Überwachung durch Geheimdienste:Aus Angst vor dem Volk

Government Confirms BND Delivers Data To NSA

Anlage des Bundesnachrichtendienstes in Bad Aibling

(Foto: Getty Images)

Die Spähaffäre macht deutlich, wie sehr sich die Sicherheitspolitik des Westens gewandelt hat - hin zu einer gefährlichen Datensammelwut. Die eigentlich interessante Frage ist: Warum überwachen demokratische Gesellschaften ihre eigene Bevölkerung so hautnah?

Ein Gastbeitrag von Jutta Weber

Erst seit ein paar Wochen machen die Abhörskandale der NSA Schlagzeilen. Doch Experten weisen schon lange darauf hin, wie umfassend sich die westliche Sicherheitspolitik seit dem Ende des Kalten Krieges gewandelt hat. Dieser Umbau mündet in die systematische Überwachung der eigenen Bevölkerung. Videoüberwachung wurde in Großbritannien schon in den Achtzigerjahren eingeführt. Heute werden Bürger via biometrischem Foto und Fingerabdruck im Pass erfasst, Finanztransaktionen werden kontrolliert und Fluggastdaten gesammelt. Europol und andere Polizeibehörden nutzen Data-Mining-Software, deren Ergebnisse der klassischen Rasterfahndung ähneln.

Das Visa Information System (VIS) der Europäischen Union besteht aus 70 Millionen Datensätzen mit Fingerabdrücken und Fotografien von Migranten. Gleichzeitig findet die Zusammenlegung nationaler Terrorismus- und Kriminalitätsdatenbanken, aber auch biometrischer Dateien statt. Die britische National DNA Database enthält etwa 4,5 Millionen DNA-Profile, die nicht nur im Falle der Anklage, sondern auch schon bei einer Verhaftung angelegt werden - und selbst beim Beweis der Unschuld nicht gelöscht werden. Die "klassische" Überwachung der Kommunikation via Telefon, Fax, Internet und E-Mail ist ohnehin schon lange möglich.

Das sogenannte Echelon-Projekt, das von den USA, Großbritannien, Australien und Neuseeland unter der Federführung der NSA betrieben wird und an dem unter anderem auch Deutschland partizipiert, überwacht seit den Achtzigerjahren die Satellitenkommunikation, Festnetzleitungen, Mobilstrecken oder (Untersee-)Kabel und filtert nicht nur die Verbindungsdaten heraus, sondern durchsucht Telefonate, E-Mails, Fax, Chats und SMS nach Schlüsselwörtern und Themen. 1990 wurde dies vom EU-Parlament untersucht, nach 9/11 interessierte es aber niemanden mehr.

Nur wenige kennen sich mit Suchtechnik aus

Im Zuge des aktuellen Abhörskandals wurde immer wieder beschwichtigend darauf hingewiesen, dass man ja "nur" mit Verbindungsdaten arbeite. Auch wenn sich abzeichnet, dass das im Falle der NSA wohl nicht ganz der Wahrheit entspricht, können auch diese Metadaten sehr viel über einen Menschen erzählen. Sie beantworten Fragen wie: Wer hat mit wem wann und wie lange telefoniert? Wer hat wann und wie lange welche Internetseiten angesehen? Wer hat wann wem (und unter welcher Überschrift) eine E-Mail geschrieben?

Möchte der Bürger wirklich, dass man weiß, über welche Krankheiten er sich im Internet schlau gemacht hat, ob er regelmäßig einen Psychiater oder Neurologen konsultiert, an einer Demonstration teilgenommen hat (weil sich sein Handy in der entsprechenden Funkzelle eingeloggt hat), einen Hostess-Service beauftragt oder politische Literatur bei Amazon gekauft hat? Man weiß schon lange, dass sich das Verhalten von Menschen unter der Überwachung ändert. Und so stellt sich die eigentlich interessante Frage: Warum überwachen demokratische Gesellschaften ihre eigene Bevölkerung so hautnah?

