Süddeutsche Zeitung

Türkische Außenpolitik:Kurdischer Angstgegner macht Ankara nervös

Die Kurden mögen in Syrien vielerorts als Befreier vom IS begrüßt werden - für die Türkei bleiben sie Terroristen. Nichts fürchtet Ankara mehr als einen autonomen Kurdenstaat.

Von Luisa Seeling

In den Jubel über die Befreiung der nordsyrischen Stadt Manbidsch wollte die türkische Regierung nicht einstimmen. Dabei waren es bewegende Bilder, die am Wochenende um die Welt gingen: Männer rasierten sich die Bärte ab, Frauen rissen sich den Schleier vom Körper, die Menschen zündeten sich auf offener Straße Zigaretten an - Dinge, die während des Schreckensregimes des "Islamischen Staats" (IS) in Manbidsch verboten waren. Verjagt wurden die Islamisten von den Kämpfern der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), einer US-unterstützten und kurdisch geführten Koalition.

Letzteres macht Ankara nervös. Die Türkei hatte vor der Manbidsch-Offensive durchsetzen wollen, dass arabische Milizen die SDF anführen, damit hatte sie aber keinen Erfolg. Zwar kämpfen auch arabische Kräfte in den SDF, die kurdischen Kräfte sind aber deutlich in der Überzahl. Nach der Befreiung der Stadt forderte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuş-oğlu, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG sollten sich auf das Gebiet östlich des Flusses Euphrat zurückziehen, wie es zuvor mit den Amerikanern vereinbart worden sei. "Jetzt müssen die USA ihr Wort halten", sagte Çavuşoğlu.

In der Türkei ist die "Arbeiterpartei Kurdistans" als Terrororganisation verboten

Die regierungsnahe Tageszeitung Daily Sabah meldete, die syrische Kurdenpartei PYD habe den Sieg in Manbidsch PKK-Chef Abdullah Öcalan gewidmet. Die "Arbeiterpartei Kurdistans" ist in der Türkei als Terrororganisation verboten, ihr Anführer Öcalan seit Ende der Neunziger in Haft. Die syrische Kurdenpartei PYD und ihr militärischer Arm, die YPG, sind ein ideologischer Ableger der PKK, weshalb Ankara keinen Unterschied zwischen den Gruppen macht. In diesem Punkt liegen Ankara und Washington schon länger über Kreuz: Für die USA sind die syrischen Kurden Partner im Kampf gegen den IS, während die PKK auch in Washington als Terrororganisation geführt wird.

Die Befreiung von Manbidsch nährt in Ankara die alte Angst, dass jeder weitere Geländegewinn der syrischen Kurden die Autonomiebestrebungen im eigenen Land befeuern könnte. Schon jetzt kontrollieren die kurdischen Einheiten ein großes Gebiet in Nordsyrien an der türkischen Grenze, unterbrochen nur durch das Einflussgebiet des IS westlich des Euphrats.

Ein Sprecher der SDF hatte nach dem Sieg in Manbidsch angekündigt, die Koalition werde nun weiter in die Region um die Stadt al-Bab vorrücken. Das würde die beiden Kurdengebiete in Syrien - Afrin im Westen und die Region östlich des Euphrats - verbinden. Die Kurden nennen das Gebiet Rojava, es soll die Keimzelle sein für Autonomie, eines Tages soll hier ein unabhängiger Staat entstehen. Aus Sicht Ankaras wäre das der Supergau.

Bloß keinen Kurdenstaat - das ist seit Jahren der wichtigste Fixpunkt der türkischen Syrienpolitik, eine Priorität, die Regierungschef Binali Yıldırım am Montag erneut bekräftigte: Man werde für Syrien eine Lösung finden, "die absolut Syriens territoriale Integrität bewahren wird", sagte er der Tageszeitung Karar. Außerdem strebe die Türkei für Syrien eine nicht-konfessionelle Struktur an, "was auch bedeutet, dass (Präsident Baschar) al-Assad auf lange Sicht nicht mehr da sein wird". Assads Regime ist alawitisch.

Nach der Aussöhnung mit Russland nun die Abstimmung mit Syrien?

Baschar al-Assad zu stürzen ist seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 das zweite große Interesse der Türkei in Syrien gewesen, zuletzt aber hat es vorsichtige Signale gegeben, dass sich Ankara in dieser Frage bewegen könnte - zumindest ein bisschen. In türkischen Medien hieß es am Dienstag, man werde womöglich nicht mehr ganz so nachdrücklich darauf bestehen, dass Assad sofort gehen muss - schließlich müsse ein Kompromiss mit den Russen gefunden werden, die das Regime in Damaskus stützen. Umgekehrt sei denkbar, dass mit der Wiederannäherung Russlands und der Türkei Moskau seine Unterstützung für die syrischen Kurden zurückfahre.

Die Türkei und Russland hatten sich zuletzt nach monatelangem Konflikt versöhnt, vergangene Woche vereinbarten sie außerdem eine bessere Abstimmung in Syrien. Unklar ist bisher, wie diese Zusammenarbeit aussehen soll: Einigkeit besteht bisher darin, dass der IS effektiver bekämpft werden soll. Was den Umgang mit Syriens Kurden und Assad angeht, verfolgen beide Länder hingegen diametral entgegengesetzte Interessen - Russland unterstützt beide.

Nach dem gescheiterten Putsch Mitte Juli hatte die türkische Regierung angekündigt, den Kampf gegen die PKK mit unverminderter Härte fortzusetzen. Am Dienstag ordnete ein Istanbuler Gericht die Schließung der prokurdischen Zeitung Özgür Gündem an, dem Blatt wird Terrorpropaganda vorgeworfen. Am Montag starben bei einem Anschlag auf ein Polizeigebäude Nahe Diyarbakır fünf Polizisten und zwei Zivilisten. Die Behörden rechnen das Attentat der PKK zu. Es war der 32. Jahrestag dieses blutigen Konflikts.

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SZ vom 17.08.2016/ees
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