TV-Duell zur Europawahl:Schulz kämpft mit Wucht - Juncker kontert mit Humor

TV-Duell: Martin Schulz gegen Jean-Claude Juncker

Die TV-Moderatoren Peter Frey (ganz links) und Ingrid Thurnher (ganz rechts) mit den Duellanten Martin Schulz (Mitte links) und Jean-Claude-Juncker (Mitte rechts).

(Foto: dpa)

Mann gegen Mann um die Spitze Europas: Martin Schulz und Jean-Claude Juncker suchen im TV-Duell zur Europawahl den Konflikt. Häufig finden die Spitzenkandidaten von Sozialdemokraten und Konservativen stattdessen Einigkeit. Und doch kracht es - auch wegen der Moderatoren.

Von Kathrin Haimerl und Michael König

Martin Schulz liebt den Fußball. Als B-Jugendlicher war er westdeutscher Vizemeister mit Rhenania Würselen. An diesem Donnerstagabend, einem historischen für Europa, geht der Deutsche in den Zweikampf, Mann gegen Mann. Im Weg steht ihm Jean-Claude Juncker aus Luxemburg. Beide sind Spitzenkandidaten für die Europawahl am 25. Mai: Schulz für die Sozialdemokraten, Juncker für die Konservativen. Beide wollen den Sieg - und anschließend EU-Kommissionspräsident werden. Regierungschef für etwa eine halbe Milliarde Menschen, wenn man so will.

Es wäre das erste Mal, dass eine Wahl über die Vergabe dieses Postens bestimmt - bislang wurde sie im Hinterzimmer der Staats- und Regierungschefs ausgekungelt. Und es ist das erste Mal, dass sich die Spitzenkandidaten in einem TV-Duell begegnen. Zur besten Sendezeit: ZDF und ORF übertragen live. Zu einer Zeit, zu der sonst Spielfilme gezeigt werden oder das Finale der Fußball-Champions-League, heißt es jetzt: Schulz gegen Juncker.

Für die medial stets unterbelichtete Europapolitik ist es eine große Chance. Schulz, seit 2012 Präsident des Europäischen Parlaments, wirkt entschlossener, daraus einen Treffer zu machen. Er entwickelt mehr Wucht. Das zeigt sich besonders, als ihn die Moderatoren Peter Frey vom ZDF und Ingrid Thurnher vom ORF zum Freihandelsabkommen zwischen EU und USA (TTIP) befragen.

Das Freihandelsabkommen ist für viele Wähler das entscheidende Thema im Wahlkampf. (Mehr zu den Hintergründen in diesem Artikel.) ZDF und ORF heizen die Diskussion mit einem Beitrag an, in dem sie vor amerikanischen "Chlor-Hühnchen" warnen, die dank TTIP bald auf deutschen Tellern landen könnten.

  • Schulz betont seinen Führungsanspruch. Er werde den Schutz europäischer Verbraucherschutz-Standards "zur Chefsache machen" erklärt er. Das Freihandelsabkommen sei an sich ein "logischer Schritt", doch es werde von Großkonzernen als "Waffe missbraucht". Mit ihm, sagt Schulz, werde es in Europa "keine Chlor-Hühner geben".
  • Juncker ist weniger offensiv. Er sei "erstmal dafür", das Freihandelsabkommen abzuschließen. Jeder Europäer habe dadurch mehr Kaufkraft, sprich: mehr Geld im Portemonnaie. Aber: "Soziale Standards dürfen nicht abgesenkt werden. Lebensmittelstandards dürfen nicht abgesenkt werden." Die Moderatoren haken nach: Und was ist mit den Chlor-Hühnchen? Juncker reagiert mit dem feinen Humor, für den er bekannt ist: "Die Hühner wollen das auch überhaupt nicht."
  • Fazit: Leichter Vorteil für Schulz. Bei ihm klingt die Botschaft - TTIP ja, aber mit strengen Auflagen - prägnanter, griffiger. Juncker laviert zu Beginn, wird dann deutlicher. Anders als Schulz nimmt er das Thema zum Anlass für eine Anspielung auf die NSA-Affäre: Die Amerikaner müssten "uns zuhören, statt uns abzuhören".