Die heutige Sicherheitspolitik setzt recht einseitig auf Technologie. Auf der einen Seite frönt man einem naiven Datenpositivismus, der verspricht, dass mit der größtmöglichen Datenmenge mehr oder wenig automatisch Bedrohungen offenbar werden. Doch nur wenige Experten - Softwaredesigner oder Technikforscher, aber eben nicht Politiker oder Polizisten - kennen sich mit der zugrunde liegenden Suchtechnik aus. Meist wird die Software ohne weitere Nachfragen bei Terrorbekämpfung oder Strafverfolgung eingesetzt.

Abergläubischer Bezug auf die Macht von Big Data

Wie problematisch die Automatisierung von Hypothesen sein kann, lässt sich an einem Beispiel aus dem Vietnamkrieg demonstrieren. Anfang der Siebzigerjahre hatte der US-amerikanische Verteidigungsminister Robert McNamara angeordnet, man sollte ihm regelmäßig die Zahl der toten Gegner berichten, damit er den Erfolg der eigenen Kriegsführung adäquat einschätzen könne. Viele Offiziere meldeten als Konsequenz weit höhere Zahlen, als sie der Realität entsprachen. Und später gingen in einer Umfrage unter Generälen nur fünf Prozent der Befragten davon aus, dass die Zahl der toten Gegner etwas über den Erfolg des Krieges aussage.

Doch der fast schon abergläubische Bezug auf die Macht von Big Data hat eine Rückseite: die der imaginativen Sicherheitspolitik: Vorbeugende, maximale Techno-Sicherheit dient weniger zur Abwehr konkreter Gefahren als zum Risikomanagement. Im Sinne dieser Logik spielt man imaginäre Szenarien durch, um Unvorhersehbares in den Griff zu kommen. Nach 9/11 war man entsetzt über den Eintritt des Unwahrscheinlichen. Nun will man möglichst alle denkbaren (Horror-)Szenarien durchspielen, um sich gegen alles zu versichern.

Ein Bericht des Britischen Intelligence and Security Comitee, das die Bombenanschläge 2005 in London untersuchte, fordert explizit dazu auf, sich auf eine Reise in das Unbekannte zu begeben. Es bedürfe der Phantasie, um künftigen terroristischen Strategien präventiv zu begegnen. Aus Angst vor der Verletzbarkeit westlicher Systeme kombiniert sich Imagination mit Datensammeleifer.

Computergestützte Wahrsagerei

Im Alltag der Sicherheitsbehörden ist die geforderte Imagination meist nicht mehr als eine computergestützte Rekombination bekannter Szenarien, in der Hoffnung, mögliche Terrorakte, Katastrophen oder Pandemien vorhersehen zu können. Statt kausal-logischer Ermittlungsarbeit betreibt man eher computergestützte Wahrsagerei, der man umso mehr glaubt, je mehr Daten, Profile, Verhaltensmuster in der Datenbank lagern. Dummerweise ist eine Datenbank unendlich füllbar, und so wird elektronische Überwachung zum Perpetuum mobile. Doch je mehr man sich mit der potenziellen Gefährlichkeit der Zukunft befasst, je mehr potenzielle Risiken wahrgenommen werden, desto umfassender werden die Hightech-Überwachungsmaßnahmen.

Sicherheit wird technokratisiert. Die Soziologin Susanne Krasmann spricht davon, dass Sicherheitstechnologie gewissermaßen zum Ersatz für soziale Sicherheit wird. Sicherheit und Überwachung nähern sich an. Fast jeder gesellschaftliche Bereich wird überwacht, durchsucht, fast überall werden Profile erstellt - sei es in der Wirtschaft, Politik, Kultur, beim Militär oder im Alltagsleben.

Die aktuelle Empörung über die Praktiken der NSA zeigt das kurze Gedächtnis westlicher Demokratien, die sich allzu sehr in der (falschen) Gewissheit ihrer rechtsstaatlichen Konstitution wiegen. Letztendlich muss man sich aber fragen, warum demokratische Regierungen so große Angst vor ihren Bevölkerungen haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: