Überfall auf einen Juden in Paris:Sie schlugen und sie traten ihn

Mitten in Paris wurde ein junger Jude halbtot geprügelt, jetzt wird heftig debattiert, ob das Motiv für den Angriff Antisemitismus war.

Gerd Kröncke

Es kam viel zusammen. Nicolas Sarkozy war gerade in Israel, zum ersten Mal als Präsident, und selbst auf Staatsbesuch im fernen Jerusalem ließ sich der Präsident regelmäßig über das Schicksal eines minderjährigen jüdischen Jungen unterrichten, um dessen Leben die Ärzte im Pariser Hôpital Cochin kämpften.

Überfall auf einen Juden in Paris: "Ich sage wahrscheinlich, sicher bin ich nicht": Gilles Bernheim, künftiger Großrabbiner von Paris.

"Ich sage wahrscheinlich, sicher bin ich nicht": Gilles Bernheim, künftiger Großrabbiner von Paris.

(Foto: Foto: AFP)

Rudy H., 17 Jahre alt, war von einer maghrebinisch-afrikanischen Jugendbande halbtot, bis ins Koma geprügelt worden. Das war, nicht zufälligerweise am Samstag, am Sabbat. Der Präsident in Jerusalem äußerte "tiefen Abscheu".

Auch Gilles Bernheim, der künftige Großrabbiner von Frankreich, der tags darauf vom jüdischen Konsistorium gewählt worden war, hat sich besorgt über das Schicksal des jungen Juden gezeigt. Er bete darum, dass er ohne bleibende Schäden überlebe. Im Gegensatz zur Mehrheit jüdischer Sprecher war der Rabbiner zunächst vorsichtig. Er halte es für "wahrscheinlich", sagte er, dass die Tat antisemitisch motiviert sei, "ich sage wahrscheinlich, sicher bin ich nicht."

Die Angaben sind widersprüchlich. Festzustehen scheint, dass der 17-Jährige in der Rue Petit im 19. Pariser Stadtbezirk von einer Rotte dunkelhäutiger Jugendlicher attackiert wurde. Er trug eine Kippa, war mithin leicht als Jude auszumachen. Wie so viele Juden hat auch der neue Großrabbiner diese Erfahrung gemacht: "Mit meinem Hut und meinem Bart erkennt man mich leicht. Ich bin schon des öfteren als 'dreckiger Jude' beschimpft worden." Deshalb rät er den Gläubigen, wie schon sein Vorgänger, statt des jüdischen Käppis lieber eine weniger auffällige Kopfbedeckung zu tragen.

Die Beweislage ist offen

Rudy H. war, wie ein Polizist vermutet, "leichte Beute", weil viele Juden, die sich sonst zur Wehr setzten, am Sabbat passiv blieben. Jedenfalls soll es ein halbes Dutzend gewesen sein, die sich an dem Jungen vergriffen. Er hatte möglicherweise, anders als ein paar seiner Freunde, nicht mehr fliehen können.

Sie schlugen und sie traten ihn, einige sind mit beiden Füßen auf dem am Boden Liegenden herumgesprungen. Bis schließlich ein Concierge aus einem Wohnblock an der Rue Petit dazwischenging. Andere haben bezeugt, dass es eine afrikanische Frau war, die auf die Jugendlichen einschrie, endlich aufzuhören. Inzwischen sind fünf Verdächtige festgenommen worden.

Sie schlugen und sie traten ihn

Doch ist die Beweislage, was die Motive angeht, einstweilen offen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Junge zwar als Jude angegriffen wurde, dass aber der Vorwurf des Antisemitismus nicht greift. Die Gegend um die Rue Petit, mitten in Paris, ist nicht gleichzusetzen mit der Banlieue.

Hier leben viele Zuwanderer, Franzosen "mit Immigrationshintergrund", wie man so sagt, aber auch viele jüdische Franzosen. Man wohnt eher neben- als miteinander, und die Rivalität zwischen den Jugendlichen geht bis zur rohen Gewalt. Nicht einmal in der Schule begegnen sie sich, weil jüdische Kinder zunehmend Privatschulen besuchen. Die jüdischen Anstalten sind sowieso besser, und in den staatlichen Schulen sind sie zu leicht dem alltäglichen Antisemitismus ausgesetzt.

Abgesteckte Reviere

Die Gegend um die Rue Petit ist kein trostloses Immigranten-Ghetto. Im nahegelegenen Butte Chaumont - einem schönen Pariser Park mit künstlichem Felsen, auf dem ein kleiner Säulentempel thront - erholen sich die Leute am Nachmittag. Manchmal aber treffen hier feindliche Jugendbanden aufeinander, weil der Butte Chaumont neutrales Terrain ist.

Im angrenzenden Kiez sind die Reviere abgesteckt, da verteidigen die Banden ihr Territorium. Die Jugendlichen definieren sich nach ihren Straßenzügen, von denen manche überwiegend von Immigranten bewohnt werden, andere von jüdischen Bürgern. Wenn sich die Jugendbanden prügeln, dann muss das nicht notwendigerweise einen rassistischen oder antisemitischen Hintergrund haben.

Auch der junge Rudy H. gehörte offenbar zu einer Jugendbande. Angesichts des Antisemitismus in Frankreich fühlen sich junge Juden sicherer vor Pöbeleien, wenn sie sich zusammenschließen. So sollte Rudy H. diese Woche wegen einer Affäre im Dezember vor einem Jugendrichter erscheinen.

Damals, am Rande einer Solidaritätskundgebung für die von der Hisbollah entführten israelischen Soldaten, war er in eine Auseinandersetzung mit einer maghrebinischen Gang verwickelt. Möglicherweise ist also die Tat vom vorigen Samstag auf eine Abrechnung zwischen Banden zurückzuführen.

Großrabbiner Bernheim jedoch ist inzwischen umgeschwenkt. Er hält das Verbrechen nun für "offenkundig antisemitisch", ausgeführt mit "ganz ungewöhnlicher Brutalität".

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