Viel Raum in der Debatte nimmt die Ukraine ein. Die russische Annexion der Krim, die instabile Lage im Osten des Landes. Hat die EU Mitschuld an der Lage, weil sie ein weitgehendes Assoziierungsabkommen mit der Ukraine anstrebte, ohne Rücksicht auf Verluste?

  • Juncker wehrt sich gegen den Vorwurf, die EU sei "naiv" gewesen. Man habe sich nicht vorstellen können, dass ein solches Problem des 21. Jahrhunderts mit Mitteln aus dem 19. Jahrhundert gelöst werden solle - ein Seitenhieb gegen den russischen Präsidenten Putin, der für die Eskalation in der Ostukraine verantwortlich gemacht wird. Müssen schärfere Sanktionen gegen Russland her? Juncker legt sich nicht fest. Man müsse berücksichtigen, dass die Sanktionen auch manche EU-Mitgliedsländer hart treffen könnten, weil sie wirtschaftlich stark von Russland abhängen.
  • Bei Schulz klingt das ähnlich. Er sagt ausdrücklich, man müsse den Deutschen klarmachen, dass schärfere Sanktionen womöglich hierzulande Arbeitsplätze bedrohten. Dennoch müsse die EU Stärke gegenüber Putin demonstrieren. Und die Separatisten? Ihr "Ballon" werde "platzen", sagt Schulz, wenn sie keine Unterstützung durch Putin mehr hätten.
  • Wo ist also der Unterschied zwischen den Kandidaten? Schulz antwortet ehrlich: "Es gibt wenig Unterschied." Juncker: "Ich verstehe Wahlkampf nicht als Massenschlägerei ohne Grund." Dieser Punkt geht an beide.

Beide Kandidaten wirken bemüht, die Einigkeit nicht zu groß werden zu lassen. Das Thema Türkei bietet ihnen Stoff für eine Auseinandersetzung:

  • Sollte die Türkei in die EU aufgenommen werden? "Die Verhandlungen laufen, sie laufen!", sagt Schulz, um gleich den türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan ins Visier zu nehmen: "Aber ich glaube, dass sich die Türkei gerade davon verabschiedet." Und das sei auch nicht falsch, "wenn man sieht, was Erdoğan da macht".
  • Streit flammt auf, als Juncker betont, der SPD-Kanzler Gerhard Schröder habe den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zugestimmt.
  • Schulz schreitet sofort ein: Merkel soll verantwortlich sein. Wer hat recht? Die Chronik sagt: Juncker. Der EU-Gipfel in Helsinki im Dezember 1999 machte die Türkei zu einem Beitrittskandidaten - damals war Schröder Kanzler. Juncker ist diesmal deutlicher: "Wer Twitter verbietet, der ist nicht beitrittsfähig", sagt er. Punkt für Juncker.

Ärger über die vermeintliche Stimme des Volkes

Stichwort Twitter: ZDF und ORF geben sich größte Mühe, ihre Sendung interaktiv zu gestalten. Die Zuschauer kommen zu Wort, Twitternutzer sind aufgerufen, Fragen zu stellen. Darauf antworten die Kandidaten geduldig. Ärgerlich werden sie nur, wenn die Moderatoren selber versuchen, die vermeintliche Stimme des Volkes wiederzugeben. Das wirkt schnell platt, etwa beim Thema Freizügigkeit: Jeder EU-Bürger darf in jedem EU-Land arbeiten. Wird dieses System von Einwanderern ausgenutzt, erschleichen sie sich Sozialleistungen?

