TV-Debatte in Österreich:Österreichs Wahlkampf, plötzlich würdevoll

Heinz-Christian Strache (FPÖ), Christian Kern (SPÖ), Sebastian Kurz (ÖVP) bei der TV-Debatte

Vom Kanzler in die Opposition: Christian Kern von der SPÖ (Mitte) wird nach der Wahl wohl zusehen müssen, wie Sebastian Kurz, ÖVP (r.), mit Heinz-Christian Strache, FPÖ (l.), eine Regierung bilden werden.

(Foto: Getty Images)

Nach den vielen Skandalen ist der Ton bei der Elefantenrunde überraschend brav. Kanzlerkandidat Kurz liebäugelt mit dem Populisten Strache - und gibt einen Vorgeschmack auf den erwarteten Rechtsruck.

TV-Kritik von Leila Al-Serori, Wien

Christian Kern schüttelt den Kopf und seufzt. Der sozialdemokratische Kanzler von Österreich sagt gleich zu Beginn der Elefantenrunde im TV-Sender ORF2 den Satz, der wohl allen auf der Zunge lag: "Diesen Wahlkampf hätten wir uns sparen können."

In den vergangenen Wochen wurden viele Superlative bemüht, um den österreichischen Wahlkampf zu beschreiben: Es sei der schlimmste, der schmutzigste, der unwürdigste Wahlkampf überhaupt gewesen. Der Sumpf, in dem die Kandidaten immer mehr zu versinken drohten, schien unfassbar tief, die Schlammschlacht so dreckig wie nie.

Österreich hat ungeahnte Skandale gesehen in diesem Herbst: Die Sozialdemokraten bezahlten offenbar viel Geld für Schmutzkampagnen gegen Außenminister und ÖVP-Kanzlerkandidat Sebastian Kurz. Dessen Partei wiederum soll Geld für Informationen geboten haben, mit denen sie der SPÖ hätte schaden können. Dazu gab es Rücktritte, Parteispaltungen und jede Menge Leaks. Dass die FPÖ sich anschickt, erneut in eine österreichische Bundesregierung einzutreten, ging da fast unter.

Keine Schlammschlacht im Studio

Drei Tage vor den Parlamentswahlen steht Kanzler Kern jetzt mit den anderen Kandidaten im ORF-Studio und gibt sich selbstkritisch. In die Schlammschlacht der vergangenen Wochen will an diesem Abend keiner mehr eintreten, Fehler wollen alle vermeiden. Die Spitzenkandidaten von ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grünen und den liberalen Neos scheinen müde. Mehr als 50 TV-Debatten hat es in diesem Wahlkampf gegeben - eine absurd hohe Zahl.

An diesem letzten großen Debatten-Abend vor der Wahl beschimpft niemand mehr den anderen. Der Ton bleibt geradezu freundschaftlich und ruhig. Als hätten sie einen Pakt geschlossen, die Sache nicht noch schlimmer machen zu wollen, als sie ohnehin schon ist. Das lässt die Debatte erholsam sachlich werden.

Die Themenpalette ist vielfältig. Es geht um Rente, Bildung, den Arbeitsmarkt, Klimaschutz und - natürlich - Einwanderung. Neue Forderungen bleiben aus. Es war schon vorher alles zu allem gesagt. Die Debatte legt dafür den Blick frei auf das, was nach dem Wahlsonntag in Österreich sehr wahrscheinlich passieren wird: eine Koalition aus ÖVP und FPÖ, geführt von einem Kanzler Sebastian Kurz als neuem starken Mann der ÖVP.

Kurz wäre dann mit seinen 31 Jahren der jüngste Regierungschef Europas. Er hat sich im Wahlkampf erfolgreich als neues Gesicht der ÖVP positioniert - obwohl er seit 2011 in der österreichischen Regierung sitzt, seit 2013 als Außenminister. Beide Parteien haben eine Zusammenarbeit zwar noch nicht offen angekündigt, aber auch nicht ausgeschlossen. Eine Neuauflage der ewigen großen Koalition aus SPÖ und ÖVP dürfte aber nach den vielen internen Querelen der vergangenen Jahre eher unwahrscheinlich sein.

Klarer Rechtsruck erwartet

Kurz scheint die Koalitionsverhandlungen mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache schon in der Sendung aufnehmen zu wollen. Gerne nimmt er dessen Positionen auf, stimmt, hört und lächelt ihm mehrere Male zu. Der Kuschelkurs mit den Rechten gibt einen ersten Vorgeschmack auf die wohl kommende Regierung.

Strache, der seit zwölf Jahren Chef der rechtsradikalen FPÖ ist und eine Vergangenheit in der Neonazi-Szene vorweisen kann, zeigt sich von seiner sanften Seite. In Umfragen steht seine Partei mit etwa 25 Prozent auf dem zweiten Platz, einige Prozentpunkte hinter der ÖVP - aber gut fünf Prozentpunkte mehr als zur Nationalratswahl 2013. Da kann er zufrieden sein. In der Elefantenrunde ist nicht mehr viel vom Polterer, vom "Hassprediger", wie er in manchen Medien genannt wurde, zu sehen.

Was nicht heißt, dass er in der Sache nachgegeben hätte. Der Islam ist auch an diesem Abend sein großes Thema. Er warnt vor islamistischen Fanatikern und mehr muslimischen als katholischen Kindern im Kindergarten. Ein wenig stichelt Strache gegen Kurz, als er die Hoheit über das Thema Einwanderung für die FPÖ reklamiert. Seit Kurz die ÖVP führt, scheinen tatsächlich beide auf sehr ähnlichem Kurs zu sein - und der weist ganz klar nach rechts.

Kurz und Strache wollen etwa in Österreich arbeitenden EU-Bürgern die Sozialleistungen für ihre Kinder im Heimatland kürzen. Das würde vor allem Pflegekräfte aus Osteuropa betreffen. Oder Sozialleistungen für Migranten kürzen: Kurz und Strache wollen die Grundsicherung für Flüchtlinge halbieren. Vorbild ist hier das Bundesland Oberösterreich, wo eine von ÖVP und FPÖ dominierte Landesregierung die Kürzung durchgesetzt hat. Zu hohe Sozialleistungen hätten eine "Sogwirkung für Wirtschaftsflüchtlinge", sagt Strache. Wenig später wiederholt Kurz, was Strache gesagt hat. Nur in anderen Worten.

Noch-Kanzler Kern hält dagegen: "Wir müssen die Armut bekämpfen und nicht die Armen." Schon der Satz macht deutlich, wie weit sich die bisherigen Koalitionspartner bereits voneinander entfernt haben. Aber nicht mal Grüne und Liberale grätschen noch dazwischen, wenn sich Strache und Kurz zu einig werden.

Die Grüne Ulrike Lunacek kritisiert, dass die Themen Flucht, Zuwanderung und Islamisierung vermischt würden. Matthias Strolz von den liberalen Neos will die Themen Asyl und Arbeitsmigration voneinander trennen. Das habe er sich "von seinem Freund", dem bundesdeutschen FDP-Chef Christian Lindner abgeschaut. Der hatte am Vorabend den Wahlkampf der Neos in Wien unterstützt.

Der Ton bleibt bis zum Ende der Sendung gesittet. Nicht einmal zu gegenseitigen Unterbrechungen kommt es. Alle sind der Kämpfe müde. Der Wahlkampf in Österreich bekommt kurz vor Schluss noch ein Stück Würde zurück.

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