Süddeutsche Zeitung

Türkisch-syrischer Konflikt:Worte, gefährlich wie Waffen

Die Türkei ist auf einem brandgefährlichen Weg: Sie ist dabei, sich in einen Krieg hineinzureden und den syrischen Bürgerkrieg zu internationalisieren. Gegen die Mehrheit ihrer Bevölkerung. Doch das Nato-Mitglied lässt sich nicht in die Karten schauen. Das macht die Gefahr nur noch größer.

Christiane Schlötzer, Istanbul

Es gibt Worte, die so gefährlich sind wie Waffen. Die Türkei werde handeln, "wie es einem Land mit tausendjähriger Tradition entspricht", so sagte Egemen Bagis, als Minister in Ankara eigentlich zuständig für die Beziehungen zur EU. Wer ein so großes Rad schlägt wie Bagis, der weckt Erwartungen. Erwartungen aber haben es an sich, dass sie erfüllt werden wollen.

Die Türkei ist dabei, sich auf einen höchst gefährlichen Weg zu begeben. Sie ist dabei, sich in einen Krieg hineinzureden. Und mit einem Parlamentsbeschluss, der dem türkischen Militär den Einmarsch auf syrisches Territorium erlaubt, schafft das Nato-Mitglied auch noch die Voraussetzungen für eine brandgefährliche Internationalisierung des Syrien-Konflikts.

Die türkische Syrien-Politik gab zuletzt viele Rätsel auf. Auch mit der jüngsten Entwicklung sind die Motive Ankaras nicht klarer geworden. Die Mehrheit der Türken ist, so sagen es alle Umfragen, strikt gegen einen Krieg mit dem Nachbarland, das so lange ein enger Verbündeter und bevorzugter Handelspartner der Türkei war.

900 Kilometer lang ist die gemeinsame Grenze, mit keinem anderen Nachbarn hat die Türkei mehr Berührung. In den Grenzregionen sind die Menschen über den Trennzaun hinweg miteinander verwandt. Auch in der Stadt Akçakale, in der nun fünf Menschen durch Feuer von der anderen Seite starben, teilt der Grenzgraben Familien. Wer auch immer auf die Stadt gezielt hat, der hat eine besonders verwundbare Stelle der Türkei getroffen.

Die Türkei würde bei einem Krieg keinen Applaus ernten

Wenn die türkische Regierung sich auf den syrischen Kriegspfad begibt, dann wird sie selbst von ihren treuesten Anhängern im Volk kaum Applaus ernten. Das macht jedes militärische Vorgehen für die Regierung in Ankara zu einem unkalkulierbaren politischen Risiko.

Der Unmut vieler Türken über eine Eskalation des Konflikts könnte dabei zuerst diejenigen treffen, die bereits Opfer des blutigen syrischen Dramas sind: 120.000 Flüchtlinge aus Syrien, die Zuflucht in der Türkei gefunden haben. Drei Viertel dieser Flüchtlinge leben in Zeltlagern, nah der Grenze, auch in Akçakale.

Von dort kamen wohl auch die Rebellen, die schon am 19. September einen syrischen Grenzposten besetzten. Seitdem wurde von syrischer Seite geschossen, seitdem trafen Granaten türkisches Territorium - nun erstmals mit tödlichem Ausgang. Wenn man zynisch ist, könnte man sagen: Die fünf türkischen Toten sind ein "Kollateralschaden" des syrischen Bürgerkriegs. Ein ausreichender Kriegsgrund sind sie nicht.

Deshalb muss man fragen, wem dient es, wenn die Türkei zur Kriegspartei werden sollte? Der verzweifelt um sein Überleben kämpfende Diktator in Damaskus dürfte kaum so vermessen sein, einen Krieg mit dem hochgerüsteten Nachbarn zu beginnen, zumal er nicht sicher sein kann, wie sich Amerika und die Nato verhalten werden. Assad setzt lieber auf den Dolchstoß. Er unterstützt die militante kurdische PKK - ein Stachel für Ankara.

Assads Gegner, die syrischen Rebellen, aber scheint zunehmend die Verzweiflung zu befallen, denn in ihrem verlustreichen Kampf gegen den Diktator ist kein Ende abzusehen. Die Führung der Armee der Aufständischen wirkt desolat. Sie hat ihre Basis in der Türkei - mit Erlaubnis Ankaras. Als die Generäle der Rebellentruppe jüngst ihr Quartier nach Syrien verlegen wollten, kehrten sie schon nach einem Tag reumütig zurück. Auf der anderen Seiten der Grenze wollte sich offenbar niemand von ihnen etwas befehlen lassen, so schrieben zumindest türkische Medien.

Eine militärische Intervention Ankaras zu ihren Gunsten käme den desillusionierten syrischen Kämpfern gerade recht. Und sei es nur, um die schon lange von ihnen geforderte "Sicherheitszone" entlang der Grenze zu schaffen, in der sich die Rebellen frei bewegen könnten.

Das türkische Vorgehen macht die Kriegsgefahr noch größer

Das Vorbild ist hier der Nordirak, wo die USA, Großbritannien und Frankreich in den Neunzigerjahren eine sichere Zone für die Kurden errichteten, um sie vor dem Zugriff Saddam Husseins zu schützen. Dafür aber müsste die Türkei nicht nur mit Granatwerfern über die Grenze schießen, sie müsste Kampfflugzeuge und wohl Bodentruppen einsetzen. Und sie bräuchte, nimmt man den Irak zum Maßstab, eine UN-Resolution für ihr Vorgehen und die Unterstützung ihrer westlichen Verbündeten. Davon aber ist in der Vollmacht des Parlaments keine Rede.

Schon als im Juni ein türkisches Kampfflugzeug vor der syrischen Küste ins Meer stürzte, war das Rätselraten groß. Damals wusste keiner, was der Jet in der Region zu suchen hatte. Auch heute weiß keiner, was die Türkei eigentlich vorhat. Sie lässt sich in ihrer Syrien-Politik nicht in die Karten schauen. Und dies macht die Kriegsgefahr nur noch größer.

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SZ vom 05.10.2012/sana
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