Süddeutsche Zeitung

TV-Serie:Reden wie die Briten

Ein Schwein lehrt amerikanische Kinder einen neuen Akzent.

Von Claus Hulverscheidt

Um die ganze Tragweite des Dramas zu erfassen, mit dem es amerikanische Eltern dieser Tage zu tun haben, bedarf es zunächst eines kleinen erzählerischen Umwegs. Man stelle sich die vierjährige Lizzy vor, ein cleveres, aufgewecktes Mädchen, das mit der Familie im schönen Berchtesgadener Land lebt. Daheim spricht man ein leichtes Mittelbairisch, so wie die Menschen in der Region seit jeher schwatzen - bis zu jenem Tag im Sommer 2021, als sich Lizzy vor den Eltern aufbaute, auf ihren Schlüpfer deutete und erklärte: "Mutta, ick muss ma pullern!" Man kann sich den Schreck bildlich vorstellen, der den Eltern angesichts solch preußischer Verbalverirrungen in die Glieder fuhr.

Zugegeben, die Geschichte ist erfunden, und doch: In den USA ist sie in den letzten Monaten wahr geworden, Tag für Tag, tausendfach. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie sprechen Kinder plötzlich in fremden Zungen, sie verwenden Wörter, die ihre Eltern kaum kennen, wollen Krönchen und Sherlock-Holmes-Hüte tragen und parlieren obendrein mit einem britischen Akzent, der in amerikanischen Ohren genauso abgehoben klingt, wie er aus Sicht der Briten mutmaßlich klingen soll: Wer etwa in Texas die Butter gereicht bekommen möchte, der verlangt nach der "baddr". Dabei wird die Zunge fest an den Gaumen gedrückt, was einen Laut erzeugt, als habe man eine heiße Kartoffel im Mund. Der blaublütige Schnösel-Engländer hingegen lässt die Zunge dort, wo sie hingehört, und bittet vornehm um die "ba'a".

"Biscuit" statt "cookie"

Schuld an der Sprachverwirrung ist "Peppa Pig", ein rosiges Schweinemädchen mit menschlichem Antlitz, das einst von britischen Zeichentrickfilmern erfunden wurde und im deutschen Fernsehen "Peppa Wutz" heißt. Mit ihren Vorschulfreunden erlebt Peppa viele Abenteuer, die seit anderthalb Jahrzehnten weltweit Zwei- bis Sechsjährige begeistern. Zuletzt war "Peppa Pig" hinter "Sponge Bob" der zweitmeistgesehene Cartoon überhaupt.

Schon in Vor-Corona-Zeiten gab es in den USA vereinzelt Berichte, wonach Kinder plötzlich grunzten oder mit britischem Akzent sprachen. Seit im Zuge der Pandemie die Kitas geschlossen blieben und die lieben Kleinen Tag für Tag vor dem Fernseher geparkt wurden, hat sich die Zahl der Meldungen aber vervielfacht. Die Tankstelle heißt für die Kinder plötzlich nicht mehr "gas station", sondern "petrol station". Wenn sie einen Keks wollen, rufen sie statt nach einem "cookie" nach einem "biscuit". Und als die kleine Dani aus Kalifornien jüngst erfuhr, dass ihre Mutter zum "eye doctor", zum Augenarzt, muss, fragte die Fünfjährige: "Du gehst zum ,optician'? - ein Wort, das die Eltern noch nie verwendet hatten.

Während viele Mütter und Väter entsetzt sind, verbreiten andere über soziale Netzwerke wie Tiktok lustige Videos ihrer britisch sprechenden Windelträger. Denn es ist ja nicht alles schlecht: Tess Darci, Mutter der kleinen Cecilie, etwa berichtete jüngst dem Wall Street Journal, die Vierjährige sei plötzlich "eine kleine Dame" geworden, die dauernd "lovely", "please" und "thank you" sage. Allerdings müssen Eltern damit rechnen, vom Peppa-begeisterten Nachwuchs auch einmal mit "Mama Schwein" oder "Papa Schwein" angesprochen zu werden - immerhin aber im elitären, perfekt schwingenden Oxford-Tonfall.

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