Süddeutsche Zeitung

Tunesien:Robocop im Präsidentenpalast

Bei den Wahlen gewinnt ein islamisch-konservativer Professor, der ebenso dröge wie prinzipienfest ist: Kais Saïed ist gegen die Legalisierung der Homosexualität und für die Todesstrafe.

Von Moritz Baumstieger

Der parteilose Jurist Kais Saïed wird neuer Präsident Tunesiens. Der 61-jährige Konservative erreichte im zweiten Wahlgang eine überwältigende Mehrheit: Saïed habe 72,71 Prozent der Stimmen bekommen, teilte die tunesische Obere unabhängige Wahlbehörde ISIE am Dienstagabend mit. Saïed versprach, Präsident aller Bürger sein zu wollen. Der pensionierte Jura-Dozent vertritt konservative, islamisch angehauchte Positionen und plant die Einführung eines basisdemokratischen Regierungssystems. Saïeds Wahlerfolg im Geburtsland des "Arabischen Frühlings" überrascht. Der pensionierte Professor hatte den Wahlkampf ohne eigene Partei und mit sehr einfachen Mitteln geführt. Die Tunesier hätten der Welt eine Lektion erteilt, sagte er nun. "Es ist eine Revolution im Rahmen einer demokratischen Verfassung und in völliger Legalität." Wie im ersten Wahlgang, in dem Saïed 18,4 Prozent erhalten hatte, stimmten in der Stichwahl vor allem junge Wähler für ihn. Saïed hatte versprochen, die Reformen des "Arabischen Frühlings" von 2011 wiederzubeleben: "Wir müssen das Vertrauen zwischen Volk und Regierung erneuern." Sein Gegenkandidat Nabil Karoui kam in der Stichwahl laut vorläufigem amtlichen Endergebnis auf 27,29 Prozent der Stimmen. Der Medienunternehmer, hatte seit August wegen Korruptionsvorwürfen in Untersuchungshaft gesessen und kam erst am Mittwoch frei. Er kritisierte, ihm sei ein fairer Wahlkampf verwehrt worden.

Das Urteil im Prozess steht aus. Saïed hat keine Partei hinter sich und keine praktische politische Erfahrung. Er hat keine klassische Kampagne geführt, sondern auf Plakataktionen, Großveranstaltungen und Spindoktoren verzichtet und nicht einmal die staatliche Wahlkampfhilfe angenommen. Seinen Straßenwahlkampf, bei dem er mit wenigen Unterstützern durchs Land tourte, in billigen Hotels schlief und das direkte Gespräch mit den Wählern suchte, hatte er ausgesetzt, als Karoui in Untersuchungshaft saß, um die Chancengleichheit zu wahren.

Saïeds Erfolg als einer von 26 Kandidaten überrascht umso mehr, als er weder erfahren noch charismatisch ist. Wegen seiner monotonen Sprechweise und seines spröden Auftretens nennen ihn viele "Robocop". Unter den Gegnern in der ersten Wahlrunde waren Sozialisten, ein singender Imam und eine Vertreterin des alten Regimes, welche die nach 2011 erfolgte Demokratisierung zurückdrehen wollte. Selbst der Premier- und der Verteidigungsminister schieden mit beschämenden Ergebnissen aus. Der Verfassungsrechtler präsentierte sich als konservativer, gegen Korruption immuner Anti-Politiker. Er ist gegen die Legalisierung der Homosexualität, gegen eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel, für die Todesstrafe und für ein korankonformes Erbrecht.

Nach der Niederlage wiederholte Karoui den Vorwurf, ihm sei ein fairer Wahlkampf unmöglich gemacht worden. Er akzeptiere die Niederlage aber. Damit ist eine politische Krise abgewendet. Nach dem Tod von Staatspräsident Beji Caid Essebsi Ende Juli übernahm Parlamentspräsident Mohamed Ennaceur dessen Rolle, sein Mandat läuft jedoch Ende Oktober aus. Hätte Medienunternehmer Karoui wegen seiner Inhaftierung den Rechtsweg eingeschlagen, hätte sich Saïeds Vereidigung über Ende Oktober hinaus ziehen können: Tunesien wäre ohne Staatschef dagestanden. Die Kompetenz des Präsidenten liegt weniger im Tagesgeschäft, aber Tunesien steht vor einer komplizierten Regierungsbildung. Anfang Oktober hatten die Tunesier ein Parlament gewählt. Die moderat islamistische Ennahda wurde stärkste Kraft mit 24 Prozent, Karouis Qalb Tounes - Herz Tunesiens - kam mit 17,5 auf Platz zwei. Diese Parteien wollen aber nicht koalieren. Falls mit Hilfe Unabhängiger eine Regierung gebildet werden kann, wird sie entsprechend instabil sein.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2019
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