Süddeutsche Zeitung

TV-Duell vor Bundestagswahl:Schulz müht sich vergeblich gegen Merkel

In der einzigen Fernseh-Debatte geht SPD-Herausforderer Schulz in die Offensive. Die Kanzlerin dagegen spielt ihre Erfahrung aus. Die Highlights des TV-Duells.

Von Matthias Kolb

Das einzige TV-Duell des Jahres 2017 ist vorbei. 97 Minuten lang haben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr SPD-Herausforderer Martin Schulz darüber diskutiert, wie Deutschland in den kommenden vier Jahren auf die drängendsten Herausforderungen reagieren soll. Allzu große Unterschiede zwischen den beiden Politikern hat die Diskussion nicht offenbart. Das lag auch daran, dass Martin Schulz seine beste Formulierung erst im Schluss-Statement findet, um die wachsende soziale Ungleichheit in Deutschland anzuprangern.

Die Ausgangslage ist klar: CDU-Chefin Merkel steuert drei Wochen vor der Bundestagswahl ungefährdet auf ihre vierte Amtszeit als Bundeskanzlerin zu. Im aktuellen ZDF-Politbarometer kommt die Union auf 39 Prozent, die SPD nur auf mickrige 22 Prozent. Dass Schulz an diesem Abend angreifen muss, zeigt auch ein anderer Wert: Laut ARD-Deutschlandtrend würden sich nur 26 Prozent der Deutschen bei einer Direktwahl für den SPD-Kandidaten entscheiden. Merkel liegt auch hier mit 49 Prozent weit vorn.

Die erste Frage geht an Martin Schulz. Warum schenken ihm nach dem Höhenflug nach seiner Kür zum Merkel-Herausforderer mittlerweile so viele Bürger kein Vertrauen, will Moderator Peter Kloeppel (RTL) wissen. Schulz argumentiert tapfer, dass die Mehrheit der Wähler noch unentschlossen sei. Merkel kontert locker den Vorwurf, sie vertrete als "All-Inclusive-Kanzlerin" viele Position gleichzeitig: Für sie sei das Engagment für Klimaschutz und der Einsatz für die deutsche Auto-Industrie kein Widerspruch.

Die Moderatoren erinnern an den wohl schärfsten Vorwurf von Schulz an Merkel: Er unterstellte ihr beim SPD-Parteitag "einen Anschlag auf die Demokratie". Der 61-Jährige nennt seinen Spruch "hart und zugespitzt" und betont, dass er diese Worte nicht nochmals wählen würde. Ihm sei es darum gegangen, dass endlich die Debatte um die Zukunft des Landes geführt werde. Heute sei dafür eine gute Gelegenheit. So bleibt es den Rest des Abends: Schulz greift an, aber nicht zu sehr.

Merkel spart sich - ganz Weltpolitikerin - einen Seitenhieb und reagiert gelassen auf die Frage, ob ihre Flüchtlingspolitik dafür gesorgt habe, dass mit der AfD "eine Partei rechts von der Union" in den Bundestag komme. Sie weist den Vorwurf zurück, sie habe die Sorgen der Deutschen während der Flüchtlingskrise ignoriert und betont: "Ich stehe zu meinen Entscheidungen." Ihre Hoffnung: Wenn möglichst viele Deutsche wählen gehen, dann hätten "Extremisten" wenige Chancen.

Dies ist eine gute Überleitung für den Themenkomplex Migration, die Fragen stellt das Moderatoren-Duo Sandra Maischberger (ARD) und Claus Strunz (Sat 1). Sie erlebe die momentanen Flüchtlingsbewegungen, vor allem aus Afrika, nicht als Bedrohung, betont Merkel. Deutschland habe lange von der Globalisierung profitiert, aber man könne und dürfe sich nicht abschotten von den Entwicklungen. Es gelte nun vor allem, die Fluchtursachen zu bekämpfen, damit die Menschen sich gar nicht erst auf den Weg nach Europa machen müssten.

Merkel souverän bei Integration, Schulz will EU-Beitrittsgespräche mit Türkei beenden

Schulz greift Merkel an und wirft ihr vor, sie hätte im Herbst 2015 die europäischen Partner frühzeitiger informieren und besser einbeziehen müssen (ob dies stimmt, lesen Sie im SZ-Faktencheck). So hätte sich die aktuelle Situation vermeiden lassen, dass Staaten wie Polen und Ungarn unsolidarisch handeln und bis heute die Aufnahme der Flüchtlinge verweigern. Merkel bleibt ganz ruhig und unterstellt Schulz, er konstruiere hier einen größeren Unterschied zwischen den Positionen der Regierungsparteien als dieser eigentlich existiere.

