Überprüfung der AfD:"In den Verfassungsschutzbericht und nicht ins Fernsehen"

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Seit drei Jahren schwelt die Debatte, ob die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollte. (Foto: dpa)

Anfangs galt die AfD als Partei der Eurokritiker. Dann kamen immer radikalere Töne - und damit die Diskussion über eine geheimdienstliche Beobachtung. Eine Rekonstruktion.

Von Benedikt Peters und Antonie Rietzschel

Das Bundesamt für Verfassungsschutz sorgt für Aufsehen. Vom heutigen Dienstag an stuft es die Alternative für Deutschland als Prüffall ein. Die Partei gerät damit stärker in den Blick des Inlandsgeheimdienstes. Zwar ermittelt das BfV nicht mit verdeckten Methoden, wie etwa V-Leuten oder dem Abhören der Telefonverbindungen. Die öffentlichen Äußerungen der Parteimitglieder und "offen zutage tretende Verbindungen" zur rechtsextremen "Identitären Bewegung" sollen aber untersucht werden. So soll das Ausmaß der extremistischen Bestrebungen in der AfD festgestellt werden.

Die Debatte um eine mögliche Beobachtung der Partei, zu der die Überprüfung nun führen könnte, schwelt bereits einige Jahre. Wichtige Rollen spielen nicht nur Mitglieder der "Identitären Bewegung", sondern auch AfD-Rechtsaußen Björn Höcke und der SPD-Chef Sigmar Gabriel.

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Die Behörde erklärt die Partei zum "Prüffall". Die Nachwuchs-Organisation und den rechten "Flügel" um Björn Höcke stuft sie sogar als "Verdachtsfall" ein, sie könnten künftig beobachtet werden.

Als sich die AfD im Februar 2013 gründete, galt sie der Öffentlichkeit vor allem als eurokritische Partei. Der Volkswirtschafts-Professor Bernd Lucke führte sie an, seine Hauptforderungen waren ein Austritt Deutschlands aus dem Euro und eine Überprüfung der Europapolitik. Wenn das Wort "Verfassungsschutz" überhaupt einmal in Verbindung mit der AfD auftauchte, dann als Verweis auf die möglicherweise problematische Vergangenheit einiger Mitglieder. So berichtete zum Beispiel die taz am 11. Mai 2013, dass AfD-Gründungsmitglied Joachim Starbatty einmal bei der Kleinpartei "Bund Freier Bürger" aktiv gewesen sei, die ab 1999 durch den Verfassungsschutz beobachtet wurde. Zu diesem Zeitpunkt aber war Starbatty nach eigenen Angaben längst schon wieder aus dem Bund ausgetreten.

Es sollte ziemlich genau drei Jahre dauern, bis die Debatte um den Verfassungsschutz und die AfD zum ersten Mal größer werden sollte. Ende Januar 2016 sagte die damalige AfD-Chefin Frauke Petry dem Mannheimer Morgen, Grenzpolizisten sollten gegen Flüchtlinge "notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen", um diese am illegalen Übertritt zu hindern. SPD-Chef Sigmar Gabriel bekräftigte daraufhin lautstark, was die Bundestagsfraktion seiner Partei kurz zuvor beschlossen hatte: Angesichts der "gefährlichen rechtsextremen Tendenzen" solle die AfD beobachtet werden. "Für mich gehört die AfD in den Verfassungsschutzbericht und nicht ins Fernsehen", sagte er. Petry ruderte später zurück, es sollte wieder etwas ruhiger werden, allerdings nur für ein paar Monate.

FDP-Chef Lindner forderte erst die Beobachtung - und dann "mehr Coolness"

Im Juli berichtete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, dass der bayerische Verfassungsschutz einzelne AfD-Politiker beobachte, Anlass seien "Bezüge zur rechtsextremistischen und islamfeindlichen Szene". Zur gleichen Zeit gab es Aufregung um den baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon, der sich antisemitisch geäußert hatte. Nun sprangen weitere Politiker auf den Zug auf, den die SPD zu Jahresbeginn ins Rollen gebracht hatte. "Die AfD stellt sich gegen die Werte unserer Verfassung", sagte damals der FDP-Vorsitzende Christian Lindner. Die Partei beobachten zu lassen, sei daher eine "Selbstverständlichkeit".

