Tunesien:Menschenrechtsaktivist soll Staatschef werden

In Tunesien haben sich die islamistischen Wahlsieger mit der zweitstärksten Partei, dem liberalen Kongress für die Republik (CPR), auf einen Übergangspräsidenten geeinigt. Demnach wird das Land das kommende Jahr nicht von einem Islamisten geführt, sondern von CPR-Gründer Moncef Marzouki.

Ein früherer Menschenrechtsaktivist wird Übergangspräsident in Tunesien. Darauf haben sich die stärksten Parteien des Landes geeinigt. Moncef Marzouki solle das Land ein Jahr lang als Staatschef führen, bis eine neue Verfassung geschrieben sei, sagte eine mit den Verhandlungen vertraute Gewährsperson der Nachrichtenagentur dapd.

Die islamistische En-Nahda-Partei und der liberale Kongress für die Republik hätten sich auf Marzouki verständigt, hieß es. Die beiden Parteien waren aus den Wahlen vom 23. Oktober als stärkste und zweitstärkste Kraft hervorgegangen. Am Montag war das amtliche Endergebnis offiziell bekanntgegeben worden.

Marzouki leitete die tunesische Liga für Menschenrechte und war 1994 vier Monate in Haft, nachdem er versucht hatte, bei Wahlen gegen den langjährigen Machthaber Zine el-Abidine Ben Ali anzutreten. 2001 hatte er die linksgerichtete Oppositionspartei Kongress für die Republik (CPR) gegründet, die kurz darauf verboten wurde. Anschließend ging er ins Exil.

Der Dissident war der erste prominente Gegner Ben Alis, der im Januar aus dem Exil in seine Heimat zurückgekehrt war. Der 66-jährige Mediziner war dort zur Leitfigur der Exilgemeinde geworden.

Die drittstärkste Kraft, die linksgerichtete Partei Ettakatol, hatte auf ihren Führer Mustapha Ben Jaafar als Übergangspräsidenten gedrungen. Ihm wurde nun das Amt des Präsidenten der Verfassunggebenden Versammlung angeboten. Ettakatol müsse diesem Vorschlag noch zustimmen, sagte ein Mitglied des politischen Büros der Partei, Khalil Zaouia.

Die Islamisten der En-Nahda unter Rached Ghannouchi gelten als weit weniger konservativ als andere islamistische Parteien in der Region. So haben sie zum Beispiel versprochen, Tunesiens fortschrittliche Frauenrechte zu erhalten. Bislang war Tunesien im Vergleich zu anderen arabischen Ländern vergleichsweise säkular ausgerichtet. Mit ihrem Entschluss, den Gründer des CPR als Übergangspräsidenten zu akzeptieren, scheinen die Islamisten zu bestätigen, dass sie diesbezüglich keine radikalen Veränderungen planen.

Eigenen Angaben zufolge will sich die Ennahda für Glaubens- und Meinungsfreiheit sowie für die Rechte von Frauen einsetzen und plant ein großes Bildungsministerium.

Moncef Marzoukis Partei hat sich zum Ziel gemacht, die arabisch-muslimische Identität Tunesiens zu stärken und das Land zugleich nach außen hin zu öffnen. Die linksgerichtete Partei Ettakatol unter dem früheren Oppositionellen Mustapha Ben Jaafar hat sich dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit verschrieben.

Vor neun Monaten war der seit 23 Jahren regierende Machthaber Zine el-Abidine Ben Ali durch eine der ersten Bewegungen des "Arabischen Frühlings" gestürzt worden. Der Aufstand in Tunesien war Ausgangspunkt für ähnliche Demokratiebewegungen in der Region.

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