Die Kanzlerin macht beim Thema Integration eine gute Figur. Sie dankt all jenen, die als Freiwillige geholfen hätten in schwerer Zeit und versichert, dass man aus den Fehlern der Nicht-Integration der Gastarbeiter lernen werde: "Wir machen Sprachkurse, wir versuchen die Frauen einzubeziehen."

Obwohl zwei Drittel der Deutschen anderer Meinung sind, steht Merkel weiter zum Satz, den einst Bundespräsident Christian Wulff prägte: "Der Islam gehört zu Deutschland". Sie verstehe die Skepsis, angesichts der vielen Anschläge, die angeblich im Namen des Islams verübt werden. Merkel fordert, dass die muslimische Geistlichkeit hier lauter werden müsse. Doch für sie steht fest: Die vier Millionen Muslime in Deutschland tragen zum Wohlstand in Deutschland bei.

Wie erwartet präsentiert sich Schulz als bodenständiger Ex-Bürgermeister aus Würselen: Er berichtet von der Moschee in seiner Nachbarschaft, in die vor allem "anständige Leute" gehen würden. Klar müsse sein: Für Hassprediger ist kein Platz. In diesem Themenkomplex sind die Unterschiede nicht groß: Schulz und Merkel sind sich einig, dass die Integration der vielen Migranten Jahre dauern werde und dies "eine schwere Aufgabe" bleibe. Beide wollen ein Einwanderungsgesetz und Gefährder sollen nach Möglichkeit abgeschoben werden.

Durch den Themenblock Außenpolitik führen nun Maybrit Illner (ZDF) und RTL-Mann Kloeppel. In Sachen Türkei-Politik bekennt der ehemalige Präsident des EU-Parlaments Farbe. Auch wenn es ihm schwer falle, betont Schulz, als Kanzler die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen zu wollen: "Alle roten Linien sind überschritten." Hierauf kontert Merkel, sie habe "anders als die SPD früher" nie eine EU-Mitgliedschaft Ankaras befürwortet. Die Kanzlerin warnt vor Alleingängen, denn eine Aufkündigung der Gespräche brauche eine Einstimmigkeit der 28 EU-Mitglieder.

Nach einer Dreiviertelstunde wächst der Druck auf Schulz weiter, sich klarer von der populären Kanzlerin zu distanzieren. "Zwei andere Konzepte stehen zur Wahl", sagt der SPD-Kandidat und fordert "klare Kante" und harte Botschaften an die Adresse an des türkischen Präsidenten Erdoğan. Das wirkt bemüht, doch so richtig klar wird der Unterschied nicht. Die Frage nach Nordkoreas jüngstem Atomwaffentest nutzt Schulz zu einer minutenlangen Kritik an dem "unberechenbaren" US-Präsidenten Trump, der die Welt immer tiefer in die Krise twittere. Ähnlich denken wohl viele Deutsche, doch nach schlüssiger Außenpolitik klingt das nicht.

Die Frage, welche Werte sie mit Trump teile, antwortet Merkel kaum. Sie verurteilt dessen Reaktion auf Charlottesville und betont, dass man die USA als Friedensmacht brauche und betont, dass es für die Nordkorea-Krise nur eine friedliche Lösung geben könne. Dann spielt sie den Kanzlerinnenbonus aus und betont, dass sie "mit allen sprechen" werde: den Russen, den Franzosen, den Chinesen, den Südkoreanern und natürlich auch mit Trump. Merkel weiß, dass die meisten Deutschen ihr gerade in Sachen Diplomatie und internationalen Beziehungen vertrauen.

Die letzte halbe Stunde beginnt mit dem Themenkomplex soziale Gerechtigkeit. Herausforderer Schulz, dem die Zeit davon rennt, kritisiert die Kanzlerin, dass zu viele Bürger nicht am Wohlstand teilhaben könnten. Die Bundeskanzlerin lobt sich zunächst selbst: Die Zahl der Arbeitslosen sei seit ihrem Amtsantritt auf nun 2,5 Millionen gesunken. In der Debatte um das Renteneintrittsalter gibt sich Merkel ganz gelassen: "Ich halte dem Herrn Schulz doch auch keine Einzeläußerung von Sozialdemokraten vor." Der Forderung des CDU-Wirtschaftsrats nach einer "Rente mit 70" erteilt Merkel eine klare Absage: Dies sei Dachdeckern und Pflegekräften nicht zuzumuten.

