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Türkischer Ministerpräsident in Köln:Erdoğans riskanter Deutschland-Wahlkampf

In der Türkei sind gerade erst 300 Kumpel bei einem Grubenunglück gestorben. Trotzdem will der türkische Premier am Wochenende in Köln Wahlkampf machen. Das zeigt, wie wichtig die Deutschtürken für die Präsidentschaftswahlen sind. Doch Erdoğan geht damit auch ein Risiko ein.

Von Sebastian Gierke

20.000 Anhänger werden ihm wieder zujubeln in der Kölner Arena. Daran werden auch die deutschen Kritiker nichts ändern. Nicht der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD), der sagt, angesichts des dramatischen Grubenunglücks in der Türkei habe der türkische Staatschef ja wohl Wichtigeres zu tun, als Wahlkampftermine wahrzunehmen. Auch nicht Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, der ebenfalls meint, der türkische Premier solle sich lieber um das Bergwerksunglück in Soma kümmern, als nach Deutschland zu kommen. Oder CDU-Vorstandsmitglied Otto Wulff, der warnt, dass ausländische Wahlkämpfe zunehmend in Deutschland stattfinden könnten.

Den türkischen Ministerpräsidenten ficht das alles nicht an. Recep Tayyip Erdoğan befindet sich im Wahlkampfmodus. Er will am 10. August Präsident der Türkei werden. Und der Auftritt in Deutschland könnte ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin sein. Denn die Zahl der möglichen Wähler in Deutschland ist groß. Hierzulande sind nach Berechnungen des Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung 1.389.000 Personen in der Türkei wahlberechtigt.

Bisher standen Erdoğans Chancen gut. Sein letzter Triumph liegt nur wenige Wochen zurück. Die Kommunalwahlen in der Türkei Ende März hatte er kurzerhand zu einer Abstimmung über seine Politik gemacht. Der Premier feierte einen gewaltigen Sieg: Mehr als 45 Prozent der Wähler stimmten für seine Partei, die AKP.

Spätestens da stand fest, dass Erdoğan bei der Präsidentschaftswahl antreten will. Seine Kandidatur für die Wahl offiziell zu verkünden, ist nur noch Formsache. Das türkische Staatsoberhaupt wird in diesem Jahr zum ersten Mal direkt von der Bevölkerung gewählt. Erdoğan sieht die Bevölkerung hinter sich, der Weg ins Präsidentenamt erscheint ihm frei. Auch in der Partei gibt es keinen Widerstand. Aysin Aktay, der Vizechef der AKP, erklärte vor wenigen Tagen, in der Partei gebe es "fast einen Konsens" darüber, dass Erdoğan antreten solle.

Dann brach in einem Bergwerk in Soma ein Brand aus, mehr als 300 Kumpel verloren ihr Leben.

Anhängerschaft Erdoğans in Deutschland ist stark

Seitdem wächst der Druck auf die Regierung, auch aufgrund ihres zweifelhaften Umgangs mit dem schlimmsten Grubenunglück in der Geschichte der Türkei. Erdoğan lässt kaum Fingerspitzengefühl erkennen, erklärte stattdessen: "Solche Unglücke passieren ständig."

Und plötzlich ist der Premier nicht mehr unantastbar. Auch deshalb reagiert Erdoğan wohl mit solcher Härte, lässt mit Tränengas und Gummigeschossen auf Menschen feuern, die den Rücktritt der Regierung fordern. Viele Deutschtürken sehen das mit Entsetzen.

Die sogenannten Diasporatürken könnten allerdings sehr wichtig werden. Denn Erdoğan braucht im August etwa fünf Prozent mehr Stimmen, als seine Partei bei den Kommunalwahlen erhielt und bei der Präsidentschaftswahl sind Türken, die im Ausland leben, erstmals berechtigt, ihre Stimmen außerhalb der Türkei abzugeben, beispielsweise in Konsulaten. Der weitaus größte Teil der Auslandstürken lebt in Deutschland.

Zwar beteuern Erdoğan und die UETD (Union Europäisch-Türkischer Demokraten), die den Auftritt in Köln organisiert hat, dieser diene gar nicht dem Wahlkampf. Doch Gökay Sofuoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde, erklärt: "Die UETD agiert für die AKP, für die Partei von Erdoğan. Sie ist eine Lobbyorganisation der AKP in Europa."

In Deutschland hat die UETD, die sich offiziell als überparteiliche Organisation der in Europa lebenden Türken und türkischstämmigen Bürger ausgibt, ihre Präsenz vor den Präsidentschaftswahlen massiv ausgebaut. In vielen Städten, darunter München, Berlin, Stuttgart oder Bremen, wurden UETD-Vereine gegründet. Rund 80 dieser Vereine sollen insgesamt entstehen. Damit verfügt die AKP über so gut funktionierende Strukturen wie keine andere türkische Partei in Deutschland.

