Süddeutsche Zeitung

Türken in Deutschland:Wie Gaggenau Weltpolitik macht

Eine Stadt im Badischen hat den Mumm, sich mit Erdoğan anzulegen. An der Entscheidung ist nichts zu beanstanden. Auch wenn der türkische Präsident jetzt versucht, sie für sich zu nutzen.

Kommentar von Nico Fried

Gaggenau, 30 000 Einwohner groß und im Badischen gelegen, hat Weltpolitik gemacht. Ein bisschen zumindest. Die Stadtverwaltung hat eine für Donnerstagabend geplante Kundgebung mit dem türkischen Justizminister untersagt. Wahrscheinlich hatten die Gaggenauer, wie es ihre offizielle Begründung nahelegt, angesichts des zu erwartenden Andrangs tatsächlich Angst um ihre Festhalle und deren gepflegte Umgebung. Es ist jedenfalls ein liebenswertes, sehr deutsches und somit auch besonders glaubwürdiges Argument, dass für die Veranstaltung nicht genügend Parkplätze zur Verfügung stehen.

Gleichwohl ist unbestreitbar, dass die Gaggenauer den Mumm aufgebracht haben, sich zur Verteidigung dessen, was ihnen wichtig ist, mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan anzulegen. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, wie Erdoğan nun versuchen dürfte, diese Entscheidung für sich zu nutzen. Sein Verhalten gegenüber Deutschland ist kalkulierte Provokation. Er legt es an auf die Zurückweisung. Sie macht es ihm leichter, Türken in Deutschland zu mobilisieren. Insofern spielt ihm Gaggenau in die Hände.

Erdoğan dürfte den Türken in Deutschland nun einreden lassen, dass sie Menschen zweiter Klasse seien, weil ihnen nicht die gleichen Rechte gewährt würden wie Einheimischen. Er dürfte nahelegen, dass die Bundesregierung bei der Entscheidung nachgeholfen hat, weil es im Verständnis eines Autokraten gar nicht anders sein kann, als dass solche Fragen ganz oben beantwortet werden. Und es steht zu befürchten, dass solche Propaganda bei mehr in Deutschland lebenden Türken verfängt, als der Justizminister je mit einem Auftritt in Gaggenau erreicht hätte.

Es ist schwer erträglich, dass Erdoğans Minister hier auftreten

Die Entscheidung der Stadtverwaltung ist trotzdem nicht zu beanstanden. Allerdings löst sie auch nicht das grundsätzliche Problem, wie mit derartigen Veranstaltungen nicht nur parkplatztechnisch, sondern politisch umzugehen ist. Das ist in erster Linie eine diplomatische Frage, aber dazu gehört schon auch der innenpolitische Aspekt, wie respektvoll man - gerade in Abgrenzung zur Instrumentalisierung durch Erdoğan - mit den Ansichten der in Deutschland lebenden Türken umgeht. All jene Politiker von rechts bis links, die nun ebenso empört wie erstaunlich einträchtig Auftritts- oder gar Einreiseverbote fordern, müssen sich auch fragen lassen, ob es sinnvoll ist, Provokation mit Provokation zu beantworten. Ganz abgesehen davon, dass nicht gewiss ist, ob der Welt-Korrespondent Deniz Yücel - um den es allen, die sich zu Wort gemeldet haben, natürlich in erster Linie geht - bei einer solchen Eskalation schneller aus dem Gefängnis entlassen würde.

Die Vorstellung ist schwer erträglich, dass der türkische Justizminister Reden in Deutschland schwingt, während die Justiz in der Türkei aufgrund äußerst fragwürdiger Vorwürfe Journalisten auf unabsehbare Zeit inhaftiert, selbst wenn sie sich, wie Yücel, sogar gestellt haben. Es ist zudem unglaubwürdig, wenn türkische Politiker ihre Justiz in diesem Zusammenhang als unabhängig bezeichnen, obwohl deren Richter seit Monaten zu Hunderten aus politischen Gründen suspendiert werden. Aber das Ertragen von Unerhörtem gehört zur Demokratie, auch wenn es eine ihrer anstrengendsten Herausforderungen ist. Und der Rechtsstaat muss sich an seine Regeln halten, gerade wenn er sich von einem Staat unterscheiden will, der Recht nur behauptet.

Soll sich Deutschland auf politisches Sandkastenniveau begeben?

Die Bundesregierung verfolgt in der Frage der Auftritte türkischer Politiker einen "Hände weg!"-Ansatz. Angela Merkel hatte sich - wenn auch erst nach langem Hin und Her - schon im Fall Böhmermann entschieden, der Justiz zu überlassen, was Aufgabe der Justiz ist. Das war so richtig, wie es jetzt richtig ist, auf einen groben Klotz keinen groben Keil zu setzen. Die Türkei hat aus Ärger über die Armenier-Resolution Abgeordnete des Bundestags nicht auf den Stützpunkt İncirlik gelassen. Soll sich Deutschland umgekehrt wirklich auf dieses politische Sandkastenniveau begeben?

Wer will - und hierzulande werden das von den Grünen bis zur AfD viele wollen -, kann die Gaggenauer Stadtverwaltung nun dafür preisen, mutiger gewesen zu sein als Merkel. Die Kanzlerin habe, so der absehbare Vorwurf, gekniffen, weil sie wegen des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei in der Abhängigkeit des Diktators lebe. Das Argument wird durch ständige Wiederholung nicht richtiger. Die Tatsache, dass Erdoğan zwar keine Provokation auslässt, ausgerechnet das Abkommen aber bisher nicht anrührt, wirft zumindest eine Frage auf: ob die Abhängigkeit wirklich so einseitig ist, wie gerne behauptet wird.

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SZ vom 03.03.2017/cat
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