CDU-Politiker Patrick Sensburg, der dem Untersuchungsausschuss vorsitzt, weigerte sich am vergangenen Mittwoch, dieses Sondervotum zur Veröffentlichung freizugeben. SPD-Obmann Flisek warf der Opposition vor, "weder die gesetzlichen Anforderungen an einen Abschlussbericht noch die Geheimhaltungsvorschriften des Deutschen Bundestags" verstanden zu haben.

Am Freitag schließlich berief Sensburg die beiden Oppositions-Berichterstatter kurzerhand von ihren Posten ab, den Grünen Konstantin von Notz und Martina Renner von der Linkspartei, um auch ohne deren Zustimmung einen Abschlussbericht wirksam beschließen zu können. "Wir prüfen rechtliche Schritte gegen dieses einmalig unparlamentarische Verhalten", sagte Notz am Montag.

Die Opposition hatte auch kritisiert, wie wenig Konsequenzen die Koalition aus all den Enthüllungen gezogen hat. Das reformierte BND-Gesetz, das am 31. Dezember 2016 in Kraft getreten ist, erlaubt es dem Dienst weiter, seine Abhörinstrumente für alle politischen Anliegen zu nutzen, selbst für Vorteile in der Landwirtschaftspolitik. Nur die Liste der Staaten, die dafür ausspioniert werden, soll jetzt kürzer sein.

© SZ vom 27.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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