Tunesische Flüchtlinge in Italien:Flucht in eine ungewisse Zukunft

"Morgen, dann wieder morgen" - so heißt es, wenn sie fragen, wann sie weiterdürfen oder es eine Aufenthaltsgenehmigung gibt: In italienischen Lagern sitzen Tausende Bootsflüchtlinge fest. Niemand weiß, wie es weitergehen soll. Während sich Bürger um den Tourismus in der Nähe der Lager sorgen, steht der rechte Innenminister vor einem Dilemma.

Andrea Bachstein, Manduria

Über Nacht hat sich alles relativiert. Die Männer, die an der Landstraße auf einem struppigen Feld in der schon stechenden Sonne herumstehen, darf man jetzt zu den glücklicheren zählen. Sie haben es bis hier nach Apulien geschafft. Anders als die wohl 250 Menschen, die gerade auf der Flucht nach Europa mit ihrem untauglichen Boot im tosenden Mittelmeer untergegangen sind. Alle hier sind auch mit Fischerbooten aus Nordafrika aufgebrochen, und hatten so zunächst die italienische Insel Lampedusa erreicht.

Tunesische Flüchtlinge in Italien: Flucht nach der Flucht: Männer verlassen das Aufnahmelager in Manduria im Südosten Italiens.

Flucht nach der Flucht: Männer verlassen das Aufnahmelager in Manduria im Südosten Italiens.

(Foto: AFP)

Aber an diesem Tag wissen die jungen Männer noch nichts von der Tragödie, sie plagt vor allem die Ungewissheit. Wie lange müssen sie noch bleiben in dem improvisierten Flüchtlingscamp zwischen Feldern, sechs Kilometer von der Kleinstadt Manduria entfernt und vier von Oria? 1200 bis 1300 Tunesier hausen hier in großen, blauen Zelten, aufgereiht im eingezäunten Gelände eines verfallenen Militärflughafens aus dem Zweiten Weltkrieg. Per Schiff hat man die Männer vom überfüllten Lampedusa nach Taranto gebracht und dann im Bus ins Lager.

"Morgen, und dann wieder morgen", heiße es, wenn sie fragen, wann sie weiterdürfen oder es gar die ersehnten Aufenthaltsgenehmigungen gibt, erzählt Moammed Goudbami. Der 32-Jährige aus Gazrin hofft wie alle auf Arbeit in Europa. Er steht gegenüber der von Polizei bewachten Zufahrt zum Camp auf einem Feld, das übersät ist mit Matratzen und braunen Decken. Aus Protest haben ein paar Dutzend von ihnen am Vortag dort übernachtet und sind in Hungerstreik getreten. Er hat nur einen halben Tag gedauert. Die Stimmung ist wieder entspannt, und die Polizisten sagen, die Männer würden auch nicht mehr versuchen, in Scharen davonzulaufen, um die 200 waren es in den Tagen zuvor. Sie wissen jetzt, dass sie meist nicht weit kommen, und die französische Polizei Tunesier zurückweist, die von Ligurien über die Grenze kommen.

Doch die Bilder aus Manduria von Migranten, die sich nachts über den Zaun davonmachten, haben in Italien auch Beunruhigung ausgelöst. Und der Bürgermeister von Manduria hat seinen Rücktritt erklärt. "Das hat nichts mit Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit zu tun", sagt Roberto Puglia, Chef der Sozialbehörden im Rathaus von Manduria. Er will den Flüchtlingen sogar helfen, gerade vorhin hat er der Präfektur gemeldet, was Gemeinde und örtliche Caritas beitragen können. "Der Bürgermeister wollte dagegen protestieren, dass er keine richtige Information vom Innenministerium oder der Präfektur erhält", sagt Puglia. "Wir erfahren nicht einmal, wie viele Migranten herkommen sollen." Auch nicht, ob es sich um Asylbewerber handelt oder illegale Einwanderer.

Roberto Puglia sagt, die Bürger hätten um ihre Sicherheit kaum Sorge. Es würden fast keine Flüchtlinge herkommen, schon weil in Manduria nur Nahverkehrszüge halten, mit denen sie nicht weit kommen. Wenn sie etwas sorge, dann die Wirkung der Bilder vom Lager auf potentielle Urlauber. Sabine K., eine Deutsche, die hier Ferienwohnungen vermietet, sagt, sie spüre es schon. Gäste hätten abgesagt, erstmals seit Jahren blieben Anfragen aus. Und was noch komme, wisse man ja nicht. Vom Bürgermeister bis zu den Einwohnern, von den Polizisten am Lager bis zu den Migranten - sie wissen nicht, wie es weitergeht.

