TV-Debatte der Stellvertreter im US-Wahlkampf:Biden dominiert das Unentschieden

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Ein angriffslustiger Joe Biden gibt den Demokraten wieder Hoffnung. Beim Vize-Duell stellt er Paul Ryans Aussagen in Frage und erinnert an Romneys Bemerkung über die "47 Prozent". Doch Ryan schlägt sich wacker, trägt die Lieblingsargumente der Republikaner vor - und profitiert von Bidens fehlender Selbstkontrolle.

Matthias Kolb, Washington

Charles M. Blow ist Kolumnist der New York Times und sehr aktiv bei Twitter. "Das Geräusch, das ihr jetzt hört, ist das kollektive Aufatmen der Liberalen in ganz Amerika", schrieb er Sekunden, nachdem Moderatorin Martha Raddatz das TV-Duell der Stellvertreter zwischen Joe Biden und Paul Ryan für beendet erklärt hatte. Und ein Blogger des New Yorker machte sich über die Fixierung der US-Medien auf Umfrage-Ergebnisse lustig und meldete: "Eine große Mehrheit der Demokraten wünscht sich, dass Biden die übrigen Debatten bestreitet."

Eines ist dem Vizepräsidenten in Danville, Kentucky gelungen: Biden hat die geschundene Seele der Demokraten nach der lustlosen Debatten-Premiere seines Chefs gewärmt und Barack Obama vor dem nächsten Duell mit Mitt Romney eine Atempause verschafft. Das Momentum des Republikaners, für den es in den Umfragen zuletzt nur nach oben ging, ist vorerst gebremst.

Von der ersten Minute an ist der 69-Jährige angriffslustig und verteidigt mit Verve die erste Amtszeit von Obama/Biden. Egal ob es um die Sanktionen gegen Iran wegen des Atomprogramms, das Gesundheitssystem oder die Reaktion auf die globale Finanzkrise geht: Biden gelingt es anders als Obama meist, sowohl die Frage zu beantworten als auch einen weiteren Bogen zu spannen. Natürlich müsse geklärt werden, was am 11. September in Bengasi zum Tod des US-Botschafters Chris Stevens und dreier weiterer Amerikaner geführt habe, erwidert Biden auf die erste Frage der Moderatorin Martha Raddatz.

Joe Biden gegen Paul Ryan
:Duell der Stellvertreter

Für die Demokraten war es ein wichtiger TV-Auftritt: Die Vizepräsidentschaftskandidaten lieferten sich einen lebhaften Schlagabtausch. In der aggressiven Debatte ging es auch um Bilder - und Bidens strahlend weiße Zähne.

Doch dann zählt er die Erfolge Obamas auf: Die US-Soldaten seien aus dem Irak zurück, der Abzug aus Afghanistan stehe bevor und Bin Laden sei tot. "Gouverneur Romney war hingegen der Meinung, man müsse dafür nicht Himmel und Hölle in Bewegung setzen", punktet Biden. Kaum hat die souveräne ABC-Journalistin das Thema Wirtschaft angesprochen, ist der 69-Jährige zur Stelle: Die ökonomische Lage sei verheerend gewesen, als er und Obama ins Weiße Haus gekommen seien. Während Romney unter dem Motto "Lasst Detroit bankrott gehen" dafür plädiert habe, die Autoindustrie fallenzulassen, habe Obama amerikanische Jobs gerettet.

Leidenschaftlich oder unhöflich?

Mit bebender Stimme erinnert Biden nicht nur an die heimlich mitgeschnittene Rede von Mitt Romney, in der dieser 47 Prozent der Amerikaner als Sozialschmarotzer bezeichnet hatte - auch Ryan sprach im November 2011 davon, dass 30 Prozent der Amerikaner "Nehmer" seien, die auf Kosten des Staates leben würden ( Details hier). "Es sind meine Eltern, über die Sie sprechen. Es sind Leute, die hart arbeiten und die mehr Steuern zahlen als ein Mitt Romney", hielt er Paul Ryan entgegen.

Dieser wartet diese Attacke äußerlich gelassen ab und verweist auf Romneys persönliche Großzügigkeit: Der Mormone habe Millionen gespendet und in Not geratene Familien unterstützt, berichtet der Abgeordnete aus Wisconsin. Natürlich werde Romney als Präsident für alle Amerikaner da sein, versichert Ryan und stichelt gegen Biden: "Aber ich denke, der Vizepräsident weiß recht genau, dass die Worte manchmal nicht ganz aus dem Mund kommen, wie sie sollten."

An diesem Abend ist der für Patzer und Versprecher bekannte Joe Biden sehr diszipliniert in seinen Aussagen - doch Mimik und Gestik hat er weniger unter Kontrolle. Immer wieder schüttelt er ungläubig bis belustigt den Kopf über Ryans Aussagen, die er etwa als "ein Haufen Quatsch" und "leeres Gerede" bezeichnet. Dass er dem 27 Jahre jüngeren Republikaner wiederholt ins Wort fällt, um Fakten zu korrigieren, mögen die Demokraten als jene Leidenschaft interpretieren, die Obama fehlte - auf Unabhängige und Konservative wirkte es unhöflich.

Dies erklärt wohl, weshalb mehrere Blitzumfragen Ryan zum Sieger kürten: Bei CNN sahen ihn 48 Prozent vorn, während Biden 44 Prozent der Stimmen erhielt. Bei CNBC liegt der 42-Jährige sogar mit 56 zu 36 Punkten vorn. CBS befragt hingegen die Gruppe der für den Wahlsieg so wichtigen unentschlossenen Wähler: Hier lag Biden mit 50 zu 31 Prozent vorn.

