Türkei:Wieder vereint gegen Erdoğan

Die türkische Opposition hat ihren Streit beigelegt und sich auf Kemal Kılıçdaroğlu als Präsidentschaftskandidaten geeinigt.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Die türkische Opposition war ein Wochenende lang zerstritten, am Montag fanden die Parteien überraschend schnell wieder zueinander. Sie einigten sich darauf, dass Kemal Kılıçdaroğlu bei den Wahlen am 14. Mai als Präsidentschaftskandidat antritt. Der 74 Jahre alte Chef der säkularen CHP, der größten Oppositionspartei, soll Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan besiegen. Die populären Oberbürgermeister von Istanbul und Ankara, so der Plan, ergänzen ihn als Vizepräsidenten - falls die Opposition die Wahl gewinnt.

Erst am Freitag hatte sich Meral Akşener von der IYI-Partei aus Protest gegen Kılıçdaroğlus Kandidatur aus dem oppositionellen Bündnis zurückgezogen. Sie forderte, dass an seiner Stelle einer der beiden Bürgermeister antritt. Beide hätten laut Umfragen bessere Chancen gegen Erdoğan. Eine Wahl zwischen Erdoğan und Kılıçdaroğlu, so hatte Akşener sich ausgedrückt, sei eine "zwischen Tod und Malaria". Nach diesen Worten war eine Versöhnung schwer vorstellbar.

Die Türkei soll zum parlamentarischen System zurückkehren

Die von Akşener bevorzugten Bürgermeister, Mansur Yavaş aus Ankara und der Istanbuler Ekrem İmamoğlu, sind Mitglieder in Kılıçdaroğlus CHP. Am Samstag zeigten sie sich solidarisch mit ihrem Parteichef, fuhren danach aber zu Akşener, um sie zur Rückkehr ins Bündnis zu bewegen. Am Montag besuchten die beiden sie noch einmal, diesmal ging es um einen Kompromiss: Kılıçdaroğlu kandidiert, ernennt aber die Rathauschefs später zu Vizepräsidenten. Kılıçdaroğlu wäre zwar Präsident, die Bürgermeister würden als seine Stellvertreter aber die Regierungsgeschäfte mitbestimmen.

Ihr Amt als Vizepräsident ist als eine Art Zweitjob geplant, nebenher wollen die beiden weiter ihre Städte regieren. Darin lag eine der Sorgen der CHP: Hätte etwa Ekrem İmamoğlu als Präsident kandidiert, hätte er schon im Wahlkampf sein Amt als Oberbürgermeister von Istanbul aufgeben müssen. Das Stadtparlament, in dem Erdoğans AKP die Mehrheit hat, hätte dann seinen Nachfolger bestimmt. Die größte Stadt des Landes wäre wieder der AKP zugefallen.

Am Montagnachmittag ging dann alles ganz schnell. Erst trafen sich Akşener und Kılıçdaroğlu in Ankara und schlossen Frieden, danach kehrte die Abtrünnige ins Bündnis zurück. An den Tisch der sechs Parteien, aus denen am Wochenende vorübergehend fünf geworden waren. Auf Twitter schrieb einer der Stellvertreter von Akşener, versehen mit einem Zwinker-Emoji: "Wo waren wir stehengeblieben?" Andere Parteimitglieder von CHP und IYI, heißt es, löschten schnell ihre letzten Tweets. Kurz war man übereinander hergefallen, nun wieder versöhnt.

Abends, als die Parteichefs vor ihre Anhänger traten, erwähnte Kılıçdaroğlu die Bürgermeister nicht. Wohl ein Zeichen, dass er sich in dem Machtkampf durchgesetzt hat. Doch dürften die beiden schon im Wahlkampf eine Rolle spielen: Kılıçdaroğlu gilt als nicht besonders mitreißender Redner, er wird die Bühne oft mit Yavaş und İmamoğlu teilen. Man ist jetzt wieder ein Team.

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