Überfall auf Reisegruppe in Äthiopien:Tödliche Wüste

Fünf Menschen sind tot und zwei Länder zanken: Mit gegenseitigen Schuldzuweisungen versuchen die verfeindeten Staaten Äthiopien und Eritrea Kapital aus dem Tod der fünf ermordeten Touristen zu schlagen. Der brutale Überfall im Grenzgebiet birgt politische Sprengkraft - dennoch liegen die wahren Hintergründe bislang im Dunkeln.

Arne Perras

Fünf Touristen sind ermordet, vier Menschen verschleppt worden. Überfälle auf Reisegruppen in Afrika geschehen immer wieder, aber die jüngste Tat im Nordosten Äthiopiens, die auch zwei Deutsche das Leben gekostet hat, entwickelt politische Sprengkraft. Denn sie geschah im Grenzgebiet zwischen Eritrea und Äthiopien, also zwischen zwei Staaten, die lange Krieg gegeneinander geführt haben und nun wieder heftig aneinandergeraten sind.

Überfall auf Reisegruppe in Äthiopien

Ein bewaffneter Mann beobachtet die Wüste um den Ort Hadar im Afar-Dreieck.

(Foto: dpa)

Die Regierung in Addis Abeba ist der Ansicht, dass Banditen, die angeblich von Eritrea ausgebildet wurden, hinter dem Überfall stecken. In Asmara, der Hauptstadt von Eritrea, weist man die Vorwürfe als "absolute Lüge" zurück. Der rhetorische Schlagabtausch der Erzfeinde zeugt von großen Spannungen zwischen den Ländern. Doch noch liegen die Hintergründe des Überfalls im Dunkeln.

Der Tatort, die Afar-Region, ist eine der entlegensten Gegenden Afrikas und gilt als heißester Punkt der Welt. Dort sind Naturwunder zu beobachten. Riesige Erdspalten, in denen das Magma brodelt, locken abenteuerlustige Besucher. Auch die Reisegruppe, die am frühen Dienstagmorgen angegriffen wurde, war aufgebrochen, um auf den Vulkan Erta Ale zu steigen. Die Neugierigen wollten ganz nahe herankommen an das kochende Fenster und ins Innere der Erde blicken.

Sie kamen nicht weit. Um fünf Uhr morgens wurden sie von Unbekannten attackiert. Wie sich der Überfall im Detail abspielte, ist noch nicht geklärt. Nicht alle Reisenden sind tot oder verschleppt, hieß es am Mittwoch aus einer gut informierten Quelle; von den 27 Touristen, die offenbar in zwei getrennten Reisegruppen unterwegs waren, konnten mehrere entkommen. Angeblich sind 18 von ihnen auf dem Weg nach Addis Abeba.

Die deutsche Regierung hat zwei Experten in die Region entsandt, um den Vorfall aufzuklären. In Berlin wurde ein Krisenstab eingerichtet. Doch vieles blieb auch am Tag nach der Tat noch unklar. Hat der Überfall einen politischen Hintergrund? Oder handelt es sich um kriminelles Banditentum, das eine Chance sah, Lösegeld zu erpressen oder Geld zu rauben? Darüber wird viel spekuliert, ohne dass es Hinweise auf die Täter gibt.

Ein gefährliches Gebiet

Sicher ist nur eines: Die Gruppe hat sich in einem Terrain bewegt, in dem schon früher Touristen überfallen wurden. "Wir weisen seit langem darauf hin, dass das Gebiet sehr gefährlich für Reisende ist, dass dort Banditen und örtliche Untergrundbewegungen aktiv sind und dass es dort zu Entführungen kommen kann", sagte der Afrika-Beauftragte im Auswärtigen Amt, Walter Lindner. Er spricht von einem "aggressiven Umfeld". Schon 1995 wurden dort Reisende entführt und noch einmal im Jahr 2007, als eine Bande eine Gruppe britischer Diplomaten verschleppte. Sie kamen allerdings nach zwei Wochen und nach einer Zahlung von Lösegeld wieder frei.

