TV-Duell:Eine publizistische "Mission Impossible"

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90 Minuten Wahrheit: Beim TV-Duell zwischen Kanzlerin Merkel und Herausforderer Steinmeier soll der Wahlkampf sein Wattekleid verlieren.

Hans-Jürgen Jakobs

Es ist doch nur eine Fernsehsendung. Es ist doch nur ein Fernsehstudio. Immer wieder, fast mantramäßig, sagt Frank Plasberg diese Sätze. Und wundert sich über das bohrende Interesse der Öffentlichkeit. Die will wissen, ob die Fragen womöglich abgesprochen sind. Und überhaupt: diese "Meta-Ebene", diese angebliche Bedeutung von 90 Minuten Live-Fernsehen - "grotesk" findet das Plasberg.

Der Moderator der Talkshow "Hart aber fair" steht an einem Platz, an dem am Sonntagabend der deutsche Wahlkampf sein Wattekleidchen verlieren soll, an dem - zwei Wochen vor der Bundestagswahl - richtig Politik gemacht wird: Studio B auf dem Berliner TV-Gelände Adlershof. 630 Quadratmeter Wahrheit sozusagen.

Die obersten Kombattanten sollen sich in diesem Raum endlich zu erkennen geben: Kanzlerin Angela Merkel von der CDU und ihr SPD-Herausforderer Frank-Walter Steinmeier, der bekanntlich in Merkels Kabinett Zweiter und Außenminister ist. Vier bekannte Journalisten sollen jenseits der Posen die Positionen der zwei herausfragen. Eine publizistische Mission Impossible, die den Interviewern immerhin Geltung bringt.

Plasberg sagt, wenn Merkel oder Steinmeier mit ihrer Taktik die vollen 90 Minuten durchkommen würden, dann hätte er etwas falsch gemacht. Plasberg ist bei diesem TV-Duell Novize. Er hat sich durch notorische Neugier den Job erarbeitet, und soll vermutlich forsch sein, wenn die zu Quellwolken-Rhetorik neigenden Gäste aus dem Kabinett Langeweile verbreiten.

"Wenn nicht jetzt, wann dann?"

Das Wort "aggressiv" verbiete sich aber bei dieser Veranstaltung, stellt der ARD-Mann schon einmal klar. Auf dem Plan steht eine Mischung aus Volkshochschule, Gesprächstherapie und Schaubühne. Die vier größten TV-Sender ARD, ZDF, RTL und Sat1 übertragen die Vier-plus-Zwei-Verhandlungen parallel.

Ein paar Meter von Plasberg entfernt steht die ZDF-Moderatorin Maybrit Illner. Sie war schon beim ersten TV-Duell 2002 dabei, damals, als sich Gerhard Schröder und Edmund Stoiber zweimal duellierten, einmal bei den Privaten, einmal bei den Öffentlich-Rechtlichen. Jetzt spricht sie davon, dass dies ein "besonderer Wahlkampf" sei, da Merkel und Steinmeier ja im Adlershof erstmals als Wahlkämpfer aufeinandertreffen. Bisher saßen sie, ziemlich einträchtig, gemeinsam auf der Regierungsbank. Das sei "spannend", sagt Illner. Es stelle sich das Gefühl ein, dass "es langsam zu brodeln" anfange. Sie hofft auf ein Ende der Harmonie des "gemischten Doppels" aus der noch amtierenden Bundesregierung und auf "Solo-Attacken".

Irgendwann muss er ja beginnen, dieser Wahlkampf. "Wenn nicht jetzt, wann dann?", fragt Plasberg.

Er hofft, dass die "Trainingsmaske" der Politiker fällt. So besteht das TV-Duell am Sonntag aus ganz viel Hoffnung - und wenig Gewissheit. Schließlich ist es ja nicht unwahrscheinlich, dass die Kombattanten Merkel und Steinmeier nach dem 27. September einfach in einer großen Koalition weitermachen müssen.

Die Interviewer stehen - die einzige Innovation

ZDF-Journalistin Illner wird am Sonntag die Zuschauer begrüßen und verspricht noch, solange zu fragen, bis wirklich Antworten kommen. Sie erklärt: "Diese Duelle wirken." Sie wird am Sonntag mit dem RTL-Kollegen Peter Kloeppel ein Zweierteam bilden, rechts in diesem blauen Studio, dessen Balustraden Arena-Atmosphäre schaffen sollen. Erstmals stehen die Interviewer bei einem deutschen TV-Duell, das ist auch schon die einzige nennenswerte Innovation.

Ihnen gegenüber, dreieinhalb Meter entfernt, am aerodynamisch gehaltenen, silbrigen Kandidatenpult wird Steinmeier stehen. Daneben die Kanzlerin, die wiederum auf jenes muntere Gespann schaut, das Plasberg und der Sat1-Nachrichtenstar Peter Limbourg bilden. Uhren in den Stehpulten der Politiker zeigen an, wie viel Zeit sie sich nehmen können. Kurz und bündig sollen Themenkomplexe wie Wirtschaft, Bildung, Außenpolitik und Afghanistan abgearbeitet werden. Steinmeier redet zuerst, Merkel als letzte. Die Vorschriften für das Duell konnten diesmal auf zwei Blatt Papier festgehalten werden. "Je weniger Regeln, desto besser", sagt Kloeppel.

Mangels Alternative ist der Politshow am Sonntag ein Quotenerfolg sicher, ARD-Chefredakteur Thomas Baumann geht davon aus, dass mindestens so viele Deutsche zuschauen wie vor vier Jahren - da waren es knapp 21 Millionen.

Verständnis für die permanente Kritik des FDP-Chefs

Wenn da nur nicht die Befürchtung wäre, das sogenannte TV-Duell könnte als Farce enden, als öffentlich übertragene Kabinettsitzung, bei der die ohnehin zum Drögen neigenden Pragmatiker Merkel und Steinmeier einfach nicht mitmachen beim geplanten Ballyhoo. Es könne nicht das Interesse der Kandidaten sein, dass zuerst die Interviewer und dann die Zuschauer einschlafen, macht sich ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender Mut. Er spricht vom "Höhepunkt des medialen Wahlkampfs". Der Einladung seines Senders zu einem Treffen der fünf Spitzenkandidaten der größten Parteien hat sich Merkel entzogen. Zu einer ähnlichen Veranstaltung in der ARD hat sie noch nicht zugesagt.

Weil die Fernsehduellanten vom Sonntag für ein und dieselbe Regierung stehen und ihre Formationen längst keine großen Volksparteien mehr sind, hat ZDF-Vormann Brender sogar ein gewisses Verständnis für die permanente Krititk des FDP-Chefs Guido Westerwelle. Der findet, das TV-Duell vom Sonntag sei schlicht "undemokratisch". Immerhin zeige ja das Thüringer Beispiel, dass auch der Vertreter der drittstärksten Partei Regierungschef werden könne, merkt Brender an. In Deutschland ist eben alles anders als in den USA, wo es nur zwei große Parteien gibt, deren gewählte Kandidaten in den verbalen Nahkampf steigen.

Aber auch dort gab es nicht immer ein Fernsehduell. Es fiel schon einmal aus. Daran wiederum haben die TV-Verantwortlichen Deutschlands auch im Jahr 2009 niemals gedacht. Dann würden wir die beiden Spitzenkandidaten ja "aus ihrer Verantwortung entlassen", erklärt Brender.

Und das darf nicht sein. Im Übrigen: Es ist ja nur eine Fernsehsendung.

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