Doch Ryan punktet nicht nur mit seiner im Vergleich zu Bulldozer Biden ruhigeren und ernsthaften Art. Auch wenn deutlich wird, dass er in außenpolitischen Fragen nicht so beschlagen ist wie Biden, bringt er doch jene Punkte fehlerlos an, welche die Konservativen hören wollen: Die Obama-Regierung schwäche Amerikas Rolle in der Welt, sei durch Fahrlässigkeit schuld am Tod von Botschafter Stevens in Bengasi und erlaube es Teheran, an der Atombombe zu basteln. Dass er nicht erklären kann, was eine Romney/Ryan-Regierung in Bezug auf Irans Nuklearprogramm und den Bürgerkrieg in Syrien anders machen würde, wird die Fachleute beschäftigen - bei der Republikaner-Basis kommt die Kritik an den Vereinten Nationen und Russland besser an.

Als es um Steuerpolitik geht, werfen sich Ryan und Biden gegenseitig abwechselnd Unehrlichkeit vor - und verschiedene Studien an den Kopf. "Sie nehmen die Mittelschicht als Geisel, um die Steuern für die Superreichen zu senken", ruft Biden, der im Gegenzug dafür wirbt, dass in einer zweiten Obama-Amtszeit die Reichen "etwas mehr zahlen", um die Mittelschicht zu entlasten.

Hoffnung für die Demokraten: US-Vizepräsident Joe Biden zeigt sich im Fernsehduell angriffslustig. (Foto: AFP)

Ryan singt hingegen das Loblied auf den kleinen Geschäftsmann, der von Regulierung geknechtet werde und verkündet, die von Romney geplante Steuersenkung auf 20 Prozent werde die Wirtschaft ankurbeln und in vier Jahren zwölf Millionen Jobs schaffen. Wie sein Chef weigert sich Ryan, Details zur Finanzierung dieses Plans vorzulegen. Sein Argument verblüfft: Er werde nicht sagen, welche Schlupflöcher im Steuerrecht er schließen wolle, da die Republikaner mit den Demokraten zusammenarbeiten wollten. Der Ruf nach Überparteilichkeit - er klingt hohl aus dem Mund eines Politikers jener Partei, die sich seit vier Jahren jeglichem Kompromiss verweigert ( Details in diesem Süddeutsche.de-Artikel).

Zum Abschluss des intensiven Abends spricht Martha Raddatz eine Premiere an: Erstmals sitzen sich bei einer TV-Debatte zwei Katholiken gegenüber. Sie will wissen, wie der Glaube die Haltung der beiden zu Abtreibung geprägt habe. Ryan erklärt, für ihn beginne das Leben mit der Empfängnis und erzählt, wie er seine sieben Wochen alte Tochter auf dem Ultraschall gesehen habe: "Sie sah aus wie eine Bohne. So nennen wir sie noch heute." Abtreibung werde bei einer Romney-Regierung nur bei Vergewaltigung und Inzest erlaubt sein - oder wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist.

Kurzer Vorteil für Ryan

Biden betont, er akzeptiere die Position der katholischen Kirche für sein eigenes Leben, doch er wolle diese Position nicht allen anderen aufzwingen. Dann landet der erfahrene Diskutant weitere Punkte: Er erinnert daran, dass Ryan bis vor kurzem Abtreibung ohne Ausnahme ablehnte und dass Romney diverse Positionen bei diesem für evangelikale Christen so wichtigen Thema vertreten hat. Und der nächste US-Präsident werde zwei Richter des Supreme Court benennen: Eine größere Mehrheit aus konservativen Juristen könnte die Grundsatzurteile zur Abtreibung kippen.

Beim Schlussstatement erinnert Biden ein einziges Mal an Barack Obamas unglücklichen Auftritt in Denver. Der 69-Jährige erwähnt nochmals die abfällige 47-Prozent-Bemerkung von Romney und kündigt an, für gleiche Rechte auf der Main Street und der Wall Street zu kämpfen. Doch weil er sich verhaspelt und vergisst, sich bei seinem Gegenüber zu bedanken, passt sein letzter Beitrag nicht zu seinem dominanten Auftreten.

Paul Ryan hingegen hat nicht nur den Vorteil, dass allerletzte Wort zu haben - er kondensiert noch mal die Botschaft der Republikaner. Die Wähler hätten die Wahl zwischen zwei verschiedenen Visionen für Amerika, mit dem "einzigartig geeigneten" Romney werde er die USA reformieren und neue Jobs schaffen. "Ihr habt etwas Besseres verdient", ruft er den Amerikanern zu, denn die leichte Verbesserung der Arbeitsmarktzahlen sei keine echte Erholung.

Ob das Duell der Stellvertreter, die vor allem die eigene Basis bedient haben, die Umfragen in den wichtigen swing states verändern wird, das wird man am Wochenende wissen. Doch dann fiebern zumindest alle Journalisten bereits dem kommenden Dienstag entgegen, wenn sich Obama und Romney den Fragen ausgewählter Bürger stellen. Und wenn er wissen will, wie er leidenschaftlich die eigene Bilanz verteidigen soll, dann weiß der US-Präsident ja nun, wen er anrufen muss.

Linktipp: Die New York Times hat das Duell in Textform und als Video dokumentiert.

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