  • Schulz ist besonders genervt von ORF-Moderatorin Thurnher. "Aber die Freizügigkeit macht den Menschen doch Sorgen, Herr Schulz?", will sie wissen. Schulz ärgerlich: "Die Jugendarbeitslosigkeit ist das Problem, nicht diese Scheindebatte, die da hochgekocht wird." Das eigentliche Problem liege in der Ausbeutung von Arbeitnehmern, etwa in großen Schlachthöfen.
  • Juncker antwortet mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für die Freizügigkeit. Die Abschaffung der Grenzen sei eine der größten Errungenschaften Europas. "Manchmal frage ich mich, ob man die Grenzen mal wieder einführen müsste, damit die Menschen merken, was es heißt, an Grenzen zu stehen."
  • Fazit: Ein Punkt geht hier an Schulz für Schlagfertigkeit. Denn zu Junckers konservativer EVP gehört auch die CSU, die mit dem Slogan "Wer betrügt, der fliegt" Stimmung gegen Zuwanderer macht. Gefragt nach seiner Haltung zu dem CSU-Slogan holt Juncker erst einmal aus und sagt: "Europa ist ein komplizierter Kontinent", setzt Juncker an, Schulz wirft ein: "Die EVP auch." Das sitzt.

Die Gurke! Die Gurke darf nicht fehlen. Sie muss herhalten, wenn es darum geht, die Bürokratie in Brüssel anzuprangern. So auch beim Beitrag, der das Thema beim TV-Duell einleitet. Die Verordnung zur Gurkenkrümmung ist noch immer Sinnbild für den Brüsseler Regelungswahn, obwohl sie inzwischen längst abgeschafft ist und es auch in den einzelnen Ländern ganz ähnliche Verordnungen gab. Also: Bürokratie in Brüssel?

  • Gehört abgebaut, findet Schulz. "Wir sollten nicht länger darüber nachdenken, was wir hier in Brüssel noch regeln könnten." Stattdessen sollte sich Brüssel um die ganz großen Fragen kümmern, unter anderem den Klimawandel nennt er als Beispiel. "Global denken und lokal handeln", fügt Schulz an.
  • Juncker sieht das ganz ähnlich, findet auch ähnliche Worte dafür. Wirklich punkten kann keiner bei dem Thema, dafür sind die Antworten zu schwammig. Und es darf bezweifelt werden, ob gerade Probleme wie der Klimawandel mit weniger Regulierung bekämpft werden können.

Und noch ein vermeintlicher Aufreger: Steuern. Gerade auf europäischer Ebene versteckt sich dahinter sehr viel Brisantes. Es gibt zahlreiche Schlupflöcher, Unternehmen sprechen hier gerne von Steueroptimierung. Auch die Zuschauer im Publikum interessiert das Thema, und die Debatte nimmt hier an Fahrt auf. Denn es ist einer der wenigen Bereiche, in denen sie sich uneins sind.

  • Wie sollen die Steuern in der EU geregelt sein? Einheitlich? Oder von Land zu Land verschieden? Schulz findet: Es braucht "einheitliche Mindeststeuersätze". Juncker will hingegen "harmonisierte Mindestsätze bei Betriebsbesteuerung, aber ansonsten Wettbewerb".
  • Juncker weist Schulz auf einen Fehler in seiner Argumentation hin: Wer für Mindestsätze eintrete, der befürworte auch einen gewissen Steuerwettbewerb. Der Punkt geht an Juncker.

Zum Schluss dürfen beide Kontrahenten noch einmal ihren Anspruch untermauern, nach dem Wahlsieg auch Kommissionspräsident zu werden. Ganz gesichert ist das nicht - womöglich bringt ein Staats- und Regierungschef doch noch einen anderen Kandidaten ins Spiel. Schulz und Juncker bauen dem vor:

  • Der Konservative Juncker prophezeit der EU eine "Krise" für den Fall.
  • Schulz ist noch einmal schlagfertiger: "Wer SPD wählt, kriegt Schulz. Wer CDU wählt, kriegt nicht Merkel, sondern Juncker", sagt er. "Wer das nicht akzeptiert, verübt einen Anschlag auf die europäische Demokratie."
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