Türkei:Wehe, der Goldjunge packt aus

Reza Zarrab

Seine Zeugenaussage in den USA könnte Präsident Erdoğan und andere Mächtige in der Türkei in größere Probleme bringen: Reza Zarrab wickelte die türkischen Gas-für-Gold-Geschäfte mit Teheran ab.

(Foto: dpa)
  • In New York stehen türkische Politiker und Banker vor Gericht. Sie sollen Gold und Devisen in den Iran geschmuggelt haben.
  • Als Kronzeuge sagt der Goldhändler Reza Zarrab gegen die Angeklagten aus.
  • Seine Aussage macht Präsident Erdoğan nervös. Dieser soll in den Skandal verwickelt sein.
  • Der Prozess könnte eine Krise zwischen Ankara und Washington verursachen.

Von Luisa Seeling

Es ist ein Krimi mit vielen Haupt- und Nebenfiguren und einem irre komplizierten Plot. Es geht um Goldhandel, die Umgehung von Sanktionen, Schmiergeld in Millionenhöhe. Um Telefonmitschnitte, welche die Familie des türkischen Präsidenten belasten, und eine Aussage, die sich zur diplomatischen Krise zwischen Ankara und Washington auswachsen könnte. Im Zentrum all dessen steht der türkisch-iranische Goldhändler Reza Zarrab.

Der 34-Jährige ist eine schillernde Figur: steinreich, verheiratet mit der Sängerin und Casting-Show-Jurorin Ebru Gündeş, laut Klatschpresse auch Besitzer einer goldverzierten Pistole und eines privaten U-Boots. Vor allem ist er aber Schlüsselfigur einer Korruptionsaffäre, die Ende 2013 fast die türkische Regierung aus dem Amt katapultiert hätte - was dann nicht geschah, weil Recep Tayyip Erdoğan, damals noch Premierminister, den Spieß umdrehte und Jagd auf die Ermittler machte.

Nun kommt neue Bewegung in den Fall, und in Ankara wächst die Anspannung.

Am Montag hat in New York ein Verfahren wegen Sanktionsverstoßes und Geldwäsche begonnen. Unter den Angeklagten sind der frühere türkische Wirtschaftsminister Zafer Cağlayan und der Vize-Vorstandschef der staatlichen Halkbank, Mehmet Hakan Attila. Er sitzt in Untersuchungshaft, den anderen wird der Prozess in Abwesenheit gemacht.

Die zentrale Figur wird gar nicht auf der Anklagebank sitzen

Ausgerechnet die zentrale Figur aber wird nun doch nicht auf der Anklagebank sitzen - Reza Zarrab. Der, so teilte die Staatsanwaltschaft Anfang der Woche mit, habe sich in allen Anklagepunkten schuldig bekannt. Er wolle mit der Justiz kooperieren und gegen die Mitangeklagten aussagen. In der Türkei schlug diese Nachricht ein wie eine Bombe: Wird Zarrab auch Regierungspolitiker belasten, womöglich den Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan?

Die Anklage wirft Zarrab und den anderen vor, nach 2010 Hunderte Millionen Dollar nach Iran geschafft und so die von Washington verhängten Finanzsanktionen umgangen zu haben. Vieles deutet darauf hin, dass hochrangige türkische Politiker nicht nur im Bilde waren, sondern mitverdienten. Zarrab soll Millionen-Schmiergelder gezahlt haben. Offenbar funktionierte das System so: Teheran lieferte Gas und Öl in die Türkei, und Zarrab beglich die Rechnung mit Devisen und Gold. Die verbotenen Geschäfte wurden als Lebensmittellieferungen deklariert, der Geldfluss wurde über Halkbank-Konten abgewickelt.

So einen Deal hat Zarab nun am Mittwoch vor dem Gericht bestätigt: Um ihn tätigen zu können, habe er den früheren türkischen Wirtschaftsminister Mehmet Çağlayan mit sieben Millionen Dollar bestochen, anschließend habe der Minister 50 Prozent der Profite bekommen - insgesamt 45 bis 50 Millionen Euro.

