Süddeutsche Zeitung

Türkische Schulen in Deutschland:"Wir verstecken uns nicht"

Die Anhänger des türkischen Predigers Gülen streben in die Mitte der deutschen Gesellschaft. Viele sehen darin einen Beitrag zur Integration - Kritiker warnen vor einer "verschlossenen Welt".

Christiane Schlötzer

Britische Soldaten robbten hier einst durchs Gebüsch, da war Deutschland noch geteilt, und es galt, den Westen zu verteidigen. Nun tragen die Mädchen auf dem ehemaligen Kasernenhof in Berlin-Spandau Schuluniformen mit Schottenröcken, und die Jungs kleine Krawatten zum weißen Kragenhemd, was auch irgendwie britisch wirkt. Wären da nicht die Kopftücher auf einigen, nicht allen, Mädchenköpfen.

"Tüdesb"-Realschule und Gymnasium steht auf einem blauen Schild an dem kantigen Altbau. Dies ist keine Schule wie jede andere. Als Pausenklingel ertönen Takte der türkischen Rock-Legende Baris Manco, und Elternbeiratsvorsitzende Kathrin Willemsen sagt: "Wir haben hier 90 Prozent türkische Kinder, und trotzdem suche ich nicht fluchtartig das Weite."

Zwei Söhne hat Frau Willemsen auf dieser Schule, wegen der Ganztagsbetreuung, der kleinen Klassen und der weit überdurchschnittlich engagierten Lehrer. Dass die Kinder als Fremdsprache Türkisch lernen, stört sie nicht. Unterrrichtssprache sonst ist Deutsch. Realschul-Direktor Niyazi Sargin sagt: "Wir haben hier eine besondere Verantwortung." Verantwortung für den Nachwuchs einer Zuwanderer-Generation, die nun doch das Gefühl hat, "in Deutschland angekommen zu sein". Die mit Scham auf die Bildungsversäumnisse der Vergangenheit blickt, und Lebensgeschichten erzählen kann, die wie bei Lehrer Sargin, oft mit einem Vater beginnen, der Bergmann im Ruhrgebiet war, oder einer Mutter, die nie eine Schule besucht hat.

Irgendwann haben die Söhne und Töchter angefangen, nicht mehr auf die Hilfe anderer zu warten, haben Nachhilfevereine gegründet, und nun haben sie ihre eigenen Schulen. Elf sind es schon in Deutschland, eine zwölfte in Bayern ist im Aufbau. Dass all diese Schulen mehr verbindet, als nur der Wunsch nach sozialem Aufstieg, nach Akademikerkarrieren, das sagen ihre Gründer gewöhnlich nicht, weil sie fürchten, sonst könnten sie auf Ablehnung stoßen.

Angst aus Unkenntnis

Schließlich sind sie Muslime, das könnte Mißtrauen wecken. "Es gibt viele Ängste aus Unkenntnis", sagt Kathrin Willemsen, "aber Religion spielt an dieser Schule gar keine Rolle." Das ist Frau Willemsen nur recht. Ebenso das Alkohol-Tabu auf Klassenfahrten. "Da kann ich ganz entspannt sein".

Dennoch binden es die Schulgründer niemand auf die Nase, dass sie einen gemeinsamen Mentor haben, einen spiritueller Ideengeber, der eine islamische Bewegung geschaffen hat, die mittlerweile weltweit zu den einflussreichsten gehört. Der Inspirator ist der türkische Prediger Fethullah Gülen.

Der 68-Jährige lebt seit zehn Jahren in den USA und lehrt seine Anhänger, dass sie sich dort heimisch machen sollten, wo sie nun einmal leben, dass sie statt Moscheen lieber Schulen bauen sollten, mit anderen Religionen in Dialog treten müssten, und dass der Islam und die westliche Demokratie gut zueinander passten. Es ist eine Botschaft, die herausführen soll aus den Migrantenghettos, hinein in die Mehrheitsgesellschaft. Aber weil nicht gewiss ist, ob diese Gesellschaft die Zuwanderer dort auch haben will, waren Mitglieder der "Gülen-Bewegung" bislang eher leise als laut.

Nun aber haben sie sich öffentlich präsentiert, auf einem Kongreß in der Universität Potsdam, dem Rita Süssmuth ebenso die Ehre gab wie der Rabbiner Walter Homolka, das Ganze samit Gala in einem Großhotel am feinen Berliner Gendarmenmarkt.

Da waren sie alle, die Gründer von Religions-Dialog-Gruppen, wie IDIZEM aus München, der Schülernachhilfen, die es mittlerweile in jeder größeren deutschen Stadt gibt, der Existzenzgründervereine, die wie Barex e.V. in Berlin, sich nun mit EU-Mitteln um Lehrlingsausbildung kümmern und Geld bei türkischen Unternehmern für die Schulen sammeln - und überall sind Gülen-Anhänger dabei.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was türkische Aufsteiger aus religiös-konservativen Familien gerade in Deutschland an Gülen fasziniert.

Aber nicht nur, und vielleicht ist das eines der Geheimnisse des erstaunlichen Erfolgs einer aus der Türkei nach Deutschland importierten islamischen Bewegung, die dem offiziellen türkischen Staatsislam der Moscheegemeinden distanziert gegenüber steht. Der Religionswissenschaftler Michael Blume, in der Stuttgarter Staatskanzlei zuständig für Beziehungen zu nicht-christlichen Religionen, zieht "Parallelen zum den evangelischen Pietisten". Die bauten auch keine eigenen Gotteshäuser, aber trafen sich in erbaulichen Lesezirkeln.

