TV-Duell zur Landtagswahl in NRW:Laschet bemüht die Erzählung vom kleinen Jungen

TV-Duell zur NRW-Wahl zwischen Kraft und Laschet

Mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede: die NRW-Spitzenkandidaten Hannelore Kraft (SPD) und Armin Laschet (CDU).

(Foto: dpa)

Beim TV-Duell vor der NRW-Wahl zeigt sich der CDU-Spitzenkandidat ungewohnt emotional. SPD-Ministerpräsidentin Kraft bringt gute Argumente - aber keine Leidenschaft.

Analyse von Benedikt Peters

Der Herausforderer hat seinen großen Moment nach 46 Minuten und 58 Sekunden. Die Moderatorin will Armin Laschet ins Wort fallen, aber er lässt sie nicht. "Nein, ich muss das jetzt erzählen. Weil das einfach uuuuunglaublich ist." Das "unglaublich" dehnt er so, dass auch der letzte, möglicherweise schläfrig gewordene Zuschauer die Ohren spitzt. CDU-Spitzenkandidat Laschet erzählt dann die Geschichte eines Sechstklässlers aus Dortmund. Der habe einen Brief an die Schulministerin geschrieben, weil an seiner Realschule wochenlang der Mathe- und der Deutschunterricht ausgefallen sei. Die Geschichte stimmt, und Laschet nutzt sie an diesem Abend gnadenlos für sich.

Er piekst mit dem Finger in die Luft des WDR-Studios, schüttelt Fäuste und Kopf, und zum Schluss sagt er mit Sorgenfalten auf der Stirn: "Das ist der größte Angriff ... (noch mal Kopfschütteln) ... das sozial Ungerechteste überhaupt, wenn ein Kind, wo die Eltern nicht helfen können, keinen Unterricht bekommt." Ein paar Sekunden später, als die Kamera ihn von der Seite zeigt, sieht man: Laschet lächelt zufrieden. Es ist ein Moment, der zeigt: Laschet hat das, was ihm Kritiker lange Zeit vorwarfen, überwunden. Zumindest an diesem Abend.

Das TV-Duell zwischen der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und ihrem CDU-Herausforderer war mit Spannung erwartet worden. Viele Bürger im Westen sind Wahlforschern zufolge noch unentschlossen, elf Tage, bevor am 14. Mai der neue Landtag gewählt wird. In den Umfragen ist der Vorsprung der Ministerpräsidentin in den vergangenen Monaten geschmolzen, manche sehen Kraft und Laschet sogar gleichauf. Beide Kandidaten haben im Wahlkampf zwar schon oft gesagt, dass sie nichts auf die Umfragen geben, und nach dem Brexit- und Trump-Jahr 2016 haben sie auch allen Grund dazu. Andere Anhaltspunkte, wer am 14. Mai vorn liegen könnte, haben sie aber auch nicht, und so ist die Nervosität in Nordrhein-Westfalen groß. Zumal die Abstimmung im bevölkerungsreichsten Bundesland als wichtigster Stimmungstest für die Bundestagswahl im September gilt.

Siegesgewissheit im SPD-Stammland sieht anders aus

Die Nervosität spürt man auch an diesem Abend im TV-Studio, zum Beispiel, wenn Kraft selbst betont, dass noch nichts entschieden sei, oder wenn sie mehrmals laut wird und Laschet nahezu anschreit, statt gelassen zu widersprechen. Siegesgewissheit im SPD-Stammland sieht anders aus.

Der Verlauf der Diskussion ist allerdings auch nicht dazu geeignet, die Siegesgewissheit der SPD-Ministerpräsidentin zu stärken. Die moderierenden WDR-Chefredakteurinnen Sonia Seymour Mikich und Gabi Ludwig beweisen ein gutes Gespür bei der Fragenauswahl, es sind die Themen, die die Wähler in NRW tatsächlich bewegen. Innere Sicherheit, soziale Gerechtigkeit, die Staus auf den Autobahnen, Bildung. Auf mindestens zweien dieser Themenfelder, bei Bildung und innerer Sicherheit, geht Armin Laschet an diesem Tag als Sieger hervor. Das liegt weniger daran, was er erzählt, sondern wie er es tut.

