Überfall auf Reisegruppe in Äthiopien:Angst der Afar

Hinter der Entführung von Touristen in Äthiopien könnten Nomaden stecken, die für den Erhalt ihrer Kultur kämpfen. Doch die selbst ernannten "Revolutionäre" des Afar-Volkes haben ein Problem: Die Zentralregierung hat sie bislang als Gegner nicht besonders ernst genommen, sie streitet deren Existenz sogar ab. Hat dies die Angreifer zu einer besonders dreisten Tat angestachelt?

Arne Perras, Kampala

Über das Volk der Afar halten sich die wildesten Geschichten, zum Beispiel diese: Wenn ein Mann um eine Frau wirbt, so muss er zuerst dem Vater der Braut die getrockneten Genitalien eines Feindes bringen. "Man sollte nicht alles glauben, was über die Afar kursiert", sagt Simone Rettberg, Geographin an der Universität Bayreuth. "Mag sein, dass es diesen Brauch früher einmal gab, aber sicher nicht mehr heute."

Überfall auf Reisegruppe in Äthiopien

Dauerkonflikt: Die Afar-Nomaden fühlen sich von der äthiopischen Regierung betrogen.

(Foto: dpa)

Der jüngste Überfall auf eine Gruppe Touristen hat das Volk der Afar ins Licht der Medien gerückt, aber der Tod von fünf Ausländern in der fernen Wüste hat wohl kaum etwas mit der als archaisch empfundenen "Wildheit" dieser Menschen zu tun, die zum Klischee geworden ist. Vielmehr geht es um komplizierte politische Verhältnisse.

Zumindest nach dem Verständnis einiger äthiopischer Kenner des Gebietes ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass die Attacke am Vulkan einem "unpolitischen Banditentum" zuzuordnen ist, dem es alleine um Geld geht. Vielmehr rückt nun der Dauer-Konflikt zwischen Eritrea und Äthiopien ins Licht, und auch eine wachsende Angst der Afar, dass die äthiopische Regierung den Nomaden immer mehr Lebensraum nimmt und ihre Kultur zerstört.

Die Regierung streitet die Existenz der Untergrund-Kämpfer ab

Das Rätseln um die Täter geht weiter, solange sich niemand zu dem Angriff bekennt. Aber ein Name fällt immer wieder: "Uguugumo" - das bedeutet in der Sprache der Afar-Nomaden "Revolution". Uguugumo, so nennen sich die Untergrund-Kämpfer im Nordosten Äthiopiens, doch die selbst ernannten "Revolutionäre" haben ein Problem: Die Zentralregierung hat sie bislang als Gegner nicht besonders ernst genommen, sie streitet deren Existenz sogar ab. Vielleicht war es das, was die Angreifer zu einer besonders dreisten Tat angestachelt hat.

Den aufbegehrenden Afar fiel es bislang jedenfalls schwer, sich Gehör zu verschaffen, und jenseits der Grenzen haben ohnehin die wenigsten Menschen von einem Volk der Afar oder einer Gruppe namens Uguugumo gehört. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn die Militanten nach Wegen suchten, auf ihren einsamen Kampf aufmerksam zu machen - zum Beispiel durch eine spektakuläre Entführung. 2007 hat Uguugumo das schon einmal so gemacht: Sie verschleppten für zwölf Tage fünf britische Diplomaten und katapultierten sich so in die Schlagzeilen.

Damals endete das Drama unblutig, am Dienstag aber war es ganz anders. Fünf Menschen starben, vier werden noch vermisst, unter ihnen zwei Deutsche, die womöglich ins benachbarte Eritrea verschleppt wurden. War das so geplant? Unter den gebildeten Afar ist zu hören, dass bei dem Angriff fast alles danebengegangen sein muss, wenn es tatsächlich darum ging, mit einer Entführung von Ausländern Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Womöglich wurden die Angreifer von äthiopischen Sicherheitskräften unter Feuer genommen, und die wehrlosen Touristen starben im Kugelhagel. Die Überlebenden schweigen, auch das Auswärtige Amt will keine Angaben machen, weil es fürchtet, dies könnte die Verhandlungen um eine Freilassung der Verschleppten erschweren.

Äthiopische Quellen sprechen davon, dass der vorrangige Verdacht auf Uguugomo fallen müsse. "Keine andere Gruppe kann dort Kämpfer für ein solchen Angriff mobilisieren", sagte ein Einheimischer mit besten Kenntnissen der Verhältnisse der SZ. Von den Afar möchte niemand mit Namen zitiert werden, denn das Regime besitzt einen weit verzweigten Überwachungsapparat und die Angst vor staatlicher Repression ist groß.

Neue politische Formierungen machen die Lage unübersichtlich

Das Nachbarland Eritrea hat versichert, dass es mit dem Vorfall nichts zu tun habe. Aber an dieser Version gibt es Zweifel, zumal wenn man beobachtet, wie die verfeindeten Staaten Äthiopien und Eritrea immer wieder versuchen, sich gegenseitig zu schwächen. Dies geschieht nach dem Prinzip: Meines Feindes Feind ist mein Freund. Äthiopien stützt demnach Oppositionelle gegen Asmara. Und Eritrea hilft Gegnern der Regierung in Addis Abeba.

Die nomadischen Afar leben auf beiden Seiten der Grenze, und so ist es sehr wahrscheinlich, dass Kämpfer der Uguugumo tatsächlich Rückhalt in Eritrea finden. Doch so blutig, wie der Überfall verlaufen ist, nützt er im politischen Streit eher Äthiopien, das nun mit dem Finger auf den bösen Nachbarn zeigen kann. Wie das eritreische Regime aus dem Vorfall Kapital schlagen könnte, ist derzeit nicht erkennbar, doch die Regierung in Asmara könnte zumindest gegen die eigene Isolation ankämpfen, wenn sie hilft, die Geiseln zu befreien.

Protest gegen das "Landgrabbing"

Die Lage ist unübersichtlich, auch weil es neuere politische Formierungen gibt, die mehr oder weniger mit der älteren militanten Uguugumo vernetzt sind. Sie heißen Afar People's Party (APP) oder auch Ginbot 7, die Äthiopien als Terrorgruppe einstuft.

Sicher ist, dass fast alle Afar-Nomaden der Regierung in Addis mit großem Misstrauen begegnen. Sie fühlen sich diskriminiert und in ihrer Kultur bedroht, während die Regierung davon spricht, dass sie die Region entwickeln wolle. Der Konflikt manifestiert sich oftmals im Streit um Land. Seit Ende der 50-er Jahre schon treiben die Regierenden großflächige Bewässerung von Agrarflächen voran, aus dem Fluss Awash werden riesige Felder versorgt - Land, das früher von den Vieh-Nomaden als Rückzugsraum in der Trockenzeit genutzt wurde.

Eine Erklärung der Afar People's Party vom 4. Januar geißelt dieses "Landgrabbing", und die Konflikte dürften sich noch verschärfen. Denn die Afar fürchten, dass nun viele Menschen aus dem Hochland in ihre Gebiete zuwandern und sie verdrängen. Die Regierung in Addis hat wenig Bereitschaft gezeigt, die Nomaden in ihre Pläne einzubeziehen. Zwar gibt es einzelne aus der Afar-Elite, die profitieren, aber gerade das schürt neue Spannungen unter den Nomaden. Wer an der Entwicklung verdient, gilt dort als Verräter oder gierige "Hyäne".

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