Türkischer Präsident Gül zu Besuch bei Merkel:Privilegiert streiten

Präsident Gül trifft auf Kanzlerin Merkel: Die Bilder sind harmonisch, doch in der umstrittenen Frage des EU-Beitritts der Türkei sind die Fronten verhärtet. Zudem soll der Umgang mit der Bombendrohung für Streit gesorgt haben: Offenbar stand der Abbruch des Staatsbesuchs im Raum.

Die Kanzlerin lacht, plaudert scheinbar ungezwungen mit ihrem Gast aus Ankara, beim Fototermin spreizt sie ihre Hände zur Herzform und lächelt. An diesem Vormittag ist Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Berliner Kanzleramt mit dem türkischen Präsidenten Abdullah Gül zusammengetroffen.

Mittelpunkt des Gesprächs dürften die Beziehungen Ankaras zur Europäischen Union gewesen sein, hatten doch beide Politiker am Vortag ihre Position hier noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht. Auch bei dem Treffen im Kanzleramt sollen beiden Seiten ihren Standpunkt dargelegt haben, heißt es aus Regierungskreisen. Zudem soll die Kanzlerin ihre Sorgen über die jüngsten Spannungen zwischen Israel und der Türkei zum Ausdruck gebracht haben.

Am Vortag hatte die Kanzlerin bei der CDU-Regionalkonferenz im mittelhessischen Alsfeld noch einmal die Linie ihrer Partei bezüglich des EU-Beitritts der Türkei klar betont: "Wir wollen die Vollmitgliedschaft der Türkei nicht", erklärte Merkel. "Aber wir wollen die Türkei als wichtiges Land nicht verlieren." Die Kanzlerin sagte weiter, die EU müsse Mittel und Wege finden, ein enges politisches Verhältnis zur Türkei aufzubauen. "Die Türkei ist wichtig für uns, wir brauchen ein enges Verhältnis", fügte sie hinzu.

Gül hatte hingegen deutlich gemacht, dass die Türkei an ihrem Ziel festhalte, in absehbarer Zeit Vollmitglied der EU zu werden. "Wir möchten Teil einer EU sein, die ihre globale Verantwortung gebührend wahrnimmt", sagte der türkischer Staatspräsident Abdullah Gül am Montagabend in seiner Europa-Rede in der Berliner Humboldt-Universität.

Die Rede konnte wegen einer Bombendrohung erst mit mehrstündiger Verspätung beginnen. Ein Anrufer hatte über den Polizeinotruf 110 vor einem Sprengsatz in der Universität gewarnt, wo mehrere hundert Menschen die europapolitischen Vorstellungen Güls hören wollten. Daraufhin wurde das gesamte Gebäude geräumt. Nach mehreren Stunden gab die Polizei das Haus wieder frei. Gül redete dann in einem kleinerem Saal vor geladenen Gästen.

Gül drohte mit Abbruch seines Berlin-Besuchs

Angeblich soll die deutsche Seite darauf gedrungen haben, Güls Rede ganz abzusagen. Dies melden türkische Zeitungen. Gül habe dies abgelehnt und sogar mit einem Abbruch seines Besuchs gedroht: "Entweder halte ich diese Rede, oder ich kehre sofort in die Türkei zurück", wurde er zitiert.

Der türkische Präsident machte den Berichten zufolge Anhänger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) für die Verzögerung und die Bombendrohung verantwortlich. Er werde sich aber "nicht dem Terror beugen", betonte er. Wenn er auf seine Rede an der Universität verzichtet hätte, wäre das ein Erfolg für radikale Kräfte gewesen, die sich dadurch ermutigt gefühlt hätten.

Nach dem Gespräch im Kanzleramt mit Merkel reist Gül an diesem Mittwoch mit Bundespräsident Christian Wulff weiter in dessen Heimatstadt Osnabrück. Damit revanchiert sich Wulff für eine Einladung des türkischen Staatspräsidenten im vergangenen Jahr in dessen zentralanatolischen Geburtsort Kayseri. In Osnabrück besuchen die beiden Staatsoberhäupter unter anderem die Universität, die seit einem Jahr den bundesweit ersten Weiterbildungsstudiengang für Imame anbietet.

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