Türkei:Warum der Putschversuch scheiterte

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Ein Polizist der türkischen Spezialkräfte bewacht einen Panzer, nachdem die Putschisten ihre Stellung an einer Bosporus-Brücke in Istanbul aufgeben mussten. (Foto: AFP)

Es dauert Stunden, bevor Präsident Erdoğan sich zu Wort meldet. Doch dann wird klar: Das Militär ist gespalten - und nicht einmal Erdoğans Gegner in Politik und Gesellschaft unterstützen den Umsturz.

Von Gökalp Babayiğit

Panzer auf den Istanbuler Brücken, tieffliegende F-16-Kampfjets über Ankara: Alles, was am Anfang dieser unvergesslichen Nacht in der Türkei bekannt wurde, sah nach perfektem Handbuch aus. Das türkische Militär - zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, dass es sich nur um eine Fraktion handelte - besetzte strategisch wichtige Posten wie den Flughafen in Istanbul und das Quartier von Sicherheitskräften in Ankara, demonstrierte offen seine Bereitschaft, notfalls mit Gewalt seinen Willen durchzusetzen. Soldaten drangen in die großen Medienhäuser ein und zwangen die Journalisten, ein Statement "in Namen des Generalstabs" zu verlesen. Darin riefen die Putschisten das Kriegsrecht aus und verhängten eine landesweite Ausgangssperre.

Die Initiative war klar auf Seiten der Umstürzler - denn von Präsident Recep Tayyip Erdoğan war stundenlang nichts zu hören. Premier Binali Yıldırım ließ zwar schnell verbreiten, dass die Regierung den Putschversuch erfolgreich abwehren werde. Aber ohne die Stimme Erdoğans, des wahren Machthabers in der Türkei, und angesichts der Militärpräsenz an höchst visiblen Stellen und die Kontrolle über die Massenmedien, klangen Yıldırıms Kampfansagen eher verzweifelt.

Doch schnell sollten sich die Anzeichen dafür mehren, dass der Coup nicht so reibungslos verlaufen sollte, wie anfangs angenommen - und dass er nicht ohne Blutvergießen vonstatten gehen würde.

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Das Militär: Es stellte sich heraus, dass der Putschversuch keinesfalls vom gesamten Generalstab getragen wurde - im Gegenteil: Die Putschisten hatten unter anderem den Generalstabschef Hulusi Akar, der zu den Erdoğan-Vertrauten zählt, an einem Luftwaffenstützpunkt festgesetzt. Doch es dauerte nicht lange und weite Teile der Generalität stellten sich öffentlich gegen die Aufrührer. F-16-Jets feuerten auf die Panzer der Putschisten in Ankara und schossen einen Militärhubschrauber ab. Generalstabschef Akar wurde in einer Operation am Luftwaffenstützpunkt befreit. Sowohl Yıldırıms als auch Erdoğans Appelle an das Militär, den Aufstand niederzuschlagen, wurden erhört.

Erdoğan: Stundenlang blieb die Frage offen, was mit Präsident Erdoğan geschehen war. Wie üblich nach dem Zuckerfest war er in den Urlaub nach Marmaris geflogen, wo man ihn zum Zeitpunkt des Beginns des Putsches vermutete. Hatten die Putschisten ihn in seine Gewalt gebracht? Oder war er, wie manche Beobachter in den sozialen Medien gerüchteweise verbreiteten, schon auf der Flucht ins Ausland, um den Aufständischen nicht in die Hände zu fallen? Und wie sollte er - angesichts der Tatsache, dass die Putschisten kurzzeitig die Kontrolle über die meisten großen Fernsehsender hatten - sich ans Volk wenden? In einem jetzt historischen Facetime-Anruf auf das Smartphone einer CNN-Türk-Moderatorin meldete sich Erdoğan zu Wort. Er war noch im Land - und er forderte die Bevölkerung auf, ihm beizustehen.

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Ausgerechnet jener Mann, der die sozialen Medien als Teufelszeug betrachtete und bei jeder Gelegenheit Facebook und Twitter sperren ließ, verbreitete nun genau über diese sozialen Medien seine Botschaft ans Volk: Seht her, ich bin noch der erste Mann im Staat und Oberkommandierender der Streitkräfte. Und jetzt geht auf die Straßen und stellt euch gegen den Putsch "der Verräter".

Nachdem ihm klar wurde, dass er auf weite Teile des Militärs und die Unterstützung der Bevölkerung bauen konnte, setzte er sich ins Flugzeug und flog nach Istanbul. Die Kontrolle über den dortigen Atatürk-Flughafen nämlich hatten die Putschisten schon verloren.

Die öffentliche Meinung: Das Militär in der Türkei genießt anders als in vielen Nato-Staaten eigentlich ein hohes Ansehen in der Bevölkerung. Doch die Art und Weise, mit welcher Vehemenz und Einhelligkeit sich sämtliche öffentliche Stimmen gegen den Putsch aussprachen, war erstaunlich.

Alle Oppositionsparteien - die Kurden der HDP, die Nationalisten der MHP, die Kemalisten der CHP - die sich seit mehr als einem Jahrzehnt einen erbitterten politischen Streit mit der regierenden AKP liefern, lehnten den Putschversuch rundheraus ab. Alle zivilgesellschaftlichen Organisationen, Thinktanks, NGO-Mitarbeiter, Wortführer in den sozialen Medien sprachen sich gegen die gewaltsame Entmachtung Erdoğans aus. Kein TV-Moderator oder Zeitungsjournalist - also jene Berufsgruppe, die regelmäßig unter Erdoğans autokratischen Zügen zu leiden hat - schlug sich auf die Seite der Putschisten.

Im Gegenteil: In bewegenden Videos ist zu sehen, wie Journalisten auf Soldaten einreden, die in Redaktionsräume eingedrungen sind, und dabei versuchen, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Und schließlich stellen sich selbst die Moscheen im Land gegen den Putsch. Weit nach Mitternacht rufen sie in Städten wie Istanbul und Izmir laut zum Gebet auf - verbunden mit der Aufforderung ans Volk, sich auf die Straßen zu begeben und dem Coup entgegenzustellen. Und so sind es die Bürger, die Soldaten zum Rückzug von strategisch besetzten Punkten zwingen und aus Redaktionsgebäuden vertreiben. Nicht überall gelingt es der Polizei, die aufgebrachten Menschen von Lynchjustiz abzuhalten.

In einem seiner Statements nannte Erdoğan den Putschversuch ein "Geschenk Gottes". Jetzt habe er die Gelegenheit, den Militärapparat zu säubern, den Einfluss der Gülen-Bewegung, die angeblich hinter dem Aufstand steckte, zu stoppen, den "parallelen Staat" zu beseitigen. Er verliert keine Zeit: Mehrere mutmaßlich beteiligte Generäle sind verhaftet, mehr als 2700 Soldaten in Gewahrsam, mehr als 3000 Richter sind abgesetzt. Premierminister Yıldırım spricht von der Wiedereinführung der Todesstrafe. Nach der blutigen Nacht wird klar: Die Türkei steuert in eine düstere Zeit.

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