Überblick:Diese Deutschen sind in der Türkei in Haft

Lesezeit: 3 min

Deniz Yücel ist mit seinem Bild Symbolfigur für die noch inhaftierten Deutschen. (Foto: dpa)

Deniz Yücel, Meşale Tolu, Peter Steudtner: Sie wurden mittlerweile freigelassen. Doch sieben deutsche Staatsangehörige sitzen weiter aus politischen Gründen in türkischen Gefängnissen.

Von Julia Kitzmann und Jana Anzlinger

Seine Haut war im Gefängnis fahl geworden, sein Bart zottelig und ergraut: Im Februar gingen die Bilder von Deniz Yücel um die Welt, die unmittelbar nach seiner Entlassung gemacht wurden. Ein Jahr lang hatte der Welt-Reporter in Silivri bei Istanbul in Untersuchungshaft gesessen.

Meşale Tolu, ebenfalls deutsche Journalistin, saß in der Türkei mehr als sieben Monate lang in Haft, zeitweise mit ihrem kleinen Sohn zusammen. Im Dezember kam sie frei, hatte jedoch eine Ausreisesperre. Nun darf die Neu-Ulmerin das Land verlassen.

Inhaftierungswelle in der Türkei
:Meşale Tolu darf überraschend aus der Türkei ausreisen

Die deutsche Journalistin wurde wegen angeblicher Unterstützung einer Terrorvereinigung in der Türkei festgehalten. Die Ausreiseerlaubnis gilt nicht für ihren Mann.

Deniz Yücel, Meşale Tolu, der Menschenrechtler Peter Steudtner: Sie sind die prominentesten deutschen Staatsangehörigen, die in der Türkei aus politischen Gründen inhaftiert waren. Ihr Schicksal bewegte die deutsche Öffentlichkeit, es gab Solidaritätsinitiativen und Demonstrationen. Alle drei wurden freigelassen, die Prozesse gegen sie laufen in Abwesenheit weiter.

Doch immer noch sitzen laut Auswärtigem Amt sieben deutsche Staatsbürger in der Türkei aus politischen Gründen in Haft:

Ilhami A., 46, Taxifahrer aus Hamburg

Erst in der vergangenen Woche wurde der Hamburger Taxifahrer Ilhami A. im kurdischen Teil der Türkei, in der Stadt Karakoçan, festgenommen. Er hatte dort seine Mutter besucht. Der Vorwurf: Terrorpropaganda. Auf seiner Facebook-Seite soll sich der 46-Jährige kritisch über die türkische Regierung geäußert und für die kurdische Arbeiterpartei PKK geworben haben. Die PKK ist in der Türkei und der EU als Terrororganisation verboten. Inzwischen haben die Behörden Haftbefehl erlassen. A., der seit 1992 in Hamburg lebt, befindet sich im Gefängnis von Elazig.

Dennis E., 55, aus Hamburg

Auch Dennis E. werfen die türkischen Behörden vor, PKK-Propaganda über die sozialen Medien verbreitet zu haben. Er ist Ende Juli bei einem Besuch in der südlichen Provinz Hatay festgenommen worden und sitzt in Untersuchungshaft. E. ist in der Türkei geboren, hat aber nur noch die deutsche Staatsbürgerschaft.

Saide İnaç alias Hozan Canê, 47, Sängerin aus Köln

Die kurdischstämmige Sängerin Saide İnaç, die unter dem Künstlernamen Hozan Canê auftritt, reiste vor den türkischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 24. Juni in die Türkei. Sie wollte die pro-kurdische Oppositionspartei HDP unterstützen. Auf einer Wahlkampfveranstaltung wurde sie festgenommen, seit dem 26. Juni sitzt sie in Untersuchungshaft.