Für diese Aussagen erhält Merkel ein klares Lob von ihrem Herausforderer: "Sie bezieht Position, das ist doch gut!" Schulz freut sich sichtbar, dass die Kanzlerin eine Haltung der Sozialdemokraten übernimmt. Doch dies ist zugleich sein Problem: Warum sollen die Wähler sich für einen Neuling im Kanzleramt entscheiden, wenn die Amtsinhaberin (oft in einer großen Koalition) seit 2005 viele sozialdemokratische Positionen umgesetzt und wenige schmerzhafte Reformen eingeleitet hat.

In Sachen Dieselaffäre bemühen sich beide um Bürgernähe. Merkel weist den Vorwurf zurück, sie kuschele mit der Autoindustrie und sei eine Autokanzlerin. Sie sei "stocksauer" über diesen Betrug, der einen wichtigen Bestandteil der deutschen Wirtschaft gefährde. Schulz fordert bessere Entschädigungen für die Besitzer von Dieseln, doch hier wird vor allem klar: Eine einfache und schnelle Lösung gibt es nicht.

Kritik am Engagement von Altkanzler Schröder bei Rosneft

Mehr Dynamik entsteht, als die Moderatoren von Merkel und Schulz Antworten im "Ja / Nein"-Stil fordern. Hier werden ein paar Unterschiede deutlich: Anders als die Kanzlerin will Schulz schon 16-Jährige wählen lassen und definiert Ehe nicht als Bund zwischen Mann und Frau. Beide finden es schlecht, dass sich Altkanzler Schröder nun bei Rosneft engagiere. Hier lässt sich Schulz nicht in die Enge treiben und sagt: "Es geht hier um die Zukunft von Deutschland, nicht um die Zukunft von Gerhard Schröder."

Am Auftritt von Martin Schulz lässt sich nicht viel kritisieren: Er kennt sich aus, er ist gut präpariert und schlagfertig. Doch eines gelingt ihm kaum: Merkel in die Enge zu treiben und sich als klare Alternative zu Merkel zu präsentieren. Die Einigkeit ist groß und das gilt auch für die Redezeit: Hier sind die Unterschiede marginal.

Dies gelingt auch nicht beim letzten Themenbereich Innere Sicherheit, der sehr schnell abgehandelt wird. Beide wollen mehr Polizisten einstellen, sie kritisieren das Behörden-Versagen im Fall des Berlin-Attentäters Anis Amri. Merkel nutzt dieses Thema, um den rot-grün regierten Bundesländern vorzuwerfen, in diesen Bereichen zu lax zu agieren. In Sachen Koalition sagt Merkel, dass die Union eine Koalition sowohl mit der AfD als auch mit der Linken ausschließe - dies solle die SPD auch tun. Hier lässt sich Schulz nicht festlegen: Er lehnt einen Bund mit der Linken nicht klar ab.

Vor vier Jahren, zum Abschluss des Rede-Duells mit Peer Steinbrück, hatte Angela Merkel die Deutschen mit dem heute fast legendären Satz "Sie kennen mich" um ihre Stimmen gebeten. 2017 findet der Sozialdemokrat die beste Formel in den Schluss-Statements. Schulz versichert sich zunächst, ob er auch wirklich eine Minute Zeit habe und sagt dann: "In 60 Sekunden verdient eine Krankenschwester weniger als 40 Cents, ein Manager 30 Euro." Die wachsende soziale Spaltung in Deutschland hat er so gut bilanziert (und ob diese Zahlen stimmen, lesen Sie im SZ-Faktencheck).

Es folgt nochmals Trump-Kritik: "Ein Präsident kann mit einem Tweet für Unruhe sorgen und vernetzte Jugendliche eine Regierung stürzen." Schulz will mit den Partnern in Europa eng kooperieren und betont, dass die Deutschen "in einer Zeit des Umbruchs" leben würden und er habe den nötigen "Mut zum Umbruch".

Den Abschluss bildet die Kanzlerin. Merkel betont, dass "jetzt die Weichen für die Zukunft" gestellt werden müssten. Das Smartphone symbolisiere diesen Wandel: "Wir müssen uns Gedanken machen, wie der digitale Wandel funktioniert." Den Deutschen sagt Merkel, sie wolle "für Sie arbeiten und mit Ihnen arbeiten." Dann verändert sie noch einen anderen berühmten Satz. "Wir können das gemeinsam schaffen", ruft sie den Deutschen zu. Und dann ist die einzige TV-Debatte der Spitzenkandidaten des Jahres 2017 vorbei.

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