Auch nicht Ghassen Najjar. Der pummelige 24-Jährige sitzt mit anderen am Zugang zum Camp. Sie rauchen, was sollen sie auch sonst tun. Auf das Mittagessen, das sie mit ihren grünen Lagerkarten bekommen, hat Najjar, der aus Kebili kommt, keine Lust. "Maccheroni, jeden Tag Maccheroni", sagt er, und macht sich gleich über seine Maulerei lustig, indem er zur Melodie von "Macarena" "Maccheroni" singt. Seit fünf Tagen ist er hier, 15 Tage war er auf Lampedusa.

Der rechte Innenminister in der Zwickmühle

Es sei ihm gar nicht schlecht gegangen in Tunesien. Die Familie habe ein Haus und Landwirtschaft. Aber jetzt sehe er keine Zukunft mehr dort. Die Lage sei zu unsicher. Gahssen Najjar ist zu Scherzen aufgelegt und gescheit dazu. Maler will er werden und Kunst studieren in Italien, das habe er schon in Tunesien gemacht. Italienisch hat er am italienischen Kulturinstitut gelernt. Außerdem kann er Englisch, Französisch und natürlich Arabisch. Najjar will nur bis nach Rom, seine Eltern arbeiten dort schon lange. Aber er will nicht ohne Aufenthaltserlaubnis erwischt werden. So wartet er.

Wie sein Cousin Bassem, der mit seinen 24 Jahren fast noch wie ein Teenager wirkt. Auch Bassem sieht keine Aussichten für sich zu Hause. Selbst in Hotels gebe es keine Jobs mehr, weil die Touristen ausbleiben. Außerdem traut er dem Wandel in Tunesien nicht, die alten Kräfte seien wieder am Werk, meint er, womöglich komme es zu Gewalt.

Natürlich sind nicht nur Akademiker im Camp. In Oria, wohin die Männer zu Fuß gehen, sitzen vor dem kleinen Bahnhof ein gutes Dutzend Tunesier. Nein, sie wollten nicht den Zug nehmen, behauptet einer. Nur hier sitzen, vielleicht essen und rauchen. Er kann nur wenig Französisch und ein paar Worte Italienisch. Beruf hat er keinen gelernt. Er will zu seinem Bruder nach Bergamo. Das Bürschchen neben ihm hat ein hartes Gesicht, ist aber fast noch ein Kind. 15 ist Hamid, wie sich herausstellt. Er spricht nur Arabisch, er will nicht ins Camp, übersetzen die anderen, und er habe auch einen Bruder in Italien.

Als später ein Zug kommt, rennt Hamid mit anderen zum Gleis. Die zwei Polizisten und die Schaffner halten sie freundlich-entschieden ab, den Zug zu besteigen. "Sie dürfen sich hier frei bewegen", sagt ein Polizist, "aber nicht weg ohne Papier und Fahrkarten."

Die große Ungewissheit, die allen bisher zu schaffen machte, lag auch am scheinbar planlosen Agieren der Regierung. Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord ist in der Zwickmühle. Er muss der migrantenfeindlichen Linie seiner Partei gerecht werden. Andererseits muss er den Zustrom von schon etwa 25.000 Bootsflüchtlingen 2011 so auffangen, dass Flüchtlingsrechte und die Interessen der Bürger gewahrt sind. Die Zuwanderung unterbinden und schnell möglichst viele zurück nach Tunesien schicken, zeichnete sich als Linie ab. Dann sagte Premier Silvio Berlusconi, es müsse allen geholfen werden, die in Italien landen. Und Tunesien verweigerte sich einer Rückführungsaktion für Tausende.

Inzwischen hat die Lega Nord Zugeständnisse gemacht, und Rom hat Tunesien etwa 200 Millionen Euro zugesagt. Damit soll die Wirtschaft angekurbelt werden. Es geht aber auch um Ausrüstung für Grenzschutz, Computer für Rückführungsprozeduren. Was für die Männer in Manduria und anderen Camps jedoch am meisten zählt: Sie sollen Aufenthaltsgenehmigungen für sechs Monate erhalten. Dann dürfen sie sich in Italien frei bewegen. Ob auch in anderen EU-Ländern, ist noch nicht klar. Versuchen werden es einige auf jeden Fall.

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