Süddeutsche Zeitung

Angegriffener Jude in Berlin:"Das darf nicht Vorlage sein für Islamhass"

Der Israeli Shahak Shapira wurde in Berlin geschlagen, nachdem er antisemitische Gesänge gefilmt hatte. Im Gespräch mit SZ.de äußert er sich erstmals zum Hergang der Tat - und warnt vor einer Instrumentalisierung der Attacke.

Von Oliver Das Gupta

Shahak Shapira, 26 Jahre, kam in Israel zur Welt und lebt seit 12 Jahren in Deutschland. Er arbeitet als Art Director in der Werbe- und Designbranche. In der Neujahrsnacht filmte er junge Männer, die antisemitische Gesänge in der Berliner U-Bahn anstimmten. Daraufhin griffen ihn die Männer im U-Bahnhof Friedrichstraße an.

SZ: Herr Shapira, wie geht es Ihnen?

Shahak Shapira: Eigentlich gut. Ich habe ein paar Beulen am Kopf und eine leichte Gehirnerschütterung.

Auf Facebook schreiben Sie, der Hergang des Vorfalls sei etwas anders gewesen, als ihn Polizei und Medien darstellen. Welche Punkte meinen Sie?

Was fehlt: Der U-Bahnzug war voll mit Menschen, als ich mit zwei Freunden und drei Freundinnen eingestiegen bin. Während der Fahrt bin ich noch nicht angegangen worden, dafür aber zwei Leute, die nahe bei der Gruppe saßen. Diese beiden forderten die jungen Männer auf, mit dem antisemitischem Gesang aufzuhören. Darauf wurden die beiden beschimpft und bedroht, es wurde auch gespuckt. Da habe ich angefangen, die Szene mit meinem Handy zu filmen.

Am Bahnhof Friedrichstraße stiegen Sie dann aus und wurden angegriffen, weil Sie die Aufnahme nicht löschen wollten.

Ja, es gab Schläge und Tritte. Ich habe versucht, meinen Kopf und mein Handy zu schützen. Aber ich lag nicht am Boden. Es hätte noch weiter eskalieren können, denn ich war auch sehr wütend. Meine Freunde halfen mir und zogen mich wieder in den Zug. Als die Bahn losfuhr, habe ich jemanden von der Berliner Verkehrsgesellschaft BVG auf dem Bahnsteig gehen sehen. Aber Sicherheitsleute haben mich auf jeden Fall nicht gerettet, so wie das die Medien berichten.

Wussten die Angreifer, dass Sie Jude sind?

Ich hatte es gesagt, aber es kann sein, dass diese Leute es in der hitzigen Situation nicht kapiert haben. Das waren keine Rechtsextremen, so wie ich in der Presse gelesen habe. Die Leute haben sich in arabischer oder türkischer Sprache unterhalten. Der Vorfall darf nicht missbraucht werden, um Hass auf Muslime zu schüren. Ich habe schon mitbekommen, wie manche versuchen, die Sache zu instrumentalisieren. Die Angreifer hätten genauso gut Neonazis sein können und der Geschlagene ein Araber.

Fühlen Sie sich in Deutschland sicher?

Im Großen und Ganzen ja. Natürlich gibt es hier Leute, die Juden hassen. In Deutschland ist der Antisemitmus aber bei weitem nicht so schlimm wie in Frankreich und anderen europäischen Ländern. Außerdem muss man genau hinschauen und differenzieren. Ich habe früher in einem Ort in Sachsen-Anhalt gewohnt, in dem die NPD bei Wahlen mehr als 13 Prozent bekommen hat. Aber ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, alle Deutsche für Nazis zu halten. Szene-Nazis gehören zu dem dümmsten Bevölkerungsteil. Die machen mir weniger Sorge als diejenigen, die jetzt bei Pegida mitmarschieren.

Wie meinen Sie das?

Die gebildeten Leute, die Menschen aus dem Bürgertum, die sich bei den antimuslimischen Demonstrationen mit den Nazis mischen, sind gefährlich. Sie sind tolerant gegenüber den Intoleranten. Und behaupten dann noch, auch das Judentum zu verteidigen.

Was halten Sie vom Begriff des christlich-jüdischen Abendlandes?

Dieser Ausdruck ist völliger Mist. Was soll denn an Deutschland so jüdisch sein? Hat man hier nicht vor 80 Jahren behauptet, die deutsche Kultur gegen das Jüdische schützen zu müssen? Judenhassen ist aus der Mode gekommen, also beruft man sich auf das Judentum und nimmt sich jetzt die Muslime vor.

Viele Muslime übertragen den Nahostkonflikt auf das Judentum. So wie die Angreifer aus der U-Bahn.

Das ist mir klar. Natürlich ist das dumm von denjenigen Muslimen. Aber das darf nicht Vorlage sein für Islamhass. Ich bin froh, dass der Zentralrat der Juden da eine klare Haltung hat. Wir dürfen uns nicht vereinnahmen lassen von Leuten, die rassistisch denken. Ich bin froh, dass es eine breite Bewegung gegen Pegida gibt. Ich war gestern auch auf der Berliner Demonstration gegen die Islamfeinde und wünsche mir, dass die Deutschen mehr Zivilcourage zeigen und sich einmischen. Auch, wenn es um Antisemitismus geht.

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