Appell aus Ankara:"Lernt Deutsch!"

Der türkische Europaminister Egemen Bagis ruft seine Landsleute und die Deutschen türkischer Herkunft auf, sich besser zu integrieren. Derweil geißelt auch ein CDU-Minister die Äußerungen von CSU-Chef Seehofer.

Mitten in die Aufregung um die Zuwanderungs-Äußerungen von CSU-Chef Horst Seehofer platzt ein Politiker, der in Deutschland weithin unbekannt ist: Egemen Bagis. In der Türkei ist der 1970 geborene Familienvater ein wichtiger Mann. Bagis ist Europa-Minister und verhandelt für Ankara über einen möglichen EU-Beitritt der Türkei. Spätestens seit heute ist Egemen Bagis auch vielen Deutschen ein Begriff: Er rief seine in der Bundesrepublik lebenden Landsleute und die türkischstämmigen Deutschen dazu auf, sich besser zu integrieren.

Moschee-Besucherin mit Kopftuch Islam

In Bayern gehören Migranten längst dazu. Jeder fünfte Einwohner des Freistaats hat einen Migrationshintergrund.

(Foto: dpa)

In der Bild-Zeitung erklärte Bagis en detail, wie er sich das vorstellt: "Lernt Deutsch! Passt euch den Sitten und Gebräuchen eures Gastlandes an", sagte der Minister, der selbst in den USA studiert hat. "Schickt eure Kinder auf die besten Schulen, damit sie eine Zukunft haben!" Der Minister forderte die Türken zugleich auf, die Gesetze zu achten, "denn wenn Ali oder Achmed Schlimmes tun, werden die Menschen nicht nach Namen suchen. Sie werden sagen: Der Türke war's!"

Es gehe nicht darum, die eigene Kultur aufzugeben, sondern sich als "Botschafter der Türkei" zu verstehen. Der Minister betonte, die türkische Regierung stehe voll und ganz hinter der Idee der Integration - so wie sie für eine Aufnahme der Türkei in die EU sei.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, plädierte derweil für eine engere arbeitsmarktpolitische Zusammenarbeit mit der Türkei. Diese sei auf längere Sicht ein gutes Partnerland für einen flexiblen Arbeitsmarkt, sagte Zimmermann dem Hamburger Abendblatt.

Er bezeichnete es als "schweres Missverständnis" zu glauben, Türken und Araber seien für den deutschen Arbeitsmarkt weniger tauglich. Zimmermann widersprach damit CSU-Chef Seehofer. Dieser hatte es als offenkundig bezeichnet, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern auf dem deutschen Arbeitsmarkt für Fachkräfte schwerer täten.

"Die Seehofers und Sarrazins grenzen aus"

Kritik erhielt der bayerische Ministerpräsident auch aus der Schwesterpartei CDU. Deutschland solle aktiv um qualifizierte Zuwanderer werben, forderte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann. Sie sicherten Innovationen und Arbeitsplätze, sagte der CDU-Politiker der in Hannover erscheinenden Neuen Presse. "Das ist Populismus. Man darf es eben nicht an der Herkunft festmachen" sagte Schünemann zu Seehofers Äußerungen. "Wir brauchen die Zuwanderung von Qualifizierten und Hochqualifizierten - ­es ist unerheblich, aus welchem Kulturkreis sie kommen."

Deutscher und türkischer Fan vor dem EM-Qualifikationsspiel Deutschland gegen Türkei am vergangenen Freitag in Berlin.

Deutscher und türkischer Fan vor dem EM-Qualifikationsspiel Deutschland gegen Türkei am vergangenen Freitag in Berlin.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Die Oppositionsparteien im Bundestag verstärkten ihre Kritik an Seehofer. Nach Auffassung der Grünen hat dieser sich beim Thema Islam völlig vergaloppiert. Fraktionschefin Renate Künast warf dem CSU-Chef in der Neuen Osnabrücker Zeitung vor, er gehe mit billigem Populismus auf Stimmenfang und dränge angesichts des Umfragetiefs seiner Partei darauf, die Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen einzuschränken.

Der Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening sprach von "verheerenden Signalen" des CSU-Chefs, die die positiven Signale der Rede von Bundespräsident Christian Wulff, der den Islam als zu Deutschland gehörig bezeichnet hatte, zunichte machten. "Die Seehofers und Sarrazins simplifizieren, polarisieren, grenzen aus", sagte Piening der Frankfurter Rundschau.

Widerspruch erhielt Seehofer auch von den Freidemokraten: Eine "sehr viel stärkere Willkommensstruktur" forderte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel. "Wir benötigen nicht weniger, sondern erheblich mehr gesteuerte Zuwanderung. Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe muss endlich ernst genommen werden", sagte Vogel der Passauer Neuen Presse.

Rückendeckung erhielt Seehofer vom Integrationsbeauftragten der Unionsfraktion im Bundestag, Stefan Müller. "In der Tat sind - relativ gesehen - Muslime, vor allem türkische Muslime, schlechter integriert als andere", sagte der Geschäftsführer der CSU im Bundestag der Nachrichtenagentur dpa. Eine Änderung des Zuwanderungsrechts lehnte Müller trotz des Fachkräftemangels ab. "Unkontrollierte und massenhafte Zuwanderung hilft niemandem", sagte Müller.

SPD: Merkel muss Farbe bekennen

Die SPD kritisiert inzwischen wegen der Causa Seehofer auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Vorwurf: Die Distanzierung der CDU-Vorsitzenden zum bayerischen Ministerpräsidenten sei ungenügend. "Es stimmt fassungslos", dass Merkel keinen Dissens mit Seehofer sehe, sagte der stellvertretende Vorsitzende, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit. Der SPD-Vize forderte Merkel auf, "ihre Haltung deutlich zu machen und Farbe zu bekennen".

Wowereit sagte, Merkel solle dafür zu sorgen, dass die Zuwanderung von Arbeitskräften nach einem Punktesystem geregelt werde, wie es die SPD schon lange fordere. In ihrer schwarz-gelben Bundesregierung dürfte Merkel für eine solche Regelung Zuspruch finden: Auch die FDP favorisiert ein Punktesystem.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: