Twitter bei den Landtagswahlen:Gefährliches Gezwitscher

Twitter-Meldungen zu den Landtagswahlen: Wie können verfrühte Wahlprognosen künftig verhindert werden? Der Bundeswahlleiter warnt bereits - hat aber keine Maßnahmen parat.

G. Babayigit

Kein politisches Ereignis ohne Online-Gezwitscher: Auch am Tag der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und dem Saarland hat das Kommunikations-Netzwerk Twitter im Internet Aufsehen erregt. Bereits um 16.30 Uhr - eineinhalb Stunden, bevor die Wahllokale geschlossen wurden - sickerten am Wahltag erste Ergebnisse von Nachwahlbefragungen, sogenannten Exit Polls, über Twitter an die Öffentlichkeit.

Twitter bei den Landtagswahlen: Verfrühtes Gezwitscher: Auf der Seite des sozialen Netzwerks wurden Ergebnisse von Nachwahlbefragungen veröffentlicht - vor 18 Uhr, was nach den Wahlgesetzen verboten ist.

Verfrühtes Gezwitscher: Auf der Seite des sozialen Netzwerks wurden Ergebnisse von Nachwahlbefragungen veröffentlicht - vor 18 Uhr, was nach den Wahlgesetzen verboten ist.

(Foto: Foto: AFP)

Den Mitteilungen fehlte zwar eine Quelle. Dennoch beruhten sie womöglich auf Daten, die Wahlforscher erhoben hatten: Die Zahlen unterschieden sich nicht wesentlich von den ersten Prognosen von ARD und ZDF.

Diese ersten Prognosen, die sich auf Ergebnisse eben jener Exit Polls stützen, werden für gewöhnlich am Nachmittag des Wahltages den Parteien sowie den Medien zugespielt - mit der Maßgabe, diese nicht vor 18 Uhr zu veröffentlichen. Eine Verbreitung vor Schließung der Wahllokale ist per Wahlgesetz verboten: Sie könnte, so die Befürchtung, Unentschlossene noch beeinflussen.

Die Wahlleiter Sachsens und des Saarlands haben wegen der Twitter-Meldungen bereits Schritte angekündigt. Die sächsische Landeswahlleiterin prüfe rechtliche Schritte. "Wir sind derzeit bei der Ermittlung des Sachverhaltes", sagte eine Mitarbeiterin ihrer Behörde.

Auch Bundeswahlleiter Roderich Egeler bezog angesichts der nahenden Bundestagswahl Stellung - wenngleich er dabei keine Maßnahmen gegen das Online-Gezwitscher präsentieren konnte.

Es sei noch zu früh, um über ein generelles Verbot von Wählerbefragungen am Wahltag nachzudenken, hieß es aus dem Büro des Bundeswahlleiters. Zuerst sollten die Ermittlungen in den Ländern abgewartet werden. Egeler beließ es bei einer Ermahnung. "Ich fordere die Wahlforschungsinstitute, die Exit Polls durchführen, auf, mit den Ergebnissen der Nachwahlbefragungen äußerst restriktiv umzugehen."

Egeler unterstrich noch einmal, dass eine Vorabveröffentlichung der Ergebnisse von Exit Polls in den drei Ländern wie auch auf Bundesebene eine Ordnungswidrigkeit darstelle, die mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro geahndet werden könne. Wenn bei der Bundestagswahl Ergebnisse von Exit Polls vorab veröffentlicht werden sollten, werde der Bundeswahlleiter als zuständige Behörde ein entsprechendes Verfahren durchführen, hieß es.

Im Falle der Landtagswahlen scheint das Leck aber ohnehin woanders zu sein. Einer jener Twitter-Zugänge, von denen aus die Exit-Poll-Ergebnisse online gestellt wurden, gehörte dem Radebeuler CDU-Stadtvorsitzenden Patrick Rudolph. Der stritt ab, damit etwas zu tun zu haben. Trotzdem werde er zu einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert, hieß es aus der sächsischen Landeswahlleitung.

Inwiefern solche Vorabveröffentlichungen aber überhaupt wahlbeeinflussend wirken können, ist unklar. Es gibt schlichtweg keine Erfahrungswerte.

Nach Ansicht des Gießener Politikwissenschaftlers und Internet-Experten Christoph Bieber würden die Vorkommnisse bei den Landtagswahlen als Warnschuss für die Bundestagswahl gelesen. "Die Öffentlichkeit ist jetzt sensibilisiert und diejenigen, die bei der Landtagswahl diese Informationen publiziert haben, werden es sich nun angesichts der Empörung zwei Mal überlegen."

Dass die Twitter-Meldung von Sonntagnachmittag wahlbeeinflussend gewirkt habe, bezweifelt Bieber, der seinen Forschungsschwerpunkt in den Bereichen politische Kommunikation und Neue Medien hat. "Meines Erachtens ist 16:30 Uhr zu spät, um wirklich noch Wähler zu mobilisieren. Damit die Information über die Exit Polls auch genug Leute erreicht, müsste sie spätestens mittags veröffentlicht werden. Doch zu dieser Zeit fehlt es schlichtweg noch an guten Prognosen."

Auch Berlin hat bereits Erfahrungen mit Twitter gesammelt

Die Landtagswahlen vom 30. August waren nicht der erste Anlass, zu dem der Kurznachrichtendienst in die Schlagzeilen gerät. Schon während der Präsidentschaftskampagne des Kandidaten Barack Obama übte Twitter eine noch nie dagewesene Strahlkraft aus.

Für internationales Aufsehen sorgte das soziale Netzwerk dann während der Unruhen nach der Präsidentschaftswahl in Iran, als enttäuschte Iraner ihrem Unmut über die manipulierte Wahl freien Lauf ließen: Twitter-Nutzer wurden zu Kronzeugen stilisiert, die an der strengen Medienzensur vorbei die wahren Umstände während der blutigen Niederschlagung der Unruhen beschrieben.

Dass dabei die Trennung zwischen Fakten und Gerüchten oder gar Falschmeldungen nicht immer gelingen konnte, tat der Beliebtheit und vor allem der von außen auferlegten Bedeutung der Plattform während der Teheraner Krise keinen Abbruch.

Auch die deutsche Politik machte Erfahrungen damit, wie das als soziales Medium gedachte Netzwerk das Politische berühren konnte. Bei der Bundespräsidentenwahl im Mai sorgten drei Abgeordnete für einen kleinen Eklat, als sie das Ergebnis des ersten Wahlgangs vorwegnahmen, indem sie es via Twitter im Internet verbreiteten.

Julia Klöckner von der CDU und die SPD-Abgeordneten Ulrich Kelber und Garrelt Duin twitterten munter vom Wahlsieg Köhlers, noch bevor dieser die Wahl angenommen hatte. Doch anders als möglicherweise bei den Landtagswahlen - und der Bundestagswahl im September - konnte dieses Gezwitscher aus der Bundesversammlung auf keinen Fall Einfluss auf den Wahlausgang haben.

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