Sofuoglu hält die Anhängerschaft Erdoğans in Deutschland für stark. "Seine Anhänger kommen aus zwei Gruppen: einmal die konservativen Wähler, auf der anderen Seite Menschen, die sich in Deutschland ausgegrenzt fühlen und mit Erdoğan eine Symbolfigur haben, jemanden, bei dem sie das Gefühl haben, von ihm moralisch unterstützt zu werden."

Doch überprüfen ließ sich diese Annahme bislang kaum, verlässliche Umfragen dazu gibt es nicht. So lange nur eine Stimmabgabe in der Türkei möglich war, war die Wahlbeteiligung der Deutschtürken sehr niedrig. Das könnte sich jetzt ändern.

Dirk Halm, stellvertretender Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung. rechnet mit einer hohen Wahlbeteiligung bei den Deutschtürken. "Die Spaltung der türkischen Gesellschaft, wie sie sich an den Gezi-Protesten gezeigt hat, führt zu einem hohen politischen Interesse und großem Engagement", sagt Halm.

Bei diesem aktuellen Hintergrund sieht es Halm auch keineswegs als ausgemacht an, dass die Deutschtürken alle für Erdoğan stimmen. "Die im Vergleich zu den türkischen Medien kritische Berichterstattung in Deutschland über entlarvende YouTube-Videos oder jetzt über das Bergwerksunglück, ist sicherlich nicht wirkungslos geblieben", glaubt er.

Auch deshalb ist die Wahl für Erdoğan so wichtig und der Ausgang kaum vorhersehbar. Bei der Präsidentschaftswahl könnte sich zeigen, wie die Türken in Deutschland politisch tatsächlich denken - und ob sie dem AKP-Politiker vielleicht sogar einen Denkzettel verpassen. "Er wird bei seinem Auftritt eher innenpolitische Signale geben", glaubt Gökay Sofuoglu deshalb. "Erdoğan wird natürlich seine Regierung loben, er wird die Türkei im Wettbewerb mit anderen Ländern darstellen."

Safter Çinar, seit Anfang des Monats neben Sofuoglu ebenfalls Vorsitzender der Türkischen Gemeinde, warnt Erdoğan vor einer Polarisierung der in Deutschland lebenden Türken. Die Türkei sei tief gespalten, so Çinar im Kölner Stadt-Anzeiger. "Wir müssen vermeiden, dass sich die unversöhnliche Atmosphäre auf die türkische Gemeinschaft in Deutschland überträgt." Çinar kritisiert außerdem ein oft aggressives Auftreten des türkischen Ministerpräsidenten. "Ich hoffe, dass er nichts sagt, was die Spaltung vorantreibt".

Bereits 2008 hatte Erdoğan in Köln eine höchst selbstbewusste und provokante Rede gehalten. Damals verwies der AKP-Vorsitzende auf die Einwanderer in den USA, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen: Er wolle Integration, aber keine Assimilation. "Assimilierung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit", rief Erdoğan seinen Anhängern damals zu.

Ähnlich offensiv tritt Erdoğan seither immer wieder auf. Im Februar dieses Jahres war der türkische Ministerpräsident schon einmal in Deutschland. "Berlin trifft den großen Meister" war das Motto der Veranstaltung in der Hauptstadt.

"Wir leben in einer großen, grenzüberschreitenden Zivilgesellschaft"

In Köln könnte sich Erdoğan diesmal allerdings einer großen Zahl von Gegendemonstranten gegenübersehen. Die Polizei bereitet sich jedenfalls auf einen Großeinsatz vor. Mehr als zehntausend Gegendemonstranten haben sich bereits angemeldet. Unter dem Motto "Wir sagen Nein zu Erdoğan" hat die alevitische Gemeinde zu einem Protestzug durch die Kölner Innenstadt aufgerufen. "Wir rechnen aber auch mit spontanen Demonstrationen", erklärt eine Polizeisprecherin.

Wissenschaftler Halm sieht darin eine Chance. Er verweist darauf, dass der Protest in der Diaspora in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden ist. "Wir leben in einer großen, grenzüberschreitenden Zivilgesellschaft." Auftritte wie der von Erdogan und die zu erwartenden Demonstrationen dagegen würden deshalb immer normaler. Und die Proteste zeitigten positive Auswirkungen. So habe der Protest außerhalb der Türkei viel zur Emanzipation der Aleviten in den vergangenen Jahren beigetragen.

Halm ist sich sicher: "Wenn Protest in demokratischen Bahnen verläuft, dann kann er was bewirken, dann kann er auch in die Türkei hineinwirken".

Mit Material von dpa/AFP

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