Türkische Wahl:"In der Türkei fühle ich mich als Deutscher, und hier wie ein Türke"

  • Am Donnerstag hat bundesweit die Stimmabgabe türkischer Wahlberechtigter für die Parlaments- und Präsidentenwahl am Bosporus begonnen.
  • Erdoğans regierende AKP und die oppositionelle HDP ergattern unter deutschen Türken stets überproportional viele Stimmen.
  • Gerade in NRW, wo etwa 500 000 der 1,4 Millionen türkischen Wahlberechtigten in Deutschland wohnen, dürfte die AKP klar vorn liegen.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Für Alparslan Güç ist die Sache klar. In Zeiten wie diesen braucht die Heimat jeden Rückhalt. Also jede Stimme. "Denn die Türkei wird von allen Seiten angegriffen", sagt der 41-jährige IT-Experte aus Krefeld. Von Deutschland, von Europa - "vor allem aber von den USA." Der Mann im orangekarierten Hemd glaubt, was sein "Führer" Recep Tayyip Erdoğan verbreitet: Dass Washington hinter dem zuletzt dramatischen Absturz der türkischen Lira stecke. Also ist Güç, dieser überaus stämmige Patriot, am Donnerstagmorgen mit seiner Frau in Krefeld ins Auto gestiegen und in ein unscheinbares Gewerbegebiet am Westrand von Düsseldorf gefahren. Dort haben beide im türkischen Generalkonsulat ihre Pflicht erfüllt, jeder zweimal: Beide haben für Erdoğan als Präsidenten votiert - und dessen AKP bei der Wahl zum Parlament unterstützt.

Güç war am Donnerstag einer der Ersten, der zu den von Ankara vorgezogenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an eine Urne treten durfte. Denn die Türken in Deutschland dürfen früher ran - die Verwandten in der Heimat sind erst in 17 Tagen, am 24. Juni, zur Stimmabgabe aufgerufen. Güç, in Krefeld geboren, besitzt auch einen deutschen Pass: "In der Türkei fühle ich mich als Deutscher, und hier wie ein Türke", sagt er. Aber das Herz schlägt allzeit für Erdoğan. Seinen Vornamen Alparslan (zu Deutsch: tapferer Löwe) hat Güç selbst gewählt, für die Zeitung: Den Namen auf dem türkischen Personalausweis, den er jetzt bei der Kontrolle am Eisengitter des Konsulats in der Willstätter Straße vorzeigt, mag er nicht preisgeben.

1,4 Millionen

Drei der weltweit insgesamt fünf Millionen Türkeistämmigen im Ausland leben in Deutschland. Von denen wiederum sind 1,4 Millionen als Staatsbürger wahlberechtigt - und nun bis zum 19. Juni aufgerufen, in einem von Ankaras 13 Generalkonsulaten ihre Stimmen abzugeben. Briefwahl gibt es in der Türkei nicht. Die Türken in Deutschland entscheiden früher als ihre Landsleute daheim über den künftigen Präsidenten und das neue Parlament: Im Mutterland ist der Wahltag der 24. Juni. Die Türken in Deutschland gelten als mehrheitlich konservativ, beim Votum 2017 über Erdoğans Verfassung unterstützten 412 000 von ihnen die Reform, das entspricht 63,1 Prozent. Insgesamt waren es 51,4 Prozent. Bei den Parlamentswahlen 2015 erzielten Erdoğans AKP und die prokurdische HDP überdurchschnittliche Ergebnisse in Deutschland. Christian Wernicke

Manche misstrauen deutschen Medien

So reagieren an diesem stickigen Vormittag alle, die man unter der riesigen roten Staatsflagge an der Front des Konsulats befragt. Manche misstrauen deutschen Medien ("Die schreiben nur Mist über uns"), andere befürchten Repressalien für die Familie daheim. Auch der graubärtige Kurde, der seit 40 Jahren im Ruhrgebiets lebt und sich gerade urdeutsch empört, wie schräg ein Landsmann seinen Opel auf dem überfüllten Parkplatz abgestellt hat, will anonym bleiben. "Diese Wahl ist extrem wichtig für uns", sagt er, "Erdoğan will alles allein machen - wir müssen ihn stoppen." Klar, er wird für die pro-kurdische HDP votieren.

Erdoğans regierende AKP und die oppositionelle HDP ergattern unter deutschen Türken stets überproportional viele Stimmen. Diese Präferenzen, so glaubt Haci Halil Uslucan, der Leiter des Zentrums für Türkeistudien der Uni Duisburg-Essen, sei historisch begründet. Die Gastarbeiter-Familien der ersten Einwanderungsphase von 1961 bis 1973 stammten zumeist vom Land, waren konservativ und islamisch geprägt - und sind heute meist AKP-Anhänger. Zudem sei die Regierungspartei am besten mit Moscheen in Deutschland vernetzt: "Die AKP beginnt das Spiel hier mit einer 1:0-Führung." In einer zweiten Welle, so Uslucan, kamen während der 80er- und 90er-Jahre vor allem Kurden - die nun treu zur HDP stehen. Die kemalistische CHP hingegen schneidet unter Landsleuten in "Almanya" eher schlecht ab.

"Unter Erdoğan ist die Türkei wieder groß geworden"

Gerade in NRW, wo etwa 500 000 der 1,4 Millionen türkischen Wahlberechtigten in Deutschland wohnen, dürfte die AKP klar vorn liegen. "Wir haben den Reis gewählt, unseren Anführer", sagt eine Muslimin mit bordeauxrotem Kopftuch. Ihr Ehemann, ein 47-jähriger Schweißer, schwärmt von Demokratie und Ordnung im "Mutterland", beschwört das türkische Blut in seinen Adern: "Unter Erdoğan ist die Türkei wieder groß geworden." Seine Frau ist Doppelstaatlerin, sie darf auch bei der Bundestagswahl ihr Kreuzchen machen. Da aber würde sie nie konservativ abstimmen - "CDU, nein!" Auch das, so bestätigt der Sozialforscher Uslucan, sei typisch: Im Herkunftsland wählten die deutschen Türken eher "gesinnungsorientiert", in Deutschland hingegen "pragmatisch" eher SPD und Grüne, weil diese Parteien "eine integrationsfreundlichere Politik versprechen."

Seit Donnerstag aber geht es nur um "Türkiye". Nicht alle, die für Erdoğan votieren, sind glühende Anhänger. "Ich hab' für ihn gestimmt, weil die anderen Parteien keine Alternative sind - die sind doch nur gegen ihn", sagt (auch er strikt anonym) ein 30-jähriger Mechaniker. Seine Schwester, Hausfrau und vierfache Mutter, nickt zustimmend. Beide sind auch Deutsche. Aber sie räumen ein, dass sie die Politik in Ankara aufmerksamer verfolgen als irgendwelche Debatten in Berlin oder Düsseldorf: "Es ist einfach spannender in der Türkei."

Nach dem 19. Juni, dem letzten türkischen Wahltag in Deutschland, dürfte das Generalkonsulat aus Düsseldorf einen Kantersieg für Erdoğan melden. Das macht der junge Türke klar, der gerade "für meinen Präsidenten und für meinen Glauben" abgestimmt haben will. Und das bestätigt der beleibte Fußballfan, der in Trainingshose auf dem Weg zur Wahl ruft: "Alle für den Führer!"

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