Süddeutsche Zeitung

Türkei:Wer im Staate Erdoğan nicht spurt, wird bestraft

Der scheidende Premier sollte eigentlich den Wegbereiter für Erdoğans Allmachtsphantasien geben. Doch Davutoğlu ließ den Präsidenten zappeln.

Kommentar von Mike Szymanski, Istanbul

Die Partei des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist schon lange keine rein politische Bewegung mehr. Die AKP gleicht einer Glaubensgemeinschaft, in der blindes Vertrauen in ihren Mitbegründer Erdoğan und bedingungslose Gefolgschaft oberste Gebote sind. Im Erdoğanismus werden Abweichler und Zweifler hart sanktioniert. Das hat Regierungschef Ahmet Davutoğlu jetzt auf schmerzhafte und demütigende Art zu spüren bekommen.

Ausgerechnet an dem Tag, an dem Davutoğlu mit dem absehbaren Ende der Visumspflicht einen großen politischen Erfolg für seine Landsleute vermelden kann, drängt Erdoğan seinen Premier dazu, den Posten als Chef der AKP freizumachen. Damit ist er auch faktisch als Premier entmachtet. Ein Machtkampf neigt sich dem Ende zu, in dem die Rollen vom Sieger und Verlierer von Anfang an klar zugeordnet waren.

Der Politiker im Licht wechselt. Der Schatten bleibt

Als Erdoğan im Jahr 2014 vom Regierungschef zum Staatspräsidenten aufstieg, suchte er keinen Nachfolger, sondern einen Vollstrecker seines Willens. Der wenig charismatische, aber eloquente damalige Außenminister erschien ihm für diese Aufgabe formbar. Ein türkischer Karikaturist malte mal einen fröhlichen, schnauzbärtigen Davutoğlu, der aber Erdoğan als Schatten wirft. Nun wird der Politiker im Licht wechseln, der Schatten bleibt.

Die AKP war eine breite Reformbewegung, als sie 2002 die Macht im Land übernahm: Moderate, Liberale, Nationalisten, Islamisten - Erdoğan vermochte mit dem Versprechen, das Land zu modernisieren, große Teile der Gesellschaft unter dem Dach seiner frommen, konservativen Partei zu versammeln. Heute ist die AKP zur reinen Machterhaltungsmaschine für Erdoğan verkommen. Andere Ziele kennt die Regierungspartei nicht mehr. Alles dreht sich um Erdoğan und dessen Machtversessenheit. Bei den Gesprächen über den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union und beim Flüchtlingsdeal geht es Erdoğan - anders als Davutoğlu - nicht wirklich um die Annäherung. Dem Präsidenten kommt nur die internationale Bühne gelegen, um die große Show vom mächtigen Mann am Bosporus aufzuführen, dem jetzt sogar Kanzlerin Merkel applaudiert.

Anstatt den Friedensprozess mit den Kurden wieder aufzunehmen, schickt er das Militär in eine Schlacht, die nicht zu gewinnen ist. Im Parlament verteidigen die Abgeordneten der AKP ihre Positionen nicht mehr mit Argumenten, sondern mit Fäusten. Faktisch ist in der Türkei längst Realität geworden, wogegen sich alle Nicht-Anhänger der Erdoğan-Glaubensgemeinschaft heftig sträuben: Der Ein-Mann-Staat. Der von Erdoğan angestrebte Umbau der Staatsspitze zum Präsidialsystem mit Allmachts-Befugnissen soll den bereits bestehenden Zustand nur noch nachträglich legalisieren.

Davutoğlu hätte nach dem Willen Erdoğans der Wegbereiter dafür sein sollen. Aber der Premier hatte es nicht eilig, seine eigene Macht zu beschneiden. Schlimmer noch: Er ließ Erdoğan zappeln. So viel Eigensinn wird bestraft.

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