Tunesien, Ägypten, Libyen:Al-Qaida feiert arabische Aufstände als Erfolg

Die Revolutionen in der arabischen Welt hatten die Terrororganisation al-Qaida fast verstummen lassen - jetzt meldet sich einer der prominentesten Prediger des Netzwerks zu Wort: Anwar al-Aulaki bezeichnet die Entwicklungen als "großen Sprung nach vorn".

Ein prominenter Prediger der al-Qaida hat die Revolutionen in den arabischen Staaten als einen "großen Sprung nach vorn" für Islamistengruppen gefeiert. Durch die Absetzung von feindlich gesinnten Herrschern könnten die Kämpfer und Gelehrten der Bewegung nun freier sprechen und sich besser organisieren, schrieb Anwar al-Aulaki in einem kürzlich im Internet veröffentlichten Artikel. "Nach drei Jahrzehnten des Erstickens erhalten unsere Mudschaheddin-Brüder in Tunesien, Ägypten, Libyen und der übrigen muslimischen Welt eine Chance, wieder frei zu atmen", schreibt der US-Bürger jemenitischer Abstammung im Online-Magazin Inspire unter dem Titel "The Tsunami of Change".

AQAP RELEASES FIFTH ISSUE OF "INSPIRE"

Titelbild der aktuellen Ausgabe des e-Magazin Inspire des weltweiten Terroristennetzwerks al-Qaida: Unter dem Titel "The Tsunami of Change" feiert Anwar al-Aulaki, ein prominenter Prediger, die Umwälzungen in der arabischen Welt als Erfolg für Islamistengruppen.

(Foto: AFP)

Westliche und arabische Experten haben die Aufstände in Nordafrika als Gegenbewegung zum islamischen Radikalismus bezeichnet. Al-Aulaki erklärte dagegen, die Revolten hätten "die Barrieren der Angst" durchbrochen. Es sei dabei unwichtig, welche Regierungen nun in diesen Staaten an die Macht kämen, denn sie würden mit Sicherheit weniger repressiv sein. "Das Ergebnis muss keine islamische Regierung sein, damit wir die Vorgänge als einen Schritt in die richtige Richtung sehen." Er verwies auf Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi: "Wir halten es nicht für möglich, dass die Welt noch einen Wahnsinnigen vom Kaliber des Obersts hervorbringt."

Die Umwälzungen in der arabischen Welt hatte die Terrororganisation al-Qaida in den vergangenen Wochen geradezu verblüfft verfolgt, widersprach die Protestbewegung doch dem Kernargument der Extremisten, dass politischer Wandel in dieser Region lediglich durch terroristische Gewalt möglich sei. Wochenlang schien es, als suche das Netzwerk eine Antwort auf den Ruf nach Demokratie in der Region.

Experten gingen davon aus, dass das Netzwerk auf der Suche nach einer neuen Strategie sei: "Ich habe sie noch nie so ruhig erlebt", hatte Jarrett Brachman, ein Experte für al-Qaida und deren Medienstrategie, Anfang März im US-Kongress gesagt. "Momentan verfolgt al-Qaida die Strategie, abzuwarten und sich wegzuducken", sagte er. "So nachdenklich hat man die Al-Qaida-Führung noch nicht erlebt."

Womöglich al-Qaida unter libyschen Rebellen

Nun also die erste Äußerung eines prominenten Mitglieds: Al-Aulaki gilt als der einflussreichste englischsprachige Prediger von al-Qaida. Er wird im Jemen vermutet. Das Magazin Inspire ist an Muslime im Westen gerichtet.

In dem Magazin kommt auch noch ein anderer Autor zu Wort, Yahya Ibrahim. Er argumentiert, al-Qaida lehne Regimewechsel durch friedliche Proteste zwar nicht ab. Allerdings glaube er nicht, dass man einen Wechsel gänzlich ohne Gewalt herbeiführen könne.

Derweil sorgen Informationen des US-Geheimdiensts für Irritationen: Demnach könnten sich unter den Rebellen in Libyen auch Al-Qaida-Mitglieder sowie Mitglieder der schiitischen Hisbollah-Bewegung befinden. Dafür gebe es Anzeichen, sagte der Nato-Oberkommandeur für Europa, US-Admiral James Stavridis, vor einem Senatsausschuss in Washington. "Wir sehen verschiedene Dinge. Aber zu diesem Zeitpunkt verfügen wir nicht über ausreichende Details, um zu sagen, dass es eine signifikante Präsenz von al-Qaida oder anderen Terroristen gibt", sagte er.

Streit um Bewaffnung libyscher Rebellen

Der Westen beobachte die Rebellen ganz genau und werde weiter Informationen über die oppositionellen Gruppen sammeln. Bisher zeigten die Informationen der Geheimdienste allerdings vor allem, dass die Rebellenführung aus "verantwortungsbewussten Männern und Frauen" bestehe, die gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi kämpften.

Dessen ungeachtet kündigten die USA an, einen Diplomaten in die Rebellenhochburg Bengasi zur Übergangsregierung zu entsenden. Sie folgen damit Frankreich, das bereits einen Vertreter in Bengasi hat.

Die Stellungnahme des prominenten Al-Qaida-Predigers kommt, während sich in der Nato ein Streit über Militärhilfen für die libyschen Rebellen anbahnt. Nach Ansicht von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen ist eine Bewaffnung der Aufständischen nicht von der UN-Resolution 1973 gedeckt. Die USA sehen dies anders: US-Präsident Obama schloss nicht aus, auch Militärhilfen an die Rebellen in Betracht zu ziehen, um ihren Vormarsch zu unterstützen. Italien lehnte Waffenlieferungen erneut ab, Großbritannien sieht nur "sehr begrenzte" Möglichkeiten dazu. Die Nato übernimmt an diesem Mittwoch offiziell das Kommando über den gesamten internationalen Militäreinsatz in Libyen.

Die Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi sind am Mittwoch weiter auf Positionen der Aufständischen im Ölhafen Ras Lanuf vorgerückt. Die Regierungstruppen beschossen Aufständische nach deren Angaben entlang der Küstenstraße nach Tripolis und stoppten damit ihren Vormarsch. Militärflugzeuge, die offenbar zur Nato gehörten, überflogen das Kampfgebiet. Explosionen, die auf neue Luftangriffe hindeuten würden, waren aber nicht zu hören.

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