Süddeutsche Zeitung

Übergriff auf Flüchtling:Bürgermeisterin von Arnsdorf: "Ich bin erschrocken"

  • Ein Fall von Selbstjustiz erschüttert die sächsische Gemeinde Arnsdorf.
  • Die Bürgermeisterin ist geschockt angesichts eines Videos, in dem vier Männer einen jungen Iraker gewaltsam aus einem Supermarkt ziehen.
  • Unter den mutmaßlichen Tätern ist auch ein CDU-Gemeinderat.

Von Antonie Rietzschel

Die Gemeinde Arnsdorf im Landkreis Bautzen hat in den vergangenen Jahren viel geschafft: Die Grundschule, ein unter Denkmalschutz stehender Bau, ist saniert. Auch für die Feuerwehr wurde viel getan. Vieles sei in Ordnung gekommen, sagt SPD-Bürgermeisterin Martina Angermann. "Die Bürger haben zusammengehalten." Darauf war sie stolz. Doch jetzt erschüttert ein Fall von Selbstjustiz die Gemeinde: Nachdem ein 21-jähriger Iraker in einem Netto-Supermarkt eine Mitarbeiterin bedroht haben soll, zerren ihn mehrere Männer nach draußen und fesseln ihn mit Kabelbindern an einen Baum. Der Vorfall hatte sich bereits am 21. Mai ereignet. Die Polizei machte ihn erst jetzt bekannt, nachdem ein Video im Internet aufgetaucht war.

Mit Kabelbindern gefesselt

Der Polizei zufolge ist der Asylbewerber psychisch krank und deswegen in einer örtlichen Psychiatrie untergebracht. Offenbar hatte er Probleme mit seiner Telefonkarte und war bereits zum dritten Mal in dem Supermarkt aufgetaucht. Als Angestellte ihm erklärten, er habe lediglich kein Guthaben mehr, soll er wütend geworden sein.

Im Video ist lediglich zu sehen, wie er mit einer Flasche im Kassenbereich steht und mit den Angestellten diskutiert. Plötzlich laufen vier Männer herein, sie nehmen dem Iraker die Flasche ab, schlagen ihn und zerren ihn nach draußen. Von den Mitarbeitern greift keiner ein. Nur eine Frau ist zu hören: "Ist schon schade, dass man 'ne Bürgerwehr braucht."

Laut Pressemitteilung fand die herbeigerufene Polizei den Iraker mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt. Die Männer erklärten, sie hätten ihn lediglich an der Flucht hindern wollen. Angeblich habe er stehlen wollen. Die Beamten forderten sie auf, den Platz zu verlassen. Sanitäter kümmerten sich um den Asylbewerber und brachten ihn zurück ins Krankenhaus.

Martina Angermann musste als Bürgermeisterin mittlerweile viele Fragen zu dem Vorfall beantworten, ihre Stimme zittert, wenn sie an das Video denkt: "Ich bin ganz schön erschrocken, als ich das gesehen habe." Von einer Bürgerwehr in ihrer Gemeinde habe sie bisher nichts gewusst.

Mittlerweile ist bekannt, dass sich unter den Männern auch der CDU-Gemeinderat Joachim Oelsner befand. Bereits am 23. Mai hatte ihn eine Ratskollegin bei einer Gemeinderatssitzung offen auf den Übergriff angesprochen. Sie war selbst im Supermarkt gewesen und hatte die Aktion mitbekommen. Damals erklärte Oelsner lediglich, man habe Zivilcourage gezeigt.

"Ganz normale Bürger"

Eine Aussage, die Oelsner im Gespräch mit der rechten Zeitung Junge Freiheit noch einmal bekräftigt. Und weiter: "Wir sind keine Bürgerwehr, sondern ganz normale Bürger, aber wir schauen eben auch nicht zu, wenn so etwas passiert." Ein agressiver Asylbewerber habe Mitarbeiterinnen bedroht, so die Sichtweise Oelsners und die vieler Kommentatoren in den sozialen Netzwerken.

Martina Angermann konnte auf dem Video zwei zweitere Männer identifizieren. Sie hat sie regelmäßig auf Bürgerversammlungen gesehen, als es auch in ihrer Gemeinde Überlegungen gab, Asylbewerber aufzunehmen. Die Männer fielen vor allen durch Sätze auf wie: "Die wollen nur unsere Frauen." Oder: "Die stehlen." Die Polizei hat mittlerweile eine eigene Ermittlungsgruppe eingerichtet, wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung. Die Identität mehrerer Tatverdächtiger konnte geklärt werden, heißt es in einer weiteren Mitteilung.

Mittlerweile hat sich auch Netto geäußert. Keiner der Mitarbeiter habe die Männer zu Hilfe gerufen, heißt es bei Facebook. Und weiter: "Das gezeigte Vorgehen im Video widerspricht unseren Unternehmensvorgaben und wird von Netto Marken-Discount in keiner Weise gebilligt."

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