Überbelegte Gefängnisse in Kalifornien:Wegen Überfüllung frei

Justizvollzug selbst vor dem Kadi: Ein Gericht dürfte Kalifornien zwingen, 40.000 Häftlinge zu entlassen - weil die Gefängnisse katastrophal überbelegt sind.

C. Wernicke

Arnold Schwarzenegger weiß genau, wie es zugeht im Knast: Vor mehr als 40 Jahren, lange vor seinem Aufstieg zu Hollywoods "Terminator" und später dann zum "Gouvernator" ganz Kaliforniens, besuchte der berühmte Bodybuilder regelmäßig Gefängnisse, um Häftlinge für den schweißtreibenden Sport im Kraftraum zu begeistern.

Aber das ist Romantik von gestern. "Sehr, sehr gefährlich" nennt Kaliforniens Regierungschef die heutigen Zustände in seinen 33 Staatsgefängnissen, die mit mehr als 160.000 Insassen katastrophal überbelegt sind. Weshalb am Freitag der kalifornische Justizvollzug selbst vor dem Kadi landet: Drei US-Bundesrichter dürften dann den Staat dazu verurteilen, innerhalb von zwei Jahren mindestens jeden vierten Insassen - insgesamt mehr als 40.000 Kriminelle - freizulassen.

Schon Anfang August hatten die drei Richter in einem Urteil ein verheerendes Bild von Kaliforniens Gefängnissen gezeichnet: Suizidgefährdete Häftlinge würden dort in enge Käfige ohne Toilette gepfercht, Ärzte hätten weder Zeit noch Räume für medizinische Betreuung, psychisch gestörte Täter kämen verwirrter denn je aus den Haftanstalten zurück auf die Straße. Ungefähr ein Gefangener pro Woche müsse sterben aufgrund der chronischen Überfüllung. Das sei menschenunwürdig, ergo verfassungswidrig.

Gut sechs Wochen hatte Kaliforniens Politik Zeit, selbst nach Auswegen aus der Knast-Misere zu suchen. Doch statt 40.000 Insassen wollen Republikaner und Demokraten nur die Zellen von 20.000, maximal 25.000 Häftlingen öffnen - vorwiegend von Kleinkriminellen ohne Gewalttaten in der Biographie. Die Abgeordneten fürchteten Vorwürfe, sie seien "soft on crime", also zu weich gegenüber harten Jungs. Nun wird wohl das Gericht anordnen, Tausende Gefangene wegen guter Führung frühzeitig zu entlassen oder lächerliche Verstöße gegen Bewährungsauflagen nicht gleich wieder mit neuen Haftstrafen zu ahnden.

Derweil nehmen Schwarzenegger und sein Parlament in Kauf, dass alles noch schlimmer wird: Kalifornien ist fast pleite, weshalb der Staat das Budget für den Strafvollzug um 1,2 Milliarden Dollar kürzt. Das bedeutet noch weniger Wärter, keine neuen Gefängnisse, mehr Elend hinter Gittern. Zugleich warnen Experten, solch "kalifornische Verhältnisse" könnten bald überall in den USA drohen. Die 50 Bundesstaaten geben inzwischen jeden 15. Steuerdollar nur dafür aus, jeden 100. erwachsenen Bürger wegzusperren: 2,3 Millionen Menschen sitzen ein, weshalb das "Land der Freien" mit einem Anteil von knapp fünf Prozent der Weltbevölkerung etwa ein Viertel aller Gefängnisinsassen stellt. Weggeschlossen werden vor allem Afroamerikaner (jeder 15. schwarze Mann ab 18 Jahre) und Latinos (einer von 36).

Die Ursache dieser Entwicklung liegt in den achtziger Jahren. Unter dem Eindruck wachsender Kriminalität beschlossen Amerikas Politiker überall drakonisch verschärfte Strafgesetze, vor allem für Drogendelikte. Seither hat sich die Zahl der Gefangenen verdreifacht - aber die Mittel zu ihrer Unterbringung hielten damit nicht Schritt. Und für die Rehabilitierung bleibt schon lange kaum mehr Geld übrig: Sieben von zehn Straftätern, die etwa Kaliforniens Staatsgefängnisse verlassen dürfen, kehren binnen drei Jahren wieder hinter Mauer und Stacheldraht zurück.

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