Untersuchungsausschuss zum Berliner Flughafen:Pirat Delius bremst die Neugier

Als Pirat muss er vor allem eines wollen: Transparenz. Doch nun eröffnet Martin Delius als erster Pirat überhaupt einen Untersuchungsausschuss. Er will die Pannen und Patzer der Regierung Wowereit aufdecken, die zum Millionen-Desaster beim Berliner Großflughafen geführt haben. Delius muss feststellen, dass Transparenz dabei schwer herzustellen ist.

Constanze von Bullion, Berlin

Die Vorstellung gilt als erste große Bewährungsprobe für die Piraten. Dem Berliner Abgeordneten Martin Delius könnte sie ein paar Verrenkungen abverlangen. Am Freitag hat der 28 Jahre alte Softwareentwickler im Berliner Abgeordnetenhaus einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Flughafendesasters eröffnet. Es ist das erste Mal, dass ein Pirat einem Ausschuss in einem Parlament vorsitzt, und das bei einem Thema, das so vertrackt wie brisant ist.

Delius, der Mann mit dem Pferdeschwanz, der von seinem Posten als Fraktionsgeschäftsführer der Berliner Piraten zurückgetreten ist, um sich ganz der Ausschussarbeit widmen zu können, gab sich also alle Mühe, den Erwartungen an einen seriösen Vorsitzenden zu entsprechen.

"Herzlichen Glückwunsch, dass es endlich losgehen kann", begrüßte Pirat Delius die Abgeordneten, um sie in bedächtigem Ton an ihre "Verantwortung" für die Aufklärung des größten Baudesasters der jüngeren Zeit zu erinnern. Nicht nur der Berliner Großflughafen und seine Region, auch "der Bund und die Flughafenindustrie" hätten durch das Debakel am BER "einen internationalen Reputationsverlust" erlitten.

Viermal musste die Eröffnung des Großflughafens verschoben werden, zuletzt auf Oktober 2013. Untersucht werden soll nun, wer Verantwortung trägt für Baustellenchaos, massive Planungsfehler und dafür, dass die Kosten auf 4,3 Milliarden Euro gestiegen sind. Am ersten Tag ging es aber vor allem um die Frage, was und auf welchem Weg die Öffentlichkeit von den Dingen erfahren darf, die der Untersuchungsausschuss zutage fördert.

Der rot-schwarze Senat von Klaus Wowereit (SPD), der auch Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft ist, hat schon vor Beginn des Ausschusses erkennen lassen, dass es erhebliche Einwände gegen die öffentliche Debatte von Betriebsakten und Protokollen der Aufsichtsratssitzungen der Flughafengesellschaft gibt. Naturgemäß sind Wowereit und die Geschäftsführung an schonungsloser Aufarbeitung ihrer eigenen Fehler nur bedingt interessiert.

Mitte der Woche beschwerten sich die Berliner Grünen zudem, Senatskanzleichef Björn Böhning (SPD), ein enger Mitarbeiter von Wowereit, habe ihnen mitgeteilt, 95 Prozent der relevanten Flughafenakten seien im Ausschuss vertraulich zu behandeln - also nur von Ausschussvertretern in einem speziellen Sicherheitsraum einzusehen, bei strengem Verbot, Notizen zu machen oder womöglich per Mobiltelefon Dokumente abzufotografieren. Kämen die Inhalte später im Ausschuss zur Sprache, müssten Journalisten und Zuhörer den Raum verlassen. Für einen Piraten wie Delius ist das schwer vorstellbar.

SPD und CDU wagen keinen Widerspruch

Die Senatskanzlei beruft sich dabei auf das Aktienrecht, das Betriebsfremden und der Öffentlichkeit keinen Einblick in Firmenakten gestatte. Das sei ein Vorwand, vermutete der Grünen-Obmann im Ausschuss, Andreas Otto. Wowereit wolle offenbar die Aufklärung so gut es gehe behindern. "Warum machen wir nicht den ganzen Ausschuss öffentlich? Dann sind auch die Unterlagen öffentlich", fragte Otto am Freitag - bei langwierigen Verhandlungen, ob und welcher Ausschussvertreter nun Fragen stellen darf, was vertraulich ist und was nicht, wer darüber bestimmt und wer das von welchem Sitzplatz aus tun darf.

Pirat Martin Delius im Untersuchungsausschuss zum Flughafen BER

Martin Delius, Pirat und Vorsitzender des Untersuchungsausschusses: "Wir sollten uns hier nicht auf maximale Öffentlichkeit, sondern auf maximale Wahrheitsfindung konzentrieren."

(Foto: dapd)

Der harte Acker der Realpolitik war da zu bestellen, doch es war nicht die Einhaltung der Geschäftsordnung, sondern der Inhalt der Debatte, der den Piraten von allen Parteien die größte Disziplin abverlangte. Transparenz, das ist das oberste Gebot im Weltbild der Partei, die mit liquid democracy ihren Wählern maximale Einblicke und Einflussnahme in Politik und Wirtschaft ermöglichen will.

Ein Szenario, bei dem ein Ausschuss Entscheidendes nur in Geheimräumen und Hinterzimmern verhandeln darf, gilt aus Piratensicht hingegen als Witz. Weshalb ein bunthaariger Pirat im Ausschuss demonstrativ auf seinem Smartphone tippte, um die Welt an der Sitzung teilhaben zu lassen.

Der Ausschussvorsitzende Delius betonte, alle müssten nun zur Aufklärung beitragen, sich dabei "an Fakten" orientieren und Parteiengezänk beiseitelassen. Die viel beschworenen Transparenz sei nicht das oberste Ziel: "Wir sollten uns hier nicht auf maximale Öffentlichkeit, sondern auf maximale Wahrheitsfindung konzentrieren."

Dem mochten auch SPD und CDU nicht widersprechen, die bei allen Bedenken gegen zu viel öffentliche Neugier nicht als Blockierer dastehen wollten. Er registriere "ein gewisses Misstrauen, was unsere Haltung angeht", sagte der CDU-Abgeordnete Stefan Evers. Selbstverständlich beteiligten sich die Koalitionsparteien nach Kräften an der Aufklärung. Selbst wenn die Senatskanzlei oder der Flughafen, also die Aktengeber, ein Dokument für vertraulich erklären, kann der Ausschuss dagegen Einspruch erheben. Wenn es dann allerdings zu keiner Einigung kommt, bleibt nur eine Klage vor Gericht.

In einer früheren Version des Artikels wurde Martin Delius als ehemaliger Fraktionschef bezeichnet - er trat jedoch vom Posten des Fraktionsgeschäftsführers zurück.

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