İnaç soll die PKK-nahe Kurden-Miliz YPG und die Partei der Kurden in Syrien (PYD) unterstützt haben. Der Beweis der Behörden? Ein Foto, das sie gemeinsam mit vermeintlichen Kämpfern zeigt. Ihre Tochter Dilan Örs sagt jedoch, dass es sich dabei lediglich um Aufnahmen aus einem Film handele. Außerdem ist unklar, ob die Sängerin selbst überhaupt hinter den Accounts steckt, die unter ihrem Namen auf Social Media PKK-Propaganda verbreitet haben sollen.

İnaç ist in Edirne untergebracht. Dort sitzt auch Selahattin Demirtaş ein, der trotz seiner Inhaftierung als Präsidentschaftskandidat der HDP gegen Erdoğan angetreten war.

Adil Demirci, 33, Sozialarbeiter und Reporter aus Köln

Mitten in der Nacht stürmten mindestens 20 Spezialeinsatzkräfte die Wohnung des Onkels von Adil Demirci in Istanbul. Das war im April - er war für einige Tage mit seiner an Krebs erkrankten Mutter zu Besuch bei Verwandten. Seitdem sitzt der Kölner Sozialarbeiter in türkischer Haft.

Demirci, der neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft hat, schrieb als freier Mitarbeiter von Deutschland aus für die linke Nachrichtenagentur Etha, für die auch Meşale Tolu vor ihrer Verhaftung gearbeitet hatte. Die Vorwürfe der türkischen Behörden: Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und Unterstützung einer solchen. 2013, 2014 und 2015 hat der Sozialwissenschaftler an Beerdigungen von drei Mitgliedern der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) teilgenommen. Sie hatten als Soldaten für die Kurden-Miliz YPG gegen den sogenannten Islamischen Staat in Syrien gekämpft. Die MLKP ist in der Türkei als Terrororganisation eingestuft.

Sein Bruder hat ein Solidaritätskommitee gestartet. Unterstützt wird er dabei unter anderem von dem prominenten Investigativ-Reporter Günter Wallraff.

Enver Altaylı, 73, Jurist und Publizist

"Wir haben Angst, dass ihm was passiert, während er in Einzelhaft ist und niemand hinschaut": Die Tochter von Enver Altaylı macht sich große Sorgen um den 73-Jährigen. Er sitzt seit einem Jahr in U-Haft im Hochsicherheitsgefängnis Sincan in Ankara. Seiner Familie zufolge leidet er unter hohem Blutdruck, Schilddrüsen- und Magenproblemen und wird in Einzelhaft festgehalten.

Altaylı war früher Agent des türkischen Geheimdienstes MIT. Er hat die türkische und seit 1986 die deutsche Staatsbürgerschaft. Seine Familie betreibt in Antalya eine kleine Ferienanlage. Dort wurde Altaylı am 20. August 2017 festgenommen.

Genau ein Jahr später gibt es immer noch keine Anklageschrift. Nach dem Protokoll der Gerichtsverhandlung zur Untersuchungshaft wird er verdächtigt, für die Gülen-Bewegung Straftaten begangen zu haben. Altaylı weist alle Vorwürfe zurück.

Seine Ehefrau sagte vor Kurzem dem Stern: "Das sind die letzten Jahre eines Menschen. Die würde er gerne mit seiner Familie verbringen."

Über die anderen zwei der ingesamt sieben deutschen Staatsbürger, die in der Türkei aus politischen Gründen inhaftiert sind, ist nichts bekannt. Zahlreiche weitere Deutsche sitzen wegen nicht-politischer Delikte in türkischen Gefängnissen ein. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, dass insgesamt 49 deutsche Staatsangehörige in Haft seien, sechs weitere Personen in Abschiebehaft. Ausreisesperren lägen für 35 deutsche Staatsangehörige in der Türkei vor.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Türkei-Hilfe
:Es wäre falsch, Nein zu sagen

Die türkische Regierung verletzt Menschenrechte, setzt demokratische Regeln außer Kraft und wettert gegen den Westen. Dennoch sollte Deutschland in der aktuellen Krise helfen - aus drei Gründen.

Kommentar von Stefan Braun

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: