Tunesien und der "Islamische Staat":"Die Imame waschen den Jungen das Gehirn"

"Das Problem sind die Imame, die Scheichs, die Indoktrinierung. Sie waschen den Jungen das Gehirn", klagt Ben Rejeb, oft ohne dass es Eltern oder Freunde bemerken. "Die meisten sind zwischen 18 und 27 Jahren alt", sagt er - und geistig noch nicht gefestigt. Auffällig viele Naturwissenschaftler seien unter ihnen. "Die Prediger erzählen denen dann etwas vom Dschihad in Syrien", fährt er fort. "Und der Dschihad ist Pflicht für alle Muslime - aber in Syrien gibt es keinen Dschihad!", ruft er. Der Mufti von Tunis habe das klargestellt. Ben Rejeb weigert sich daher, von Dschihadisten zu sprechen - er redet nur von Kämpfern.

Tatsächlich hat eine Reihe von Faktoren es Islamisten lange leicht gemacht, in Tunesien zu rekrutieren. Religiöser Extremismus ist nicht neu hier, er wurde nur unter der Diktatur wirksam von Polizei und Geheimdiensten unterdrückt. Seif Allah Ben Hassine etwa, bekannt unter dem Namen Abu Iyadh, kämpfte schon mit den Mudschaheddin gegen die Sowjets in Afghanistan. Später stieg er in die Führung von al-Qaida auf. Er warb zwei Landsleute an, die 2001 ein Selbstmordattentat auf Ahmed Schah Massud verübten, den Anführer der Nordallianz. 2003 geriet er in Tunesien in Haft, die Türkei hatte ihn abgeschoben. Wie Tausende andere Islamisten und politische Gefangene kam er nach der Revolution frei. Er gründete die inzwischen als terroristisch verbotene Ansar al-Schariah, die bis zu 40 000 Anhänger haben soll. Zugleich wurden Anti-Terror-Einheiten der Polizei aufgelöst, waren sie doch Teil des Unterdrückungsapparates von Ben Ali.

Unbehelligt bekannten einflussreiche Imame wie Mokhtar al-Jebali oder der unter der Regierung der islamistischen Ennahda als Religionsminister amtierende Noureddine el-Khademi offen ihre Unterstützung für die Kämpfer in Syrien. In Hunderten Moscheen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen, werben salafistische Prediger bis heute Kämpfer an. Professionelle Rekrutierungszellen stellen Verbindungen zu den Milizen her, sie sollen zwischen 3000 und 10 000 Dollar für jede Anwerbung erhalten, Geld, das oft aus dem Ausland kommt.

Tunesier brauchen kein Visum, um nach Syrien zu kommen

Die IS-Milizionäre brauchen ausgebildete Leute, um ihren Parastaat am Laufen zu halten. Die finden sie unter den Tunesiern eher als unter anderen Nationalitäten. Zudem war der Landweg über Libyen lange eine billige und problemlose Route, um außer Landes und weiter nach Syrien zu gelangen - Tunesier brauchen kein Visum, sie werden nicht einmal elektronisch registriert. Die tunesischen Behörden haben die Überwachung der Grenze deswegen verstärkt.

Ben Rejeb wirft ihnen dennoch vor, zu wenig zu tun, gerade was die Rückkehrer angeht. "Sie sind an der Waffe ausgebildet, manche haben Menschen getötet", warnt er. "Sie sind wie eine Bombe." Sie würden von der Polizei befragt und überwacht, manche auch verurteilt und eingesperrt. Aber niemand kümmere sich darum, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren, das Gedankengut in ihrem Kopf zu entschärfen. Irgendwann, fürchtet Ben Rejeb, "werden sie explodieren wie ein Vulkan".

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