Wie die frühen Pietisten aber stießen auch die Gülen-Leute auf "massives Mißtrauen", so Blume, weil ihre Strukturen der Öffentlichkeit gewöhnlich verborgen bleiben. Der Schritt ins Rampenlicht aber ist ebenfalls nicht ohne Risiko. Die Jüngeren in der muslimischen Bewegung haben darauf gedrängt. Sie sind in Deutschland geboren und sagen, wie der 28-jährige Ercan Karakoyun, der Organisator des Berliner Kongresses: "Wir müssen das Selbstvertrauen haben und betonen, wir sind nicht gefährlich, wir brauchen uns nicht zu verstecken."

"Zukunftsoptimus statt Apokalypse"

Karakoyuns Geschichte kann gut erklären, warum türkische Aufsteiger aus religiös-konservativen Familien gerade in Deutschland von Gülen fasziniert sind. Der Soziologe Karakoyun wuchs in Schwerte an der Ruhr auf. "Alles war deutsch, meine Freunde, der Fußballverein." Aber wenn er in die Moschee ging, dann hörte er, wie der Imam zu den Betern sagte, "beschützt Eure Kinder vor den Ungläubigen". Karakoyun hat die innere Spannung nicht vergessen, die solche Worte in ihm auslösten. Nach dem Abitur entdeckte er die Schriften des Toleranz-Predigers Gülen, von dem Karakoyun schwärmt: "Er ist für mich einer wie Martin Luther King."

Blume sagt, Gülen biete "Zukunftsoptimus statt Apokalypse". In der Türkei hat das Netzwerk Sympathisanten bis hoch in die Regierung. Deshalb ist es dort auch Gegenstand des politischen Machtkampfs- mit Folgen bis Deutschland. "Schließt die Schulen", wurde Blume von türkischen Gegnern der Bewegung aufgefordert. "Wenn ich ihnen sage, dafür gibt es keinen Grund, fordern sie, dann erfinde einen."

Es ist vor allem eine Männer-Bewegung, Frauen gewinnen erst langsam darin an Gewicht. Berrin Ileri beispielsweise, eine 36-jährige IT-Ingenieurin, organisiert in Berlin öffentliche Gesprächsrunden. Das Thema im Juni: "Die Entwicklung der autonomen Frauenbewegung". Ileri sagt, "ich hatte keine Rollenvorbilder". Nun würde sie gern selbst Beispiel geben, für Aufstieg und Erfolg, auch mit Kopftuch. Und was hält sie von Musliminnen mit unbedecktem Haupt? "Ich bewerte das nicht", sagt Ileri.

Die Berliner Islamwissenschaftlerin Claudia Dantschke ist skeptisch, ob die Bewegung tatsächlich so viel Toleranz aufbringt nach außen und vor allem nach innen. "Wir wissen nicht, was in den Wohngruppen der Gülen-Bewegung passiert, das ist eine verschlossene Welt."

Junge männliche Gülen-Anhänger leben oft in einer Art WG zusammen. Bekim Agai, der in Deutschland über Gülen-Netzwerk promovierte, beschreibt die hohe Bedeutung dieses verborgenen Bereichs für den internen Diskurs und die Rekrutierung von Führungspersonal. Agai kommt zu dem Schluss, das gesamte Bildungsnetzwerk "ist somit ein Geflecht von unterschiedlichen Beziehungen", das von einer spirituellen Gemeinde zusammengehalten werde, "aber es besteht eben nicht ausschließlich aus dieser".

Die Aktivitäten des Gülen-Geflechts sieht er als "Mittel, ein nationales oder religiöses Minderwertigkeitsgefühl" im deutschen Umfeld "positiv zu überwinden und unter den Deutschen Anerkennung zu finden". Der in den USA lehrende Gülen-Experte Hakan Yavuz meint: "Unter diesem Einfluss wird die türkische Jugend in Deutschland nie so werden wie die algerische in Frankreich, sie wird loyal sein zum deutschen Staat und seinen Autoritäten."

Der Traum von der Anerkennung aber verlangt mehr: "Wir brauchen Eliten, die in beiden Kulturen zu Hause sind", sagt Süyleman Bag, Chef des Berliner Büros von Zaman. Eine Auflage von 25.000 Exemplaren hat die Tageszeitung in Deutschland. Auch die Gründung von Zaman wurde von Gülen inspiriert. Der Journalist Bag, dessen Vater einst unter Tage schuftete, schrieb in einer Zaman-Kolumne zum 60. Grundgesetz-Geburtstag: "Wir sind angekommen."

Erste Schule in Bayern

Solche Bekenntnisse hören deutsche Politiker gern, das Wort "Elite" dagegen ist in Deutschland eher weniger beliebt. Rita Süssmuth sagte es auf dem Berliner Kongreß: Privatschulen sollten kein Elite-Gefühl vermitteln. "Vermeidet Ausgrenzung", mahnte Süssmuth. Wenn man der Elternvertreterin Willemsen sagt, ihre Schule diene womöglich nicht der Integration, dann lacht sie laut auf. Im Land von Pisa- und Iglu-Studien sei ihre Schule "eine Bereicherung, keine Alternative zum öffentlichen Schulsystem".

Die erste Schule des Netzwerks in Bayern wird in den Räumen einer Schülernachhilfe im Münchner Olympiazentrum erdacht. Wegen der Immobilienpreise aber soll sie nun samt Internat nicht in München, sondern im schwäbischen Jettingen bei Burgau entstehen, unterstützt vom örtlichen CSU-Abgeordneten Alfred Sauter.

Statt Grundstücke in der Türkei zu kaufen, wollten viele Türken in Deutschland nun "in die Bildung ihrer Kinder investieren", sagt der Geschäftführer der neuen Schul-GmbH, Mehmet Pekince. Und die Gülen-Anhänger helfen ihnen dabei - nach deutschen Lehrplänen.

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