Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan muss sich einer Stichwahl stellen. Erdoğan verfehlte in der ersten Runde der Präsidentenwahl die absolute Mehrheit, wie die Wahlbehörde in Ankara mitteilte. Der Amtsinhaber kam nach dem vorläufigen Endergebnis auf 49,5 Prozent der Stimmen, Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu lag mit 44,9 Prozent knapp hinter ihm. Weil keiner der Bewerber die absolute Mehrheit erreicht hat, geht es am 28. Mai in die Stichwahl.
Wählerinnen und Wähler mit türkischem Pass in Deutschland und anderen Ländern können ihre Stimme bereits zwischen dem 20. und dem 24. Mai ihre Stimme abgeben. In der ersten Runde stimmte hierzulande offenbar eine deutliche Mehrheit für Erdoğan. Auf den Amtsinhaber entfielen beim Stand von fast 79 Prozent der ausgezählten Stimmen aus Deutschland knapp zwei Drittel, wie aus Zahlen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu hervorgeht. Für Kılıçdaroğlu stimmte lediglich etwa ein Drittel.
Die Präsidentschaftswahl gilt als richtungsweisend. Es wird befürchtet, dass das Nato-Land weitere fünf Jahre unter Erdoğan, der seit 20 Jahren in verschiedenen Ämtern an der Macht ist, noch autokratischer werden könnte. Kılıçdaroğlu trat als Kandidat für ein breites Bündnis aus sechs Parteien an. Er verspricht die Rückkehr zu einem parlamentarischen System, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Auch international wurden die Entwicklungen in der Türkei aufmerksam beobachtet wegen ihrer Bedeutung für Konflikte in der Region wie dem Syrien-Krieg und für das Verhältnis zur EU und Deutschland.
Dem weit abgeschlagenen, auf dem dritten Platz liegenden Kandidaten eines ultranationalistischen Parteienbündnisses, Sinan Oğan, kommt nun eine wichtige Rolle zu. Obwohl er lediglich knapp 5,2 Prozent der Stimmen gewann, könnten seine Wähler entscheidend sein. Mit Spannung wird erwartet, ob er eine Wahlempfehlung abgibt und ob seine gespaltene Anhängerschaft dieser folgt. Oğan kündigte an, das weitere Vorgehen mit seinen Anhängern auszuloten. "Unser Volk kann beruhigt sein. Wir werden niemals zulassen, dass die Türkei in eine Krise gerät."
Wahlbeobachter: Abstimmung nicht demokratisch
Nach der Wahlnacht äußerten Beobachter Mängel an den Abläufen. Die Türkei erfülle die Prinzipien einer demokratischen Wahl nicht, sagte Frank Schwabe (SPD), Leiter der Wahlbeobachtungsmission des Europarats in Ankara. Bei der Stimmauszählung habe es an Transparenz gefehlt, hieß es von der Delegation. Die Wahlbehörde solle klarstellen, wie genau sie Wahlergebnisse veröffentliche. Der Behörde wird unterstellt, unter dem Einfluss der Regierung zu stehen.
Schon vor der Wahl habe es keine gleichen Voraussetzungen gegeben. Erdoğans regierende AKP habe "ungerechtfertigte Vorteile" gehabt, etwa mit Blick auf die mediale Berichterstattung. Die türkische Regierung kontrolliert weite Teile der Medienlandschaft. Die Opposition habe teilweise unter massivem Druck gestanden.
Besorgniserregend sei zudem die niedrige Wahlbeteiligung in den Anfang Februar stark durch Erdbeben zerstörten Regionen. Es habe keine rechtlichen Hindernisse gegeben, aber eine große emotionale Belastung. Offizielle Daten zu der Wahlbeteiligung in den betroffenen Gebieten waren vorerst nicht verfügbar.
Zwischenfälle an mehreren Wahllokalen
Nach Einschätzung der Wahlbehörde lief die Wahl ohne größere Probleme ab, wenngleich an mehreren Wahllokalen Zwischenfälle gemeldet wurden. So bestätigte die prokurdische Oppositionspartei HDP der Deutschen Presse-Agentur einen Medienbericht, wonach im südosttürkischen Mardin Wahlbeobachter der Schwesterpartei YSP angegriffen wurden. Es sei zum Streit gekommen, nachdem Beobachter mehr als einem Familienmitglied den Zutritt zur Wahlkabine verweigert hätten.
Außerdem teilte ein Abgeordneter der CHP ein Video, auf dem zu sehen sein soll, wie im südosttürkischen Şanlıurfa reihenweise Wahlzettel für Präsident Recep Tayyip Erdoğan gestempelt wurden. Es ließ sich allerdings nicht verifizieren, wann und wo die Aufnahmen gemacht wurden, oder ob es sich bei den Wahlzetteln überhaupt um echte handelte.