Bewohnt wird die Gegend vom nomadischen Volk der Afar, das heute, nach der kolonialen Aufteilung des Kontinents und der späteren Unabhängigkeitserklärung Eritreas im Jahr 1993 auf drei Staaten verteilt ist, denn auch in Dschibuti leben Nomaden. Der äthiopische Politologe Yasin Mohammed Yasin, selbst ein Afar, spricht von einer "tragischen Teilung" seiner Heimat. Die Nomaden züchten Ziegen und Kamele, manche leben auch vom Handel mit Salz, das in der Danakil-Senke in Äthiopien abgebaut wird. Die Blöcke transportieren sie mit Kamel-Karawanen bis ins Hochland.

Was bei vielen Nomadenvölkern Afrikas zu beobachten ist, gilt auch für die Afar in Äthiopien. Ihr Verhältnis zur Zentralregierung ist nicht das beste, viele klagen darüber, dass sie zu wenig beachtet und an den Rand gedrängt werden. Manche Afar träumen davon, dass ihr Volk vielleicht doch einmal in einem eigenen unabhängigen Staat zusammenfindet, doch das ist sehr unwahrscheinlich. Die Afar haben keine internationale Lobby, sie zählen zu jenen Völkern, die von der Weltgemeinschaft kaum wahrgenommen werden. Und unter den Hauptstädtern in Addis gelten die Nomaden häufig als unzivilisiert und wild.

"Es gibt eine große Kluft"

"Es gibt eine große Kluft zwischen der Regierung und den Afar", sagt die Geographin und Äthiopien-Expertin Simone Rettberg von der Universität Bayreuth. Das Misstrauen zwischen Addis Abeba und den Bewohnern im fernen Nordosten Äthiopiens ist groß. Hinzu kommen Spannungen zwischen den Gruppen der Afar und anderen Ethnien, etwa den Somaliern. Bewaffnete Nomaden ziehen oft aus, um anderen Gruppen das Vieh abzujagen. Fast alle Afar tragen stolz eine Waffe.

Es gibt dort auch politische Kräfte, die für eine Vereinigung aller Afar eintreten. Jetzt, nach dem blutigen Überfall, erstrecken sich die Nachforschungen auch darauf, ob die separatistische Untergrundbewegung "Revolutionäre Demokratische Einheitsfront Afar" (Arduf), auch "Uguugumo" genannt, in die Tat verwickelt sein könnte. Sie wurde für frühere Entführungen verantwortlich gemacht, als existentielle Bedrohung für den Staat Äthiopien gilt sie nicht.

Meldungen, dass vier Entführte angeblich über die Grenze bis nach Eritrea verschleppt wurden, hält Simone Rettberg "nicht für abwegig", denn die Afar leben auf beiden Seiten der Grenze, und die ist in diesem unwirtlichen Gebiet durchlässig. Aber das muss nicht bedeuten, dass tatsächlich politische Motive hinter der Tat stecken. Auch fehlen bisher Belege dafür, dass die Regierung in Asmara ihre Finger mit im Spiel hat, wie es die äthiopische Regierung nahelegt. Es ist schon politische Routine, dass sich die beiden Länder öffentlich angreifen und diffamieren. Was daran taktische Rhetorik ist und was sich auf Fakten stützt, ist dabei nicht immer auseinanderzuhalten.

Die 85 Millionen Einwohner Äthiopiens werden von einem autoritären Regime regiert, das im Kampf gegen den Terrorismus allerdings als strategischer Partner des Westens gilt. Mehrere regionale Untergrundbewegungen versuchen, die Regierung zu stürzen. Eritrea mit seinen 4,5 Millionen Einwohnern ist ein Polizeistaat und steht in der internationalen Staatengemeinschaft vollständig isoliert da. Beide Länder zählen zu den ärmsten der Welt. Wenn sich die Hinweise verdichten sollten, dass der eritreische Staat in den Vorfall verwickelt ist, dürfte dies die komplizierte Lage am Horn von Afrika noch komplizierter machen.

Eritrea und Äthiopien führten in den Jahren 1998 bis 2000 einen verheerenden Krieg um den Verlauf der Grenze, bei dem mehr als 100.000 Menschen starben. Äthiopien wirft Eritrea bis heute vor, alles zu tun, um den Nachbarn zu destabilisieren, und verweist auf die angeblichen Versuche Asmaras, somalische Terroristen gegen Addis Abeba in Stellung zu bringen. Jeder Zwischenfall an der Grenze versetzt die Äthiopier in Alarmbereitschaft - auch ein Überfall auf Touristen, die beim Aufstieg auf einen Vulkan in eine tödliche Falle gerieten.

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