Wie Erdoğan versuchte, den Skandal aus der Welt zu schaffen

2013 flog das Geschäft dann auf. Türkische Ermittler ließen am 17. Dezember Dutzende Personen festnehmen, darunter regierungsnahe Geschäftsleute, Ministersöhne - und Reza Zarrab. Bei Razzien fand die Polizei Millionen im Haus des Halkbank-Vorstandschefs und beim Sohn des Innenministers. Bald kursierten zudem Telefonmitschnitte im Internet, auf denen angeblich Erdoğan und sein Sohn Bilal zu hören sind; allem Anschein nach wies der Vater den Sohn an, Geld verschwinden zu lassen.

Erdoğan stand massiv unter Druck - und holte zum Gegenschlag aus: Die Ermittler wurden abgesetzt und angeklagt, die Untersuchung wurde eingestampft; die Festgenommenen kamen frei, auch Zarrab. Mehrere Minister mussten zurücktreten, und am 25. Dezember gab Premier Erdoğan eine Kabinettsumbildung bekannt. Zu einer Anklage kam es aber nie. Weil die Ermittler zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen gehörten, erklärte die Regierung die Affäre zur Verschwörung. Ganz abwegig war das nicht, hinter den Kulissen tobte ein Machtkampf zwischen Regierungspartei und Gülen-Bewegung. Aber nun trat der Bruch offen zutage, es kam zu Entlassungen in Polizei und Justiz - Vorgeschmack auf das, was nach dem Putsch 2016 folgten sollte.

Der Skandal war unter Kontrolle, vorerst jedenfalls. Doch im März 2016 ging Zarrab den US-Behörden in Florida ins Netz, als er mit Frau und Kind unterwegs ins Disneyland war. Spekulationen um die Festnahme halten an: War Zarrab nicht klar, dass gegen ihn ein Haftbefehl vorlag? Oder gab es schon einen Deal mit den USA?

In der Türkei brodelt die Gerüchteküche, erst recht seit klar ist, dass Zarrab aussagen will - und seit bekannt ist, dass den Strafverfolgern Audiomaterial vorliegt, auf dem Gespräche der Angeklagten mit Erdoğan zu hören sein sollen.

Erdoğan sprach das Thema bei Biden an, bei Obama, bei Trump

Die Türkei kennt kaum noch ein anderes Thema. Für Erdoğan ist die Neuauflage des Falls höchst unangenehm. Zwar glaubt kaum jemand, dass Zarrabs Aussage die Macht des Präsidenten direkt gefährdet. Doch spätestens 2019 soll erstmals mit den Regeln des neuen Präsidialsystems gewählt werden. Erdoğan kann sich seines Sieges keineswegs sicher sein, schon das Verfassungsreferendum im April gewann er nur um Haaresbreite. Zudem befürchtet die Regierung, der Finanzsektor könnte in Bedrängnis geraten, sollte die US-Justiz eine hohe Geldstrafe gegen Halkbank verhängen.

Ankara versuchte, das Problem in stiller Diplomatie zu lösen. Erdoğan sprach das Thema bei Joe Biden an, bei Barack Obama, bei Donald Trump. Zuletzt reiste Ministerpräsident Binali Yıldırım in die USA und versuchte sein Glück bei Vize-Präsident Mike Pence. Doch Ankara blitzte ab - und änderte die Strategie: Der Prozess sei eine Verschwörung, behaupten türkische Politiker seit Wochen, der Goldhändler "Geisel" der US-Justiz. Regierungsnahe Medien flankieren das Dauerfeuer gegen Washington mit Theorien, wonach Fethullah Gülen, der seit 1999 in den USA lebt, die Staatsanwälte mit fingierten Beweisen versorge.

Das heimische Publikum, glauben Beobachter, solle eingestimmt werden, jede Enthüllung aus New York für ein amerikanisch-gülenistisches Komplott zu halten. Dabei hilft der Regierung, dass die Beziehungen zu den USA extrem belastet sind. Man streitet über den Umgang mit den syrischen Kurden und Gülens Auslieferung. Vor einigen Wochen setzten beide Länder zeitweise die Visavergabe aus, weil die Türkei einen Mitarbeiter des US-Konsulats wegen Spionageverdachts festgenommen hatte. Der Fall Zarrab überschattet alle Versuche, die Beziehungen zu verbessern.

Auf Fotos ist Zarrab meist mit Kapuzenpulli und gestutztem Bart zu sehen. Er wirkt verblüffend jugendlich für einen, der die Hauptrolle in einem türkisch-iranisch-amerikanischen Justiz-Thriller spielt.

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