Im Februar 2018 empfahl Lindner plötzlich "mehr Coolness" im Umgang mit der AfD. Zu dieser Zeit hatte die Debatte um eine Beobachtung sich schon längst weitergedreht. Denn spätestens ab 2016 tauchten Verbindungen zwischen Mitgliedern der Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD, und der als rechtsextrem eingestuften "Identitären Bewegung" auf. Man traf sich etwa auf Demonstrationen. Mit Janik Brämer war sogar ein rechtsextremer Aktivist zweitweise Vize-Vorsitzender des JA-Landesverbands in Berlin. Der ehemalige mecklenburgische AfD-Landespolitiker Holger Arppe lobte die "Identitäre Bewegung" 2016 als "klug, gewitzt". Später musste er die Fraktion wegen Chat-Protokollen, die Gewaltfantasien offenbarten, verlassen. Mit Martin Hohmann bekannte sich sogar ein Bundestagsabgeordneter der AfD öffentlich zur "IB".

Eine klare strukturelle Zusammenarbeit zwischen der so genannten Bewegung und Partei zeigte sich in Sachsen-Anhalt. In der Stadt Halle ist in direkter Nähe zur Universität ein außergewöhnliches Hausprojekt namens "Flamberg" entstanden. Zu den Mietern der Immobilie gehören unter anderem die "Identitäre Bewegung". Der AfD-Abgeordnete Hans-Thomas Tillschneider betreibt in dem Gebäude ein Wahlkreisbüro. Auch Tillschneider kennt IB-Mann Sellner persönlich, die beiden saßen zusammen auf einem Diskussionsforum über politische Gewalt und die Möglichkeiten des Widerstands. Im Herbst 2018, als die mögliche Überwachung der AfD diskutiert wurde, kündigte der AfD-Politiker an, das Büro in dem Hausprojekt schließen zu wollen. Doch die Adresse steht weiterhin auf seiner Internetseite.

Nach Chemnitz preschten einzelne Behörden vor

Der bekannte AfD-Rechtsaußen Björn Höcke spielt in der Geschichte der AfD mit dem Verfassungsschutz ebenfalls eine wichtige Rolle. Der Thüringer Parteichef trat mehrmals gemeinsam mit Vertretern der "Identitären Bewegung" auf. Nachdem er im Januar 2017 das Berliner Holocaust-Mahnmal geschmäht hatte, erklärte der Thüringer Verfassungsschutz, seine Rede zu prüfen. Im Herbst 2017 nahm er gemeinsam mit dem führenden Kopf der "Identitären Bewegung" in Österreich, Martin Sellner, an einer Konferenz des rechtsextremen Magazins Compact teil.

Die Verbindungen zwischen AfD und "Identitärer Bewegung" führten schließlich dazu, dass die Verfassungsschutzämter von Bremen und Niedersachsen Anfang September 2018 bekannt gaben, die dortigen AfD-Landesverbände beobachten zu lassen. Zur gleichen Zeit sollte dann noch ein weiteres Ereignis stattfinden, dass der Debatte um die Beobachtung einen Schub gab. Als im Zuge der Ausschreitungen von Chemnitz führende AfD-Politiker - unter anderem Höcke und der brandenburgische Landeschef Andreas Kalbitz - gemeinsam mit Rechtsextremen marschierten, schlossen sich etwa auch die Grünen der Forderung an, die gesamte Partei durch den Inlandsgeheimdienst beobachten zu lassen.

In den Verfassungsschutzämtern selbst lief zu dieser Zeit eine teils hitzige Diskussion. Nach den Vorstößen aus Bremen und Niedersachsen hatte die Thüringer Behörde erklärt, den gesamten AfD-Landesverband überprüfen zu wollen. Das Bundesamt sprach sich intern jedoch gegen einzelne Vorstöße aus. Man vereinbarte, dass alle 16 Landesämter Dossiers mit Informationen über die jeweiligen AfD-Verbände und deren Kontakte in die rechte Szene zusammenstellen sollten. Danach solle gemeinsam entschieden werden. Im November 2018 schließlich war nach SZ-Informationen das letzte dieser Dossiers - aus Sachsen - eingetroffen. Damit war der Boden bereitet für die Entscheidung, die die Verfassungsschützer nun bekannt gegeben haben.

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