Türkei:Wie die Welt auf den Terror von Istanbul antworten sollte

Sultanahmet

Der Anschlag im Istanbuler Stadtviertel Sultanahmet ist der jüngste in einer endlosen Reihe von Terrorattacken des IS.

(Foto: AFP)

So schlimm und rückwärtsgewandt der politische Kurs des türkischen Präsidenten Erdoğan ist - die wahre Quelle des Terrors ist der Krieg in Syrien. Er muss endlich beendet werden.

Von Stefan Kornelius

Der Terror in Istanbul hat viele Deutsche getötet, aber er gilt der Türkei. Das Land wird dort getroffen, wo es besonders verletzbar ist: in seinem historischen Herzen. Weil es sich dabei auch um das touristische Herz handelt, um eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Welt, muss man von einem Doppelattentat sprechen.

Die Türkei lebt außergewöhnlich stark vom Tourismus - die Branche setzt 30 Milliarden Dollar um. Das eigentliche Ziel des Anschlags aber ist die politische Türkei. Das Land ist gefangen im Spannungsfeld gleich mehrerer Großkrisen dieser Welt, es steht sowohl für Aufklärung und Liberalität wie für Repression und dumpf-religiöse Ideologie. Wer also Chaos und Instabilität erzeugen will, der muss die Türkei im Herzen des Istanbuler Viertels Sultanahmet angreifen.

Der historische Ort mit der nicht zu übertreffenden Symbolik entfaltet heute noch seine Wirkung auf jeden Muslim und jeden Christen, der die Emanat-i mukaddese, die Reliquien Mohammeds, im Topkapı-Palast betrachtet oder in der Hagia Sophia den Wettstreit der religiösen Symbole dechiffriert. Wie kleingeistig, als Motiv des Attentäters Deutschlands Verwicklung in den Krieg gegen den "Islamischen Staat" mit zwei Flugzeugen zu vermuten. Wenn es so einfach wäre.

Solange der Krieg in Syrien wütet, gibt es keine Sicherheit

Nein, der Platz vor der Hagia Sophia als Nullpunkt der religiösen und kulturellen Auseinandersetzung zwischen Christentum und Islam bietet eine leichte Übersetzungshilfe für alle, die das Ziel des islamistischen Terrors noch einmal verstehen wollen: Dieser Terror greift ein Lebensverständnis an, ein Modell von Freiheit und Liberalität, eine Ordnungsvorstellung.

Um diese Ordnungsvorstellung wird in der Türkei aus ganz anderen Gründen schon seit Jahren gerungen. Während seiner Zeit als Premierminister und nun als Präsident hat Recep Tayyip Erdoğan dem Land einen schwankenden Kurs zugemutet, bei dem nur das Ziel unverändert blieb: Erdoğans Machterhalt. Nach Öffnung und Reformen, nach bemerkenswertem wirtschaftlichen Wachstum und gesellschaftlicher Toleranz folgt nun eine Phase der Repression und der politischen Verengung.

Obwohl die Türkei ein verlässlicher Nato-Partner ist, bleibt ihre Verankerung im Westen ungewiss. Ungezügelte außenpolitische Ambitionen in der Region und in der arabischen Welt bezahlt Erdoğan jetzt mit Isolation. Entfremdet von der EU, gestraft vom Doppelspiel mit dem IS, mit dem schlimmsten Krieg der Welt an seiner Südgrenze und einem mutwillig provozierten Bürgerkrieg mit den Kurden ringt die Türkei um Halt.

Die größte Schwäche der Türkei ist der Rückfall in die Repression

Es mangelt nun nicht an Ratschlägen, wie die Türkei diesen Halt wiedergewinnen könnte. Richtig ist ohne Zweifel, dass nur Sicherheit gewinnen kann, wer Frieden schließt. Die Erdoğan-Türkei hat in ihrem Inneren zu viele Konflikte angeheizt, die sie in Wahrheit schwach und angreifbar macht. Ihre größte Schwäche ist der Rückfall in die Repression. Der Autoritarismus nimmt den Modernisierern und Pluralisten die Luft zum Atmen und ist auch ein Grund für die Kehrtwende in der Kurden-Politik mit dem neuen Bürgkrieg. Diese Abkehr von der inneren Freiheit spielt dem IS in die Hände, ohne dass der nur eine Bombe gezündet hätte.

Aber die Türkei wird nicht zur Ruhe kommen, wenn ihr Nachbar nicht zur Ruhe kommt. Die eigentliche Ursache für Krieg, Terror und Vertreibung liegt im Nachbarland. Syriens Diktator Baschar al-Assad und der IS betreiben momentan die Feuerstelle, von der aus die Extremisten ihren Jahrhundertbrand in alle Welt exportieren. Wer über Terror, Krieg, Radikalisierung und vor allem über Flucht spricht, der kann zwar auf Paris deuten, auf die Kölner Domplatte oder den Kurden-Konflikt Erdoğans. Tatsächlich aber gibt es eine zentrale Ursache für dieses multiple Geschwür, das Europa zerreißt, die Freiheiten nimmt und nun auch das Leben von zehn Deutschen vor der Hagia Sophia forderte: Es ist der Krieg in Syrien.

Die Antwort auf den Terror sollte klar sein

Nach den Anschlägen von Paris erscholl weltweit der Schwur, dem IS den Garaus zu machen und Syrien zu einer neuen Ordnung zu verhelfen. Wenige Wochen später macht sich wieder Verzagtheit breit: Dieser Krieg werde noch lange dauern, zu kompliziert sei die Sache. Was also muss geschehen, damit sich eine Koalition der Mächte aufrafft? Eine Bombenexplosion auf dem Roten Platz in Moskau? Tote Touristen auf dem Times Square in New York?

"Tut doch endlich was", ist in der Regel ein Aufschrei der Hilflosen. Nach fünf Jahren Bürgerkrieg, nach ach so vielen Anschlägen und grausamen Hinrichtungen der Terrormiliz, nach Giftgas und Hunger-Morden sollte die Antwort klar sein, wenn der Terror das Herz der Zivilisation von Orient und Okzident angreift.

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