Süddeutsche Zeitung

Übereinkunft mit Ankara:Wagenknecht geißelt Flüchtlingsabkommen als "schäbigen Deal"

  • Linke und Grüne kritisieren das EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Europa mache sich abhängig von Ankara, sagte Oppositionsführerin Wagenknecht zur SZ.
  • Aus CDU und SPD kommt Zustimmung zu der Einigung. Die Reaktionen aus der CSU schwanken zwischen Erleichterung und Skepsis.
  • Amnesty International hält den Deal mit der Türkei für rechtswidrig. Die UN fordern die EU auf, sich um die in Griechenland festsitzenden Flüchtlinge zu kümmern.

Von Oliver Das Gupta

Die Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und der Türkei soll die Flüchtlingskrise lösen. Beide Seiten vereinbarten, dass neu auf den griechischen Inseln ankommende Flüchtlinge künftig in die Türkei abgeschoben werden können - dafür will die EU syrische Flüchtlinge aufnehmen, die bereits in der Türkei leben. Im Gegenzug sollen ab Juni türkische Bürger ohne Visum in die EU einreisen können. Außerdem eröffnet die EU ein neues Kapitel in den Beitragsverhandlungen mit der Türkei. In der deutschen Innenpolitik stößt die Übereinkunft mit Ankara auf gemischte Reaktionen.

Das kritisiert die Opposition

Skepsis und Ablehnung kommt von der Opposition im Bundestag. Die Linke-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht lehnt den Flüchtlingspakt mit der Türkei ab: "Das ist ein schäbiger Deal und das genaue Gegenteil einer europäischen Lösung", sagte die Oppositionsführerin am Samstag zur Süddeutschen Zeitung. Auf diese Weise mache sich Europa "abhängig und erpressbar" von der türkischen Staatsführung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Wagenknecht hielt Ankara Menschenrechtsverstöße vor und die Kampfhandlungen in den Kurdengebieten. "Auch als Finanzier und Ausrüster islamistischer Terrorbanden in Syrien ist Erdogan Teil des Problems und gerade deshalb kein geeigneter Partner zu dessen Lösung."

Auch die Grünen kritisierten das Abkommen. Der ausgehandelte Deal stellt europäische Werte infrage", sagte Grünen-Chef Cem Özdemir den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Omid Nouripour, der außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, wies darauf hin, dass bei den Verhandlungen die drastisch verschlechterte Menschenrechtslage nicht berücksichtigt worden sei. "Dass der Bürgerkrieg gegen die Kurden oder Erdogans Angriff auf die Pressefreiheit ausgeklammert wird, ist heller Wahnsinn", sagte Nouripour zur SZ.

Der Bundestagsabgeordnete ist "hochskeptisch", ob der Flüchtlingspakt "im Rahmen des Rechts funktionieren kann". Nouripour sieht "haufenweise offene Fragen bei der Umsetzung auf beiden Seiten der Ägäis", vor allem bei der Türkei: Als Beispiele nannte er das Schicksal derjenigen Flüchtlinge, die keine Syrer seien. Außerdem bleibe offen, ob die Türkei weiterhin völkerrechtswidrig ins Bürgerkriegsland Syrien abschiebe.

Von Peter Altmaier kam erwartungsgemäß Lob für das Abkommen und damit für die Politik seiner Chefin. Der Kanzleramtsminister sprach von einem starken Signal auch an die Menschen hierzulande, dass die Bundesrepublik nicht überfordert werde.

Mit der Vereinbarung habe die EU den Schutz ihrer Außengrenze so organisiert, dass sie ihren humanitären Verpflichtungen gerecht werde und trotzdem illegalen Schleusern das Handwerk lege, sagte Altmaier im ZDF. Dank des Einsatzes von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei es gelungen, "eine gemeinsame europäische Position von 28 Mitgliedsländern zustande zu bringen. Das hätte noch vor wenigen Wochen niemand für möglich gehalten."

Auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) sieht Europa in "der schwersten Bewährungsprobe seiner Geschichte" gestärkt. "Die Staats- und Regierungschefs haben in letzter Minute verstanden, dass Europa zusammenstehen muss", erklärte Kauder. Nun solle jedes EU-Mitglied "ganz praktisch seinen Beitrag leisten, dass die beschleunigten Verfahren in Griechenland tatsächlich schnellstmöglich in Gang kommen und die EU-Außengrenzen noch effektiver geschützt werden".

Deutschland habe "im vergangenen Jahr wie kein anderes Land zu seinen humanitären Verpflichtungen gestanden", sagte Kauder mit Blick auf die Aufnahme von rund einer Million Flüchtlingen.

Die Schwesterpartei CSU, die Merkel für ihren flüchtlingspolitischen Kurs seit Monaten massiv attackiert, reagierte verhalten auf die Einigung. "Unsere Einwände gegen den Türkei-Deal bleiben", sagte Generalsekretär Andreas Scheuer. Er bekräftigte, die Flüchtlinge müssten in ganz Europa verteilt werden - "und nicht nur nach Deutschland".

Scheuers Parteifreund und stellvertretender CSU-Vorsitzender Manfred Weber klang da schon optimistischer. Er nannte den Pakt einen "Meilenstein" in der Flüchtlingskrise. "Der unkontrollierte Zustrom von Migranten nach Mitteleuropa ist beendet", sagte der Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament der Passauer Neuen Presse. "Wir sind entscheidend weiter gekommen."

Der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel sieht in der Übereinkunft mit Ankara einen Erfolg. Der Bundeswirtschaftsminister erklärte über den Kurznachrichtendienst Twitter: "Die Verabredungen der EU mit der Türkei sind ein wichtiger Schritt." Die SPD habe "immer für europäische Lösung in der Flüchtlingspolitik geworben".

Damit stehen die Sozialdemokraten in der schwarz-roten Regierung an Merkels Seite, während sich der Koalitionspartner CSU von der auf gesamteuropäische Lösungen zielenden Flüchtlingspolitik der Kanzlerin absetzt. Zuletzt hatte Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sogar einen Parteiausstritt Merkels ins Spiel gebracht (hier mehr dazu).

So reagieren Vereinte Nationen und Amnesty International

Das UN-Hilfswerk UNHCR hat mit Blick auf den Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei gefordert, dass auch die jetzt schon in Griechenland festsitzenden Flüchtlinge Zugang zum Asylverfahren erhalten müssen. "Lassen Sie uns nicht vergessen: Die meisten Menschen hier sind Syrer, Iraker und Afghanen, ... sie kommen aus Regionen, die von Kriegen, Konflikten und Unsicherheit geprägt sind", sagte der UNHCR-Sprecher im nordgriechischen Lager Idomeni, Babar Baloch.

Der Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei ist nach Ansicht von Amnesty International rechtswidrig. "Die Türkei ist für Flüchtlinge und Migranten kein sicheres Land, und jeder Rückführungsprozess, der darauf basiert, ist fehlerhaft, illegal und unmoralisch", teilte die Menschenrechtsorganisation als Reaktion auf den in Brüssel vereinbarten Kompromiss mit. Der für Europa und Zentralasien zuständige Amnesty-Experte John Dalhuisen nannte das Abkommen eine "Giftpille" für den Flüchtlingsschutz.

Mit Material von dpa und AFP.

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