Kraft zeigt höchstens ein Stirnrunzeln

Der Wahlkämpfer Armin Laschet wird emotional. Früher wurde Laschet vorgeworfen, ein schlechter Wahlkämpfer zu sein, nicht zuzuspitzen, nicht anzugreifen, nicht menschlich genug zu wirken. Auch deswegen ist der CDU-Spitzenkandidat viel unbekannter als mancher seiner Vorgänger, als Norbert Röttgen zum Beispiel, der im NRW-Wahlkampf 2012 sang- und klanglos unterging. An diesem Abend aber erzählt Laschet viele dieser kleinen Geschichten, die hängenbleiben.

Die von dem Jungen und dem Unterrichtsausfall zum Beispiel, aber auch die von seinem Schwager, bei dem eingebrochen worden sei. Die Einbrecher hätten dann sogar noch einem Kind, das Augenzeuge der Tat gewesen sei, gedroht, damit es nichts verrate. "Ich weiß, was das bedeutet", sagt Laschet. Zum gleichen Thema befragt, sagt Hannelore Kraft zwar, auch sie kenne Nachbarn, bei denen eingebrochen worden sei. Aber an Laschets Geschichte reicht dieser unkonkrete Allgemeinplatz nicht heran.

Dabei ist es nicht so, dass es Hannelore Kraft an vorzeigbaren Fakten mangelt. Beim Unterrichtsausfall verweist sie darauf, dass ihre Regierung mehr als 7000 neue Lehrer eingestellt hat und in Zukunft weitere dazukommen sollen. Genauso kann sie für sich geltend machen, dass die Zahl der Einbrüche in NRW zuletzt um 30 Prozent gesunken ist und die rot-grüne Regierung zahlreiche Stellen bei der Polizei geschaffen hat. Beim Thema soziale Gerechtigkeit kann sie versichern, dass ihr Programm "Kein Kind zurücklassen", das auf Bildungs- und Vorbeugungsarbeit setzt, in vielen Kommunen erfolgreich läuft.

Schütteln sich hier zwei Koalitionspartner die Hände?

Aber ganz entgegen ihrem sonstigen Auftreten ist Kraft an diesem Abend nicht leidenschaftlich. Meist verzieht sie keine Miene, wenn, dann zeigt sie höchstens ein Stirnrunzeln.

Hinzu kommt, dass Laschet auch einige Missstände kritisiert, die auf NRW zutreffen. Gerade bei der inneren Sicherheit wirkt er überzeugend, wenn er sagt, die Kriminalstatistik habe sich zwar insgesamt verbessert, Einbrüche und Gewaltverbrechen aber gebe es immer noch viele, zudem sei die Aufklärungsquote gering. Er erinnert an die gewaltsamen Hogesa-Proteste in Köln, an die Übergriffe der Silvesternacht, an den Fall Anis Amri. Nicht umsonst hat er die innere Sicherheit zu seinem zentralen Wahlkampfthema gemacht, seit Wochen redet er über kaum etwas anderes.

Am Ende des Duells bleibt dennoch das Gefühl, dass die Gegensätze zwischen beiden Parteien nicht besonders groß sind. Sowohl Kraft als auch Laschet verzichten darauf, Wahlkampf auf Kosten von Minderheiten zu machen. Beide betonen, dass jeder zu Nordrhein-Westfalen gehöre, der die gültigen Gesetze akzeptiere. Beide glauben, dass bei der Zuwanderung die Chancen größer sind als die Probleme. Und beide wollen Arbeitsplätze schaffen, um Armut zu bekämpfen und für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen.

Einem Bündnis mit der AfD erteilen die Kontrahenten eine klare Absage. Laschet tut dies auch in Bezug auf die Linke, während Kraft lediglich sagt, sie halte die Partei für nicht regierungsfähig. Als sich die beiden zum Schluss die Hände schütteln, wird man das Gefühl nicht los, dass man hier zwei künftige Koalitionspartner gesehen haben könnte. Welche Partei aber den Ministerpräsidenten stellt, das ist nach diesem Abend